Freitag, Februar 21

Eine geleakte Liste von rund 200 Kunstwerken in den Staatsgemäldesammlungen gibt Einblicke in die verlogene Restitutionspolitik des bayrischen Staates.

Im Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sollen sich rund 200 NS-Raubkunstwerke befinden, unter anderem von Picasso, Paul Klee und Max Beckmann. München war einer der wichtigsten Umschlagplätze für das Raubgut der Nazis. Die meisten dieser Werke sollen jüdischen Sammlern gehört haben. Einige der Kunstwerke befanden sich nach dem Raub im Besitz von Göring. Ein geleaktes Dossier von rund 900 Seiten, das allein für den internen Gebrauch der bayrischen Sammlungen gedacht war und der «SZ» vorliegt, gibt Einblicke in die Restitutionspolitik Bayerns.

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Der Freistaat soll offenbar seit Jahren von den problematischen Provenienzen vieler der bedeutendsten Kunstwerke der Sammlungen gewusst haben. Offiziell allerdings wurde stets die Haltung vertreten, die Provenienzen seien unproblematisch. Intern scheint den Museumsverantwortlichen aber längs klar gewesen zu sein, dass es sich gemäss den von der Bundesrepublik unterzeichneten Washingtoner Prinzipien in vielen Fällen um Werke handelt, die unter Verdacht stehen, verfolgten jüdischen Sammlern entzogen worden zu sein. Solche Kunstwerke erfordern einen konstruktiven Umgang. Dieser kann von der aktiven Information von Erben bis hin zur Erwägung einer freiwilligen Rückgabe an Nachkommen der einstigen Eigentümer reichen.

Verweigerung der Kooperation

Der prominenteste Fall betrifft ein Meisterwerk von Picasso, das sich in den Münchner Pinakotheken befindet. Das Gemälde der «Madame Soler» (1903) stammt aus der blauen Periode des Meisters der klassischen Moderne. Es ist nicht nur berühmt, weil es eines der bezauberndsten Frauenporträts von Picasso ist. Es war verschiedentlich in den Schlagzeilen, denn um das Bild schwelt ein jahrelanger Rechtsstreit. Es gehörte einst dem Sammler Paul von Mendelssohn-Bartholdy. Als jüdischer Bankier wurde er in NS-Deutschland verfolgt. Zusammen mit anderen Werken verkaufte er den Picasso an den Kunsthändler Justin Thannhauser. Von diesem erwarb der Freistaat Bayern 1964 das Werk.

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und die bayrische Regierung verweigern sich kategorisch der Klärung dieses Falls. Bayern erachtet das Werk nicht als Raubkunst. Mendelssohn-Bartholdys Nachfahren argumentieren hingegen, dass sich der Sammler «verfolgungsbedingt» von dem Gemälde habe trennen müssen. Der Umgang Bayerns mit diesem Fall scheint nach den jüngsten Erkenntnissen symptomatisch zu sein.

Taktik des Hinhaltens und Verschleierns

Betroffen sind auch Werke von Paul Klee und Max Beckmann, insbesondere zwei Gemälde von Klee, die aus dem ehemaligen Eigentum des legendären jüdischen Kunstsammlers Alfred Flechtheim stammen. 1933 flüchtete Flechtheim vor den Nazis nach England, zuvor musste er seinen Kunstbesitz unter Druck verkaufen, viele Werke wurden auch konfisziert. Dessen Nachfahren fordern seit geraumer Zeit die Bilder «Grenzen des Verstandes» und «Sängerin der Komischen Oper» zurück sowie auch die Bronzebüste «Fernande» von Picasso aus Flechtheims Beständen, die sich in den bayrischen Sammlungen befindet. Sie sind der Überzeugung, dass es sich bei diesen Kunstwerken um Raubkunst handelt. Die Staatsgemäldesammlung bestreitet aber den Raubkunstverdacht und besteht darauf, dass die Provenienz in diesen Fällen unbedenklich oder aber noch nicht restlos geklärt sei.

Für solche Angelegenheiten gibt es in Deutschland eigentlich eine beratende Kommission, in der Provenienzforscher, Juristen und Opfervertreter in Streitfragen schlichten. Einer Anrufung der sogenannten Limbach-Kommission müssen aber beide Parteien zustimmen. Die bayrische Landesregierung hat bis heute eine Anrufung, wie von den Erben Flechtheims und Mendelssohn-Bartholdys gefordert, verweigert. Die geleakte Liste stelle ein reines Arbeitsmittel dar und bilde lediglich einen Work-in-progress-Stand ab, wie die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen verlauten lassen. Mit seiner Taktik des Hinhaltens und Verschleierns steht Bayern, über 25 Jahre nach der Verabschiedung der Washingtoner Prinzipien, arg im Abseits da.

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