Mittwoch, Januar 15

Die Stadt hatte das Bauprojekt noch für den «Erhalt des wertvollen Baumbestands» gelobt.

Bäume liegen der Stadt Zürich am Herzen. Zumindest erwecken die offiziellen Verlautbarungen diesen Eindruck. «Gerade auch wegen der Klimaerwärmung sind Bäume für die Stadtökologie von enormer Bedeutung», sagte Stadträtin Simone Brander (SP) vergangenen Herbst.

Erst wenige Monate ist es her, seit sich die Stadt von den Stimmberechtigten einen umfassenden Plan für eine grünere Stadt hat genehmigen lassen. Damals nahmen sie den stadträtlichen Gegenvorschlag zur Stadtgrün-Initiative an. Kostenpunkt: 130 Millionen Franken innerhalb eines Jahrzehnts.

Für dieses Geld stellt das Tiefbauamt unter Stadträtin Brander eigens Begrünungsfachleute an. Sie setzt sogar künstliche Intelligenz ein, um im Strassenraum nach möglichen Standorten für Bäume zu suchen.

Doch während die Stadt einerseits händeringend nach Möglichkeiten für Pflanzungen sucht, wird andererseits keine Rücksicht auf Bäume genommen. Dies zeigt ein Fall aus Zürich-Altstetten. Ein Fall, der die Frage aufwirft, wie ernst es der Stadt mit der Begrünung wirklich ist.

Der «sorgfältige Umgang»

Das Landstück, um das es geht, gehört der Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich, eine Stiftung in Besitz der Stadt. Die Alterssiedlung Werdhölzli liegt in Altstetten zwischen Sportanlagen und Werdinsel: Eine Siedlung mit 41 Alterswohnungen, 1973 erbaut. Teil der Anlage war bis vor kurzem ein Park mit einem Wäldchen.

2020 nahm die Stiftung den Ersatzneubau in Angriff. Die Stiftung führte einen Architekturwettbewerb mit zehn Planungsteams durch. Oben auf der Prioritätenliste: der Erhalt des Baumbestands.

Die Alterssiedlung Werdhölzli

Wörtlich heisst es in der Projektausschreibung: «Im Sinne der Einbettung bestehender Naturwerte und gestalterischer Qualitäten der Anlage in das Quartier ist auf einen sorgfältigen Umgang mit dem Baumbestand zu achten. Insbesondere die Grossbäume auf der nördlichen Seite des Grundstücks sind so weit wie möglich zu erhalten.»

Die Planer liessen sogar ein «Baumgutachten» erstellen. «Erhaltungswürdigkeit hoch», hiess es bei der Mehrheit der Bäume.

Als dann der Bericht des Preisgerichts vorlag, lobte dieses das Siegerprojekt «Wiedehopf». «Der Erhalt der Grossbäume auf der nördlichen Seite wird sehr geschätzt und als stadtklimatischer Beitrag gewürdigt.»

Die Stadt Zürich verschickte eine Medienmitteilung. «Trotz Verdichtung gelingt es dem Siegerprojekt, wertvollen Baumbestand zu erhalten und einen grosszügigen, naturnah bepflanzten Freiraum zu schaffen», heisst es darin. Das «Baublatt» berichtete und hob die frohe Botschaft ebenfalls hervor: «Baumbestand wird erhalten.»

Die Fällung

Doch dann, nachdem sich Dutzende Fachleute über Jahre mit dem zu erhaltenden Baumbestand auseinandergesetzt hatten, verschwand er praktisch über Nacht. Mitte Januar wurden 16 der 18 Bäume gefällt. Pünktlich zum Baustart.

Petra Baumberger, Sprecherin der Stiftung Alterswohnungen, begründet die Baumfällung mit dem Bedarf nach mehr Wohnraum. Man habe entschieden, eine Flanke des geplanten Neubaus zu verlängern. Statt 30 Alterswohnungen können nun 52 gebaut werden.

Es sei «gängiges Vorgehen», dass vom Wettbewerb abgewichen werde und «hinsichtlich Konzeption und Wirtschaftlichkeit optimiert» werde.

Baumberger sagt, man sei «stets bestrebt, im Einklang mit der Natur zu handeln» und «wenn immer möglich wertvollen Grünraum und Bäume zu erhalten». Jedoch: «Bei der Konkretisierung des Projekts ‹Wiedehopf› konnte der Baumbestand trotz aller Sorgfalt nicht im gewünschten Mass erhalten werden.»

Es werde aber Ersatzpflanzungen geben, sagt Baumberger. «Die Baumbilanz ist positiv.»

Kritiker monieren schon lange, dass Bäume bei Bauprojekten vor allem der Dekoration dienten. Auf wohlfeilen Visualisierungen machten sie sich gut. Sobald es aber an die Realisierung gehe, würden sie aus den Plänen gestrichen.

Die Stadt: viele Stellen – keine Handhabe

Doch weshalb hat die Stadt als Eigentümerin der Stiftung nicht Einfluss auf den Umgang mit dem Baumbestand genommen? Der von der Stadt angekündigte Aktionsplan sieht nämlich nicht nur Beratungen von Privaten vor. Sondern auch die Förderung «hitzemindernder Massnahmen bei Eigenwirtschaftsbetrieben».

Zwanzig Stellen wurden mit dem Stadtgrün-Urnengang im Herbst geschaffen – eigens dafür, dass überall in der Verwaltung ein Augenmerk auf Bäume gelegt wird. Auch eine Fachstelle wurde zu diesem Zweck ins Leben gerufen.

Zwar handelt es sich bei der Stiftung Alterswohnungen nicht um einen Eigenwirtschaftsbetrieb, aber doch um eine städtische Institution und stadteigenes Land.

Bei Grün Stadt Zürich heisst es dazu, man habe im vorliegenden Fall keine Handhabe gehabt, weil die Bäume nicht auf öffentlichem Grund gestanden hätten und nicht geschützt gewesen seien.

Und beim Baubewilligungsverfahren handle es sich um ein privates Geschäft zwischen Bauwilligen und Behörde. Eine Sprecherin sagt: «Es lässt sich nicht verhindern, dass durch die rege Bautätigkeit in der Stadt und Naturereignisse der Baumbestand geschmälert wird.»

Gemäss der Stiftung Alterswohnungen war Grün Stadt Zürich zwar «im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens in den Prozess involviert». Einen Effekt auf den Baumbestand hatte dies aber offensichtlich nicht.

Wer eine Vernetzung verschiedener städtischer Stellen erwartet, liegt falsch.

Gemäss Fachleuten müsste es für die öffentliche Hand eigentlich oberste Priorität haben, alte, schattenspendende Bäume zu erhalten. Stefan Stevanovic von der Forschungsgruppe Pflanzenverwendung der ZHAW in Wädenswil sagt gegenüber der NZZ, Bäume seien vor allem in den ersten zwei Lebensjahrzehnten anfällig. Danach hätten sie meist das Grundwasser erreicht und seien in der Lage, auch Hitzewellen zu überstehen.

Die Aufzucht von Jungbäumen ist hingegen aufwendig, weil diese intensive Pflege benötigen und viele von ihnen dann doch absterben. Über die Kosten für diese Aufzucht gibt Grün Stadt Zürich keine Auskunft: Dies sei abhängig von Standort, Baumart und Pflegemassnahmen, heisst es bei der Medienstelle.

Die Stadt hat das Ziel von 25 Prozent Kronenfläche auf dem Siedlungsgebiet bis 2050 herausgegeben. Heute sind es 15 Prozent, wie die Stadt mittels Flugzeug und Laserstrahlen hat ermitteln lassen. Die Tendenz ist sinkend. Man müsse «mit Hochdruck» an einer Trendumkehr arbeiten, so Simone Brander im vergangenen Herbst.

Die Stadt macht dafür die privaten Grundeigentümer für den Baumkronenschwund verantwortlich. Auf diese habe sie leider kaum Einfluss.

Doch das Beispiel Werdhölzli zeigt: Auf stadteigenem Land ergeht es den Bäumen nicht unbedingt besser.

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