Montag, Oktober 14

Bei der Existenzkrise des grössten deutschen Agrar- und Baustoffhändlers Baywa spielt die Energietochter Baywa r. e. eine wichtige Rolle. Dort wurde das Bilanz- und Risikomanagement zu lange vernachlässigt. Das ist eine Chance für Schweizer Investoren.

In Bayern herrscht seit Wochen Alarmstimmung. Der Grund ist nicht etwa, dass der CSU-Ministerpräsident Markus Söder wieder nicht zum Kanzlerkandidaten der Union aus CDU/CSU für die Bundestagswahl 2025 gemacht wurde. Vielmehr kämpft der für die Landwirte sehr wichtige Agrar- und Baustoffhändler Baywa gegen eine drohende Insolvenz. Die einstige «Bayerische Warenvermittlung» und vor allem ihre Energietochter Baywa r. e. mussten nach einer irren Wachstumsstrategie im ersten Halbjahr einen dreistelligen Millionenbetrag abschreiben.

Konzernchef Pöllinger sah im März noch keine Krise

Der genossenschaftlich geprägte, aber an der Börse kotierte Konzern mit 24 000 Mitarbeitern ist ein zentraler Dienstleister für die süddeutsche Landwirtschaft, agiert längst aber global. Er vertreibt unter anderem Heizöl und Holzpellets, Betriebs- und Futtermittel und ist ein sehr wichtiger Akteur im Obst- und Gemüsehandel, der Bauern im Herbst ihre Produkte abnimmt und sie weiterverkauft. Seit der Diversifizierung des Geschäfts Ende der 2000er Jahre plant und betreibt der Konzern über die Baywa r. e. auch Wind- und Solarparks und vermarktet teilweise die erzeugte Energie. Inzwischen brennt es vor allem dort lichterloh.

Die Energiefirma startete einst als kleine Tochter der 1923 gegründeten Baywa, einer bayrischen Institution. Die Baywa musste 2023 jedoch ausgerechnet im Jahr des 100. Jubiläums den ersten Verlust in der Geschichte ausweisen. In diesem Jahr verschlimmerten dann die Entwicklungen bei der Energietochter die Lage des Unternehmens.

Seit dem Sommer versuchen Manager und Gläubiger nun die Insolvenz des Gesamtkonzerns abzuwenden. Dabei hatte der CEO Marcus Pöllinger Ende März im «Handelsblatt» eine existenzielle Krise noch abgestritten. Baywa sei kein Restrukturierungs-, sondern ein Optimierungsfall, sagte er damals. Inzwischen steht Pöllinger stark in der Kritik, ebenso wie Matthias Taft, Chef der Baywa r. e.

In den vergangenen rund 15 Jahren ist die Energietochter sowohl durch Zukäufe als auch organisch schnell und stark gewachsen. Dabei profitierte das Unternehmen vom Boom bei Solar- und Windkraftanlagen. «Das Management hat immer weiter fröhlich zugekauft», sagt ein Insider des Konzerns, der nicht genannt werden möchte. «Geld war nie ein Problem, und auf die Kosten hat man kaum geschaut.» Sträflich sei jedoch gewesen, dass das Management die gekauften Firmen nie vernünftig ins Unternehmen integriert habe.

Bayern wurde der Baywa schnell zu klein

Im Prinzip ist die Baywa r. e. ein Projektentwickler für Solar- und Windparks. Damit ähnelte das Geschäftsmodell stark jenem von Immobilienentwicklern, von denen in den vergangenen zwei Jahren ebenfalls viele durch steigende Zinsen und schlechtes Management in die Krise geraten sind. Das bekannteste Beispiel ist die Signa-Holding des österreichischen Investors und Unternehmers René Benko. Die Baywa r. e. initiierte Projekte, baute dann die entsprechenden Anlagen und verkaufte sie meist schlüsselfertig weiter.

Das Kerngeschäft war simpel. Das Unternehmen erwarb oder pachtete grosse Grundstücke, typischerweise von Landwirten. Man holte Baugenehmigungen und Umweltgutachten ein, kaufte von Solarmodul- oder Turbinenherstellern die verschiedenen Komponenten ein und baute die Solar- und Windparks auf. Die Finanzierung geschah entweder über die Muttergesellschaft Baywa oder über Darlehen.

Dabei wurde der Baywa r. e. das Heimatland Bayern schnell zu klein. Inzwischen gibt es Projekte auf fast allen Kontinenten – von Europa über Nordamerika und Asien bis nach Australien. Bei einigen der Anlagen seien jedoch «ganz normale Projektrisiken» schlagend geworden, sagt der Baywa-Insider. Dabei habe es sich einerseits um die typischen Klagen von Anwohnern wegen Lärmbelästigung oder Schattenwurf gehandelt oder von Tierschützern wegen angeblicher toter Rotmilane in der Nähe von Windrädern.

Schlechte Stromleitungen, mangelnder Wind

Bei einigen Anlagen sei es jedoch auch zu grossen Problemen gekommen. Beispielsweise habe sich bei einem planmässig arbeitenden Solarpark in Australien herausgestellt, dass das lokale Stromnetz nicht stark genug ist, um die erzeugte Energie weiterzuleiten. Bei einer Windanlage wiederum habe sich das vor dem Bau gemachte Windgutachten als falsch herausgestellt. In der Praxis wehte der Wind im Durchschnitt deutlich weniger kräftig als zuvor prognostiziert.

Derlei Probleme bei den Projekten sorgten für finanzielle Kalamitäten, weil die erhofften Erlöse niedriger ausfielen oder sogar Verluste entstanden. In diesen Fällen hätte ein Verkauf Abschreibungen verursachen können. Das hat laut dem Firmenkenner dazu geführt, dass die Baywa r. e. die guten Projekte tendenziell verkauft und die weniger guten tendenziell auf die eigene Bilanz genommen habe. Mit der Zeit habe sich das Management immer mehr verzettelt, indem es aus seiner Sicht womöglich mit Wertberichtigungen zu lange gewartet und kaum Risikomanagement für die Bilanz betrieben habe.

Von der Baywa r. e. heisst es dazu, die Entscheidung, Projekte zu veräussern oder in das eigene Portfolio zu übernehmen, habe verschiedenen Kriterien unterlegen: darunter wirtschaftliche Aspekte, die geografische Ausrichtung des gesamten Portfolios oder auch die Vermarktbarkeit des erzeugten Stroms. Entscheidend sei immer die Frage gewesen, welche Projekte strategisch in das eigene Portfolio gepasst hätten. Dass bei diesen Entscheidungen die Höhe möglicher Abschreibungen eine Rolle gespielt habe, sei nicht zutreffend.

Kredite und Liquiditätshilfen über eine Milliarde Euro

Die Krise der Baywa wurde im Juli öffentlich, nachdem das Unternehmen per Ad-hoc-Meldung mitgeteilt hatte, aufgrund der angespannten Finanzlage ein Sanierungsgutachten in Auftrag gegeben zu haben. Das Gutachten wird von der Unternehmensberatung Roland Berger erstellt. Laut Medienberichten hat der Konzern 5,6 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten. Mitte August einigten sich Anteilseigner und Gläubigerbanken auf Überbrückungskredite und Liquiditätshilfen in der Höhe von 547 Millionen Euro. Ende September wurde der Überbrückungskredit um weitere 500 Millionen bis Jahresende erhöht.

Zudem hatte die Baywa zu diesem Zeitpunkt mitgeteilt, ein Bewertungstest habe zu Abschreibungen über 222,2 Millionen Euro geführt. Davon entfiel mit 171,5 Millionen Euro der Löwenanteil auf die Baywa r. e., an welcher der Mutterkonzern noch 51 Prozent hält. Die anderen 49 Prozent gehören der in Zürich domizilierten Investmentgesellschaft Energy Infrastructure Partners (EIP), deren Vertreter auch im Aufsichtsrat der Baywa r. e. sitzen. Die Schweizer hatten den Anteil vor rund drei Jahren für 530 Millionen Euro erworben.

Innerhalb des Baywa-Konzerns konnte die Tochter für Renewable Energies über viele Jahre offenbar sehr eigenständig agieren, so dass der Vorstandsvorsitzende Matthias Taft grosse Handlungsfreiheit genoss. Das galt wohl umso mehr, als der langjährige Baywa-Chef Klaus Josef Lutz, der zugleich dem Aufsichtsrat der Baywa r. e. vorstand, ebenfalls einen starken Wachstumskurs favorisierte und Taft an der langen Leine führte. Lutz war 2023 als Chef in den Aufsichtsrat gewechselt, musste das Unternehmen aber im Frühjahr im Streit verlassen.

Starkes Wachstum, mässiges Risikomanagement

Letztlich sei die Baywa r. e. sehr stark über den Ebit (Gewinn vor Zinsen und Steuern) geführt worden und nicht über das Cash, also die liquiden Mittel, bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Risikomanagements, heisst es aus dem Unternehmen. Das hat lange gut funktioniert, die Wachstumsziele wurden regelmässig übertroffen. Doch die hohen Schulden in Kombination mit dem drastischen Zinsanstieg in kurzer Zeit führten dann in die Krise, zumal sich die Energieparks in Zeiten hoher Zinsen viel schlechter verkaufen liessen. Dazu kamen sinkende Strompreise und der generelle Preiszerfall in der Branche.

Bis vor rund anderthalb Jahren hatte das Management noch grosse Pläne. Den Mitarbeitern sei eingebläut worden, dass die Baywa r. e. bereit für Kapitalmarktschritte sein müsse, sagt der Insider. Die Führung habe für den Zeitraum 2025 bis 2026 mit einem Börsengang der Energietochter oder zumindest mit einem Verkauf geliebäugelt, beispielsweise an Private-Equity-Investoren.

Jetzt wird laut Firmenkreisen über den Verkauf weiterer Anteile an der Baywa r. e. an die bisherigen Minderheitseigner aus der Schweiz diskutiert, die wohl demnächst ein Angebot abgeben wollen. EIP würde dem Vernehmen nach sogar gerne bis zu 100 Prozent der Baywa r. e. übernehmen, wogegen sich die Baywa noch sperrt, um nicht den gesamten Anteil zu Ramschpreisen hergeben zu müssen. Die Verhandlungen über die Transaktion scheinen auf Hochtouren zu laufen. EIP wollte sich dazu jedoch nicht äussern.

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