«Die Affäre Cum-Ex» erzählt den Skandal als atemlosen, gewitzten Thriller. Inklusive Showdown in Zürich.
In der Vorstellung ist es eigentlich ein reizvolles Bild: Ein Ehepaar mit Nachwuchs hat Anspruch auf Kindergeld. Wenn nun aber der Vater und die Mutter für dasselbe Kind Unterstützung beantragen und doppelt einkassieren, ohne dass der Staat etwas bemerkt, ist etwas faul. Dann wird es kriminell. Das ist Cum-Ex, vereinfacht formuliert.
Man kennt den Begriff, der seit Jahren in den Medien kursiert, er meint: Steuerhinterziehung – im ganz grossen Stil. Wo es im Beispiel um Familienzulagen ging, geht es in Wirklichkeit um Anleihen, Leerverkäufe und Dividendenstichtage. Seit 2005 haben Banken und Investoren mit der Cum-Ex-Masche ungeniert abkassiert. Alles im Rahmen des Rechts, sogar von Anwälten initiiert und kontrolliert. Eine schmale Lücke im Gesetz hat es möglich gemacht. Der Schaden ist enorm: Laut den Machern der Serie «Die Affäre Cum-Ex» wurden Finanzämter europaweit um insgesamt 146 Milliarden Euro betrogen – und das ist nur die offizielle Zahl.
Der Drehbuchautor und Show-Runner Jan Schomburg hat sich für die deutsch-dänische Koproduktion in die Materie eingearbeitet: Einmal habe er «für zirka eine Stunde» zu wissen geglaubt, wie genau Cum-Ex funktioniere. «Aber wenn es um die Einzelheiten geht, hat man als Normalsterblicher fast keine Chance.» Deshalb hält sich auch sein unterhaltsamer Achtteiler nicht lange mit Details und Erklärungen auf. «Das Entscheidende», sagt Schomburg im Gespräch mit der NZZ, «ist, die Strukturen freizulegen.» Er will zeigen, dass es «eine politische Agenda gibt und Leute, die versuchen, die Gesetzgebung zu beeinflussen, die auch Gutachten kaufen.» Dahinter stecke «eine riesige Industrie».
Zum Schwindligwerden
Die Serie verliert keine Zeit, ihre Prämisse aufzufächern: Zu Beginn versucht auch der Steueranwalt Bernd Hausner (Justus von Dohnányi), den anderen Anwälten in seiner Kanzlei die Betrugsmasche zu vermitteln. Und kaum hat er seinen Kollegen den Plan mithilfe einer Pfandflasche bei der Leergutrückgabe im Supermarkt deutlich gemacht, herrscht bald Einigkeit im vollbesetzten Konferenzsaal. «Das Geld kommt von der deutschen Steuerbehörde, vom Finanzamt, so ‹no worries›», legt Hausner nach. Den Staat mit seinen eigenen Mitteln zu hintergehen, damit hat hier keiner ein Problem.
Der Startschuss ist gegeben für eine atemlose Jetset-Story, die sich vornehmlich zwischen Deutschland und Dänemark abspielt, aber gleichzeitig kreuz und quer in Europa und der ganzen Welt ihre Kreise zieht. Die Handlung springt räumlich und zeitlich. Dabei kann einem schwindlig werden. Auch bei den Beträgen, mit denen hier hantiert wird.
Während Hausner und sein junger Adjutant Sven Lebert (Nils Strunk) Zeit mit Geld gleichsetzten, um ihren Plan voranzutreiben, ist die Atmosphäre auf dänischer Seite sachlicher, weniger hitzig. Aber nicht weniger emotional. Denn hier dürfen Nebenfiguren wie der Steuerbeamte Niels Jensen (David Dencik) sogar ein unglückliches Privatleben haben ausserhalb der sterilen Räumlichkeiten der Zoll- und Steuerbehörde Skat, wo der Angestellte den Betrug als erster entdeckt.
Wie im Film «The Big Short»
Inspiriert von Oliver Schröms Sachbuchbestseller «Die Cum-Ex-Files» verschafft die Serie einen unterhaltsamen Einblick in die komplexen Zusammenhänge der Affäre. Gemeinsam mit anderen deutschen und dänischen Investigativ-Reportern hat der Journalist jahrelang in der Angelegenheit recherchiert, um der heute mehrfach verurteilten Cum-Ex-Schlüsselfigur Hanno Berger und seinem ehemaligen Geschäftspartner Kai-Uwe Steck auf die Spur zu kommen. Dass die Handlung mit dem Einstieg in die Prozessverfahren endet, ist dramaturgisch klug. Spannender als mit der Kamera im Nacken der Strippenzieher wird es im Gerichtssaal nicht.
Schomburg greift die relevanten Figuren und Hintergründe auf, lässt sich in der Inszenierung aber ähnlich wie Adam McKay in seiner wütenden Groteske «The Big Short» über die Banken- und Finanzkrise von 2008 nicht von den Fakten den Spass verderben. Auch er setzt auf Witz und Empathie. Für ihn sei «Fargo» von den Coen-Brüdern die entscheidende filmische Referenz, sagt der Autor und Regisseur, weil es dort auch nur eine Person gebe, «die irgendwie sexy ist – Frances McDormands Polizistin. Alle anderen Figuren beobachtet man aus einer gewissen Distanz im Sinne einer Dostojewski-Tragödie».
Das Herz der Geschichte ist deshalb nicht das Team Hausner und Lebert, sondern ein Frauenduo, das unabhängig voneinander auf deutscher und dänischer Seite agiert: Wesentlich für den Erfolg sowohl der Ermittlungen als auch der Serie ist die resolute Kölner Staatsanwältin Lena Birkwald (Lisa Wagner, angelehnt an die ehemalige Chefermittlerin Anne Brorhilker), die dem Misstrauen, der Korruption und der toxischen Männlichkeit in ihrem Umfeld stets mit einem rauen Charme Paroli bietet.
In Kopenhagen lässt derweil die Finanzbeamtin Inger Brögger nicht locker. Auch sie bäumt sich mit ihrem ausgeprägten Rechtsbewusstsein gegen ihre Vorgesetzten, die Bankenlobby und politische Interessenvertreter auf, um den Steuerschwindel zu analysieren – und muss dafür zahlen, als sie sich letztlich entschliesst, mit dem Skandal an die Öffentlichkeit zu gehen.
Finale Trüffelpasta in Zürich
«Die Affäre Cum-Ex» zieht ihre Thriller-Energie aus diesem Konflikt zwischen Gut und Böse, Geld und Gewissen, Wahrheit und Lüge. Hat man das Schema einmal durchschaut, stellt sich trotz dem angezogenen Tempo und einem bis in die Nebenrollen erstklassig besetzten Ensemble (Martin Wuttke, Fabian Hinrichs, Bjarne Henriksen) streckenweise eine gewisse Trägheit ein.
Dieser weiss Schomburg mit kleinen Spitzen entgegenzuwirken, indem er etwa die mögliche Verwicklung des scheidenden deutschen Kanzlers Olaf Scholz (in seiner damaligen Position als Erster Bürgermeister Hamburgs) ins Spiel bringt. Oder wenn Birkwald sich mit dem in die Schweiz geflüchteten Hausner zum Finale in einem Zürcher Nobelrestaurant (gedreht wurde allerdings im Berliner Hotel «Savoy») einen verbalen Schlagabtausch bei Trüffelpasta und Wein liefert. Resigniert hat der Anwalt in dem Moment längst eingesehen: Millionen zu verdienen ohne Rücksicht auf Verluste, tut einem nicht gut. Man sieht es in seinen müden Augen. Auch doppeltes Geld ist am Ende nichts wert.