Blutdruck und Cholesterin kontrollieren und rauchfrei leben – das ist gut für unsere Gefässe. Weshalb Fachleute zudem zur Grippeimpfung raten und wie das persönliche Risiko in Zukunft noch besser erkannt werden kann.

Frank Ruschitzka hatte schon viele Notfälle erlebt, aber solch einen noch nie: Ein älterer Herr fiel im Restaurant direkt vor seinen Füssen um und blieb reglos liegen. Ein grösseres Glück im Unglück eines Herzinfarktes war kaum möglich: Ruschitzka ist Direktor der Klinik für Kardiologie am Universitätsspital Zürich und ging gerade mit drei weiteren Herzmedizinern zum Mittagessen. Für Nothilfe war somit gesorgt. Das Restaurant besass sogar einen Defibrillator – allerdings nicht gewartet, die Batterien waren leer. Der ältere Herr überlebte trotzdem und erholte sich gut.

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Nicht alle kommen so glimpflich davon. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit immer noch die häufigste Todesursache. Fast immer hat dabei vor einem Infarkt oder einem Schlaganfall in den Blutgefässen ein schleichender Prozess stattgefunden: Arteriosklerose. Bei dieser «Arterienverkalkung» lagern sich unter anderem Fett, Kalzium und Entzündungszellen in den Innenwänden der Blutgefässe ab. Sie bilden sogenannte Plaques, welche die Blutgefässe zunehmend verstopfen.

Besonders gefährlich sind diese in den Herzkranzgefässen wegen der Herzinfarktgefahr und im Bereich der Halsschlagadern wegen des Risikos eines Hirnschlages. «Arteriosklerose ist für neunzig Prozent der Herzinfarkte und bis zur Hälfte der Schlaganfälle verantwortlich», sagt Stephan Baldus, Leiter der Kardiologie an der Uniklinik Köln.

Eine Frage der Genetik

Je älter wir sind, desto mehr Ablagerungen sammeln sich natürlicherweise in unseren Gefässen an. Ein Stück weit ist die Arteriosklerose somit unvermeidlich. Sie wird aber erst krankhaft, wenn der Blutfluss zu stark eingeschränkt wird. Ob sich in unseren Blutgefässen solche Ablagerungen bilden, hängt aber auch von unserem Lebensstil ab.

Die grössten Risikofaktoren: Rauchen, schlechte Ernährung, wenig Bewegung und Stress. Das Rauchen schadet den Blutgefässen direkt – die anderen Faktoren führen eher zu Übergewicht, hohem Cholesterin und Bluthochdruck und haben so indirekt denselben Effekt. Dann können in der Innenwand leichter Entzündungen entstehen und Immunzellen anlocken – was die Plaques weiter vergrössert.

Die Zahl der Risikopatienten wächst: Während in der Schweiz 2012 rund neun Prozent der Bevölkerung einen erhöhten Cholesterinwert aufwiesen, lag der Wert 2022 bei knapp fünfzehn Prozent.

Auch unsere Gene bestimmen mit, in welchem Umfang Arteriosklerose entsteht. «Rund vierzig Prozent des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind erblich bedingt. Häufen sich solche Krankheiten in der Familiengeschichte, ist es besonders wichtig, auf einen gesunden Lebensstil zu achten», sagt Frank Ruschitzka. Zudem gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. So nimmt bei Frauen nach den Wechseljahren das Risiko eines Herzinfarkts zu.

Aufbrechen ist die grösste Gefahr

Unabhängig davon, inwiefern eine Arteriosklerose genetisch oder durch den Lebensstil bedingt ist, ist es interessant, dass in vielen Fällen das Herzkranzgefäss bei einem Herzinfarkt gar nicht gänzlich verstopft ist. Meist ist es gemäss Ruschitzka so, dass ein Gefäss nur teilweise verschlossen ist, aber die Plaque aufbricht. «Das fürchten wir noch mehr als die Ablagerung an sich», bestätigt Baldus. Dann bestehe die grosse Gefahr, dass sich direkt über der Aufbruchstelle ein Blutgerinnsel bilde oder die losgelösten Teilchen in die feinen Verästelungen der Blutgefässe weiterwanderten.

In beiden Fällen kann es zu einem plötzlichen, gänzlichen Verschluss von Blutgefässen und damit zu einem Herzinfarkt kommen. Welche Plaques eher dazu neigen, aufzubrechen, lässt sich bis anhin noch nicht frühzeitig erkennen. «Die entsprechenden Prozesse sind noch zu wenig verstanden», sagt Ruschitzka.

Baldus und Ruschitzka sind sich aber einig, dass Entzündungen eine wichtige und bisher unterschätzte Rolle spielen. «Je mehr Cholesterin sich ablagert, desto mehr Immunzellen gesellen sich dazu. Diese sorgen für eine Entzündung, welche die Plaques instabil werden und schliesslich aufbrechen lässt», sagt Ruschitzka. Wie bedeutsam das ist, zeige sich auch daran, dass Patientinnen und Patienten mit entzündlichen Autoimmunerkrankungen wie etwa rheumatoider Arthritis oft deutlich früher Herzinfarkte erlitten als andere Menschen.

Weil Entzündungen zu instabileren Plaques führen können, ist es gemäss Ruschitzka insbesondere für Herzpatienten wichtig, Infektionen zu vermeiden. Für diese Personengruppe sei deshalb die Impfung gegen Grippe und Pneumokokken besonders wichtig.

Ablagerungen erkennen

Das Risiko für das Aufbrechen von Plaques lässt sich heute zwar noch nicht frühzeitig abschätzen. Aber dank moderner Bildgebung wie der Computertomografie kann man eine gefährliche Arteriosklerose zunehmend aufspüren, bevor es zu einem Herzinfarkt kommt. Der Goldstandard, um verengte Blutgefässe erkennen und auch gleich behandeln zu können, ist der Herzkatheter. Katheter wie auch Computertomografie kommen allerdings nur zum Einsatz, wenn jemand unter entsprechenden Beschwerden leidet.

Bei Menschen ohne Symptome versuchen die Ärzte das Ausmass der Arteriosklerose vor allem indirekt über Risikofaktoren abzuschätzen. So wird in der Schweiz empfohlen, ab dem 18. Lebensjahr alle drei Jahre und ab dem 40. Altersjahr jährlich den Blutdruck messen zu lassen – ab 40 Jahren zudem alle zwei bis fünf Jahre das Cholesterin.

Mithilfe der Angaben zu Blutdruck, Cholesterin, Alter, Rauchen, Geschlecht und der familiären Krankheitsgeschichte lässt sich das Ausmass der Gefässablagerungen erahnen und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen berechnen. In der Schweiz wird dazu primär der Agla-Rechner verwendet, in Deutschland der SCORE2. Verfügt man über die entsprechenden Blutwerte, kann man den Test auch selber durchführen.

Die Behandlung anpassen

Das Ergebnis bestimmt das weitere Vorgehen. «Je höher das Risiko, desto rigoroser sollten die Therapieziele sein, also etwa die Senkung von Blutdruck und Cholesterin», sagt Baldus. Ist das Risiko erhöht, sind zudem häufigere Kontrolluntersuchungen angezeigt. Dazu können etwa ein Ultraschall der Halsschlagader oder eine Computertomografie gehören. «Welche Untersuchungen sinnvoll sind, wird heute viel individueller als früher entschieden. Wenn wir in Zukunft die Krankheitsprozesse noch besser verstehen, wird eine noch personalisiertere Prävention und Behandlung möglich sein», sagt Ruschitzka.

Was die Therapie anbelangt, so ist klar, dass Bluthochdruck behandelt werden sollte. Ein gesunder Lebensstil ist dabei die erste Massnahme. Genügt die Umstellung nicht, sind blutdrucksenkende Medikamente notwendig. Was den Risikofaktor Cholesterin anbelangt, vermögen Statin-Tabletten gemäss Ruschitzka das schädliche LDL-Cholesterin zu senken – und auch das Wachstum von Plaques zu verlangsamen und diese stabiler zu machen: «Aber nicht jeder Patient profitiert davon. Nutzen und Risiko einer Behandlung sind sorgfältig abzuwägen. Zudem gilt: je höher das kardiovaskuläre Risiko, desto grösser der zu erwartende Nutzen.»

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Innovationen in Sicht

Was die Diagnostik der Zukunft anbelangt, rechnet Baldus damit, dass verbesserte Bildgebung, künstliche Intelligenz und Biomarker im Blut es in Zukunft ermöglichen werden, das Ausmass der Arteriosklerose beim Einzelnen präziser zu bestimmen. Gleichzeitig arbeiten die Kardiologen darauf hin, bei der Diagnose bald besser abschätzen zu können, wie gross die Gefahr ist, dass Plaques aufbrechen.

Und sie hoffen, in Zukunft die Entzündungen in den Plaques stoppen und damit deren Wachstum bremsen zu können. Ruschitzka und Baldus sind überzeugt davon, dass sich die antientzündliche Behandlung mit Medikamenten in den nächsten Jahren deutlich verbessern wird. «Das wird neben dem Senken von erhöhtem Cholesterin und Blutdruck ein grosser Hebel, um Arteriosklerose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verhindern», sagt Baldus.

Prävention stärken

Gleichzeitig ist es aus Sicht der beiden Kardiologen aber auch nötig, die Prävention zu stärken. «Die hohe Zahl kardiovaskulärer Erkrankungen und Todesfälle gilt als Hauptursache dafür, dass Deutschland in Westeuropa die niedrigste Lebenserwartung aufweist», sagt Baldus. Wichtig wäre vor allem, genetisch bedingt erhöhtes Cholesterin schon bei Kindern zu erkennen und bereits junge Erwachsene zu Untersuchungen einzuladen, um Risikofaktoren frühzeitig auszumachen.

Verbesserungen sind gemäss Ruschitzka zudem bei Notfallmassnahmen nötig: «Je früher Ersthelferinnen und Ersthelfer mit der Herzdruckmassage beginnen, desto grösser ist die Überlebenschance.» Einen Mitstreiter für seine Idee, entsprechende Workshops vermehrt in Schulen, Unternehmen und Gemeinden anzubieten, hat er bereits gefunden: den genesenen Mann, der im Restaurant vor seinen Füssen umgekippt war und sich in Zukunft für mehr Herzgesundheit einsetzen will.

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