Freitag, Oktober 11

Die niedrigeren Steuern sind ein wichtiger Grund, weshalb sich viele Neu-Pensionierte für einen Kapitalbezug bei der beruflichen Vorsorge entscheiden. Mit den Steuervorteilen könnte es aber bald vorbei sein.

Soll man sich das Pensionskassenguthaben auszahlen lassen oder eine lebenslange Rente beziehen? Bei der Pensionierung entscheiden sich immer mehr Versicherte für Ersteres. Im Jahr 2023 haben sie von ihren Pensionskassen Alterskapital im Volumen von 14,8 Milliarden Franken bezogen, wie die provisorischen Werte der Pensionskassenstatistik des Bundesamts für Statistik (BfS) zeigen.

Dies ist mit Abstand der höchste Stand der vergangenen Jahre – und damit setzt sich der Trend der vergangenen Jahre hin zu immer höheren Kapitalzahlungen aus den Pensionskassen fort. Im Jahr 2015 betrug das Volumen der Kapitalleistungen der Pensionierung erst 6,3 Milliarden Franken, 2018 waren es knapp 8 Milliarden Franken.

37 Prozent wählen den vollen Kapitalbezug

Laut dem Pensionskassen-Beratungsunternehmen C-Alm bezogen im Jahr 2022 rund 44 Prozent der ständig ansässigen Rentenbezüger eine monatliche Rente aus der Pensionskasse, während sich 37 Prozent für einen vollständigen Kapitalbezug entschieden hatten. 19 Prozent wählten einen Mix aus Rente und Kapital.

Wie der Think-Tank Avenir Suisse mitteilt, ist der Anteil der Neurentner, die sich ihr Vermögen aus der Pensionskasse ganz oder teilweise auszahlen liessen, zwischen 2015 und 2022 um 7 Prozentpunkte auf 56 Prozent gewachsen. Auch der Medianbetrag der entsprechenden Auszahlungen legte zu, und zwar von 85 000 auf 114 000 Franken.

Gesetzlich sind Pensionskassen laut C-Alm verpflichtet, den Versicherten bei der Pensionierung auf deren Wunsch hin mindestens einen Viertel des obligatorischen Altersguthabens als Kapitalbezug zur Verfügung zu stellen. Viele Kassen erlauben ihnen aber, einen grösseren Teil oder gar das ganze Kapital zu beziehen.

Steuern, niedrigere Renten und Fehlberatungen

Finanzberater und andere Fachleute machen mehrere Gründe für die immer grössere Popularität von Kapitalbezügen verantwortlich.

Niedrigere Umwandlungssätze: Zunächst einmal dürften die niedrigeren Umwandlungssätze beim verstärkten Kapitalbezug aus den Pensionskassen eine Rolle spielen. Laut dem Beratungsunternehmen Complementa betrug der durchschnittliche Umwandlungssatz der Pensionskassen in der Schweiz für 65-jährige Versicherte in diesem Jahr 5,23 Prozent. Bei einigen Kassen liegt er unter 5 Prozent.

Um die systemwidrige Umverteilung von aktiven Versicherten zu Rentnern zu reduzieren, haben Pensionskassen in den vergangenen Jahren flächendeckend die Umwandlungssätze reduziert. Dies hat den Kapitalbezug relativ gesehen attraktiver gemacht.

Beim Renteneintritt einer Person wird das vorhandene Vermögen in der Pensionskasse mit dem sogenannten Umwandlungssatz multipliziert, daraus ergibt sich die jährliche Rente. Hat jemand also ein Pensionskassenvermögen in Höhe von 500 000 Franken, und der Umwandlungssatz beträgt 5 Prozent, so ergibt dies eine jährliche Rente von 25 000 Franken.

Laut einer Präsentation der Pensionskasse des Bundes (Publica) am diesjährigen Vorsorge-Symposium des VPS-Verlags ist zwischen der steigenden Quote an Kapitalbezügen und den Senkungen der Umwandlungssätze der Pensionskassen eine Korrelation zu beobachten.

Auch wenn die gesunkenen Umwandlungssätze mancher Pensionskassen niedrig aussehen, sind es trotzdem zumeist gute Konditionen für die Versicherten. In einem Umwandlungssatz von 5 Prozent stecke eine lebenslange, implizite Zinsgarantie von mehr als 2 Prozent, sagt Ueli Mettler, Partner bei C-Alm. «Man findet keine private Lebensversicherungspolice, die eine höhere Zinsgarantie beinhaltet.» In der Realität gehen aber anscheinend viele Pensionäre davon aus, auf eigene Faust eine höhere Rendite erwirtschaften zu können. Vielen scheint dabei nicht bewusst zu sein, dass das Kapital bis zum Lebensende reichen muss.

Steuerliche Gründe: Der Kapitalbezug hat ausserdem steuerliche Vorteile gegenüber der Rente. «Steuerlich ist der Kapitalbezug attraktiver als die Rente, da er nur mit der im Vergleich zur Einkommenssteuer moderaten Kapitalleistungssteuer belastet wird», sagt Mettler. Das Beispiel eines Ehepaares in der Gemeinde Solothurn zeigt dies (vgl. Tabelle): Das Paar muss über seine Lebenszeit hinweg deutlich weniger Steuern bezahlen, wenn es sich bei der Pensionskasse der Frau für den Kapitalbezug entscheidet.

Am meisten Steuern bezahlt das Paar beim Bezug der Rente, nämlich 86 250 Franken mehr als beim hundertprozentigen Kapitalbezug. Bei einem Teilbezug liegt die Steuerbelastung dazwischen.

«Es hängt auch noch vom jeweiligen Kanton ab, wie gross die Steuervergünstigungen sind», sagt Finanzplaner Daniel Hausherr von der Beratungsfirma Consult in Finance. Dabei müsse man sich genau informieren. Bei einigen Kantonen ist die Besteuerung der Kapitalbezüge wesentlich moderater als die Einkommenssteuer.

Wie lange dies allerdings noch so sein wird, ist eine andere Frage. Der Bundesrat hat erst im September dieses Jahres angekündigt, wie er im Bundeshaushalt sparen will, und hat dabei auf die Vorschläge der Expertengruppe um den ehemaligen Bundesfinanzverwalter Serge Gaillard zurückgegriffen. Dabei stehen auch die Steuerprivilegien in der beruflichen und privaten Vorsorge auf der Kippe. Laut Medienberichten soll die Steuerbelastung auf Kapitalbezügen in Zukunft in etwa derjenigen bei Rentenbezügen entsprechen. «Wenn das Steuerprivileg tatsächlich fällt, ist dieses Argument für den Kapitalbezug vom Tisch», sagt Hausherr.

«Das Pensionskassen-Guthaben sollte man nie riskieren»

Es gibt viele Fehlberatungen: Auch Pensionsberatungen sind ein Faktor dafür, dass sich mehr Versicherte für den Kapitalbezug entscheiden als für die Rente. Selbst in als seriös geltenden Finanzhäusern komme es vor, dass Berater Kunden empfehlen, das Kapital zu beziehen, obwohl die Rente die bessere Wahl wäre, sagt Hausherr. Schliesslich hätten die Finanzinstitute ein Eigeninteresse daran, dass die Kunden das Kapital beziehen, denn anschliessend kämen sie oft bei der Verwaltung des Vermögens zum Zug. So können sie Gebühren einnehmen, und die Kunden bleiben ihnen erhalten.

Noch schlimmer sind indessen Anbieter, die mit unrealistischen Renditeversprechen werben und den Leuten empfehlen, ihr aus der Pensionskasse bezogenes Geld in unseriöse Anlagevehikel einzuzahlen. Sparer und Anleger sollten sich an eine einfache Regel halten, sagt Hausherr: «Das Pensionskassen-Guthaben sollte man nie riskieren.»

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