Samstag, September 28

Die Zweifel an der Behandlungspraxis mit Pubertätsblockern und Hormonen bei Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie wachsen in Fachkreisen. Nun fordert auch die Schweizerische Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie eine Überarbeitung.

Medizinische Leitlinien sind Behandlungsempfehlungen von Fachexperten, die sich an andere Ärzte richten. Jetzt fordert die Schweizerische Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (SGKJPP) eine Überarbeitung der neuen Behandlungsleitlinie für Jugendliche und Kinder mit Geschlechtsdysphorie. Es geht um sogenannte Transkinder, die sich in ihrem biologischen Geschlecht unwohl fühlen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) übt Kritik.

Um den vor einigen Monaten veröffentlichten Entwurf für eine neue Behandlungsleitlinie hat sich ein Streit entwickelt. Das Thema Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen, die sich im falschen Körper fühlen, hat emotionale und ideologische Schlagkraft – und offenbar wächst die Sorge in Fachkreisen.

Ende März hatte die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) den neuen Entwurf für die Behandlungsleitlinie veröffentlicht. Das Papier vertritt die bis anhin in den deutschsprachigen Ländern übliche «transaffirmative» Behandlungspraxis: Gibt ein Jugendlicher bekannt, seine Seele habe ein anderes Geschlecht als sein Körper, so solle diese Wahrnehmung nicht hinterfragt, sondern akzeptiert werden.

Selbsteinschätzung steht über Diagnose

Die Selbsteinschätzung der Kinder wird damit über die medizinische Diagnose gestellt. In der Folge ist dann auch bei Minderjährigen das sogenannte Dutch Protocol möglich: die Gabe von Pubertätsblockern, um die unerwünschte Entwicklung hin zu Mann oder Frau zu stoppen, dann die Verabreichung von Hormonen des erwünschten Geschlechts. Als letzter Schritt folgen dann Operationen, zum Beispiel die Entfernung der Brüste oder der Hoden und des Penis. Eine Psychotherapie, die das Ziel hat, die Wahrnehmung der Jugendlichen zu hinterfragen, ist laut der Behandlungsleitlinie unethisch.

Die Leitlinie sollte in Deutschland, der Schweiz und in Österreich gelten und unterscheidet sich stark von den Empfehlungen einiger anderer Länder. Unter anderem Finnland, Grossbritannien, Schweden haben ihre Behandlungspraxis vor einigen Monaten oder wenigen Jahren geändert und setzen wieder mehr auf psychosoziale Unterstützung und Psychotherapie. Medikamente und Operationen finden nur noch im Rahmen wissenschaftlicher Studien statt.

Strengerer Umgang mit Medikamenten

So ähnlich fordern das auch die hiesigen Kritiker: Bereits vor einigen Wochen kommentierten fünfzehn deutsche Hochschulprofessoren die Leitlinie kritisch, zeigten Probleme auf und forderten eine stärkere Berücksichtigung aktueller Forschung. Der Deutsche Ärztetag – das Parlament der deutschen Ärzteschaft – kritisierte die Leitlinie ebenfalls scharf und forderte einen strengeren Umgang mit Pubertätsblockern und Hormonen.

Und jetzt folgen die beiden grossen Fachgesellschaften in der Schweiz und in Deutschland, die eine Überarbeitung des Leitlinienentwurfs fordern. Der Schweizer Verband schliesst sich der Erklärung der Europäischen Kinder- und Jugendpsychiatrischen Fachgesellschaft (ESCAP) an. Diese mahnt, die wissenschaftliche Evidenz für das «Dutch Protocol» sei sehr schwach, dafür gebe es Hinweise für schwere Gesundheitsschädigungen, die durch Pubertätsblocker und Hormone möglich seien. Medizinethische Grundsätze würden in einigen Ländern nicht eingehalten, vor allem der Grundsatz der «Nichtschädigung» müsse stärker berücksichtigt werden.

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