Samstag, Dezember 21

Der Prozess gegen ihn sei eine Prüfung von Gott, sagt der gläubige muslimische Firmeninhaber.

Während eines Vorstellungsgesprächs soll ein heute 37-jähriger Firmeninhaber vor zwei Jahren eine damals 20-jährige Bewerberin sexuell genötigt haben. Wie so oft steht Aussage gegen Aussage. Die Öffentlichkeit ist vom Prozess am Bezirksgericht Zürich ausgeschlossen worden. Den akkreditierten Gerichtsberichterstattern sind strenge Auflagen erteilt worden, um das Opfer zu schützen, so dass in diesem Bericht viele Details zu den Personen fehlen.

Für den Fall wichtig ist allerdings, dass der Beschuldigte ein Schweizer Familienvater muslimischen Glaubens ist, der in seiner Szene einen grossen Bekanntheitsgrad besitzt und auch im Internet sehr präsent ist. Das Vorstellungsgespräch für einen Teilzeitjob im administrativen Bereich fand abends um 20 Uhr 30 im Büro seines Geschäfts statt. Es handelt sich um eine Branche, in der es normal ist, bis 23 Uhr zu arbeiten, wie der Beschuldigte im Gerichtssaal sagt.

Im Büro steht ein Sofa. Gemäss Anklage bat der Beschuldigte die junge Frau, sich neben ihn aufs Sofa zu setzen. Dann soll er sie gepackt und begonnen haben, sie am Hals zu küssen. Er soll ihren Genitalbereich berührt und minutenlang versucht haben, mit dem Finger einzudringen. Dann sei er aufgestanden, habe seine Hose geöffnet und versucht, die Frau mit Gewalt zu Oralverkehr zu nötigen.

Als die Bewerberin – immer gemäss Anklageschrift – gesagt habe, dass sie nach Hause wolle, habe er die Türe abgeschlossen. Er habe ihr das Mobiltelefon weggenommen und mehrfach gesagt, dass er sie nicht nach Hause lasse, weil er nicht wolle, dass sie zur Polizei gehe. Er habe sie dann nach Hause gefahren, um zu verhindern, dass sie zur Polizei gehe, und ihr erst bei der Ankunft das Handy wieder zurückgegeben. Der Beschuldigte wurde am folgenden Tag verhaftet und sass zwei Tage in Haft.

Freiheitsstrafe von drei Jahren gefordert

Die Staatsanwältin hat mehrfache sexuelle Nötigung, mehrfache Freiheitsberaubung, mehrfache Nötigung und mehrfache sexuelle Belästigung angeklagt und verlangt eine Freiheitsstrafe von 36 Monaten. Dabei handelt es sich um eine Gesamtstrafe unter Einbezug einer zu widerrufenden bedingten Vorstrafe wegen Betrugs von 21 Monaten aus dem Jahr 2020. Der Beschuldigte hatte Ausweise für Nothelferkurse ausgestellt, ohne dass diese Kurse absolviert worden waren.

Vor Bezirksgericht wird auch die junge Frau noch einmal ausführlich befragt. Sie begegnet dem Beschuldigten dabei aber nicht. Die Befragung wird mit Video in einen anderen Raum übertragen.

Die Privatklägerin erzählt, der Termin sei per Whatsapp abgemacht worden. Als sie im Büro angekommen sei, sei es aber gar nicht um den Job gegangen. Zuerst habe sie sich gar nichts gedacht, als sich der Beschuldigte mit ihr aufs Sofa gesetzt habe, weil sie ihn bereits als Kundin gekannt und er immer einen seriösen Eindruck auf sie gemacht habe.

Er habe auf dem Sofa angefangen, sie intim zu berühren. Sie habe gesagt, er solle aufhören, doch er habe einfach weitergemacht. Er sei dann aufgestanden und habe mit Gewalt ihren Kopf gegen seinen Penis gedrückt. In der ersten polizeilichen Befragung hatte sie erklärt, den Beschuldigten deshalb in den Penis gebissen zu haben. Bei der ärztlichen Untersuchung nach der Anzeigeerstattung wurden aber keinerlei Verletzungen am Penis des Beschuldigten festgestellt.

Es sei ihr aufgefallen, dass der Beschuldigte sehr viel über Religion geredet und sich diesbezüglich sehr widersprüchlich verhalten habe. Sie sei selber nicht religiös. Der Beschuldigte habe zu ihr gesagt, sie könnten mit seiner Ehefrau zusammen einen Dreier machen, sie müsse dabei aber ein Kopftuch tragen. Andererseits habe er ihr aber auch gesagt, sie solle seiner Ehefrau nichts erzählen, weil sonst die Ehe kaputtgehe.

«Es ist eine Prüfung von Gott»

Auf die Frage des Gerichts, weshalb ihn die junge Frau falsch beschuldigen sollte, antwortet der 37-jährige Familienvater, er mache sich keine Gedanken darüber, er sei sehr religiös. Der Vorwurf sei jetzt halt Teil seines Lebens. «Es ist eine Prüfung von Gott, die ich akzeptiere.» Vielleicht sei es der Frau um Aufmerksamkeit, Neid oder eine finanzielle Entschädigung gegangen.

Er schäme sich, dass er an jenem Abend «eine rote Linie überschritten» habe. Oberflächliche Berührungen gibt er zu. Die Initiative zu Intimitäten sei aber klar von der Frau ausgegangen. Sie habe ihm gesagt, sie finde sein Firmenkonzept cool und verfolge ihn auf Instagram. Das sei für ihn nichts Aussergewöhnliches. Viele folgten ihm in den sozialen Netzwerken. Er habe sich durch ihr Verhalten hinreissen lassen. Er habe aber keine intimen Stellen berührt und seine Hosen immer anbehalten.

Die Richter wollen genauer wissen, wie und weshalb das Zusammentreffen plötzlich geendet hat. Der Beschuldigte sagt, er habe am Abend halt noch unbedingt ins Fitnesstraining gewollt.

Die Staatsanwältin hebt in ihrem Plädoyer vier Vorstrafen des Beschuldigten hervor, die allerdings nicht einschlägig sind. Das zeige doch, dass seine moralische Linie nicht so verlaufe, wie er es gerne hätte. Es habe ein wesentliches Machtgefälle zwischen ihm und der Privatklägerin bestanden. Der Anwalt der jungen Frau beantragt eine Genugtuung von 10 000 Franken.

Der Verteidiger plädiert auf einen vollumfänglichen Freispruch. Es sei nicht ein reines Vier-Augen-Delikt, auch die Abwesenheit von objektiven Beweismitteln spreche Bände. So seien keinerlei gegenseitige DNA-Spuren gefunden worden. Er bezichtigt die Frau zahlreicher nachweislicher Lügen und Widersprüche. Es sei eine beachtliche und perfide Leistung, wie die Frau auf immer wieder neue Unwahrheiten komme. Die Version seines Mandanten sei stringent, glaubhafter und lebensnäher.

Abruptes Ende des Treffens «sehr seltsam»

Das sieht das Bezirksgericht nach einer aussergewöhnlich langen Beratung dann aber überhaupt nicht so. Der Beschuldigte wird zu einer vollziehbaren Freiheitsstrafe von 20 Monaten und einer Busse von 500 Franken verurteilt.

Die bedingte Vorstrafe wird hingegen nicht widerrufen und deren Probezeit um ein Jahr verlängert. Er ist der sexuellen Nötigung, der Nötigung und der sexuellen Belästigung schuldig. Vom Vorwurf der Freiheitsberaubung und der Nötigung im Zusammenhang mit der Autofahrt wird er freigesprochen. Die Privatklägerin erhält eine Genugtuung von 7000 Franken.

Der Gerichtsvorsitzende hält fest, die Aussagen der jungen Frau seien schon sehr überzeugend und glaubhaft. Sie habe sehr viele Besonderheiten und Details geschildert, die sie erlebt haben müsse. Tatsächlich gebe es dabei auch Widersprüche, grundsätzlich blieben die Aussagen aber trotzdem glaubhaft. Beim Beschuldigten falle hingegen auf, dass die Schilderungen auch jener Sachverhalte, die er zugebe, sehr dürftig ausgefallen seien.

Seine Aussage, wonach er von der jungen Frau verführt worden sei, gehe schon nicht ganz auf. Sehr seltsam und nicht nachvollziehbar sei vor allem das abrupte Ende des Treffens, weil er angeblich ins Training habe gehen wollen.

Dass die Frau im Büro eingeschlossen worden sei, lasse sich hingegen nicht erstellen. Und auch eine Freiheitsberaubung und Nötigung durch die Autofahrt sei nicht bewiesen. Bei vier Vorstrafen könne keine günstige Prognose mehr gestellt werden, und die Freiheitsstrafe müsse vollzogen werden.

Urteil DG240020 vom 4. 10. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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