Die labyrinthische Kriminalgeschichte von Wei Shujun spielt grandios mit der Lust am Genre.
Es gibt Filme, in denen es in jeder Szene regnet und man möchte, dass es nie mehr aufhört. Tropfen sammeln sich auf den Fenstern, das Licht zerbricht in tausend Teile im feuchten Nebeldunst, und von den Wimpern der Figuren löst sich eine Nässe, von der man nicht sagen kann, ob es sich um Tränen oder Regen handelt. Die Wahrnehmung verliert sich in sanftem Geplätscher und grauer Tristesse, und eigentlich ist egal, was genau geschieht, man folgt allem wie im Halbtraum. Wei Shujuns «Only The River Flows» ist ein solcher Film, somnambul und unwirklich, eine labyrinthische Kriminalgeschichte, die sich ästhetisch labt in fast vergessenen Freuden des Kinos.
In den neunziger Jahren angesiedelt, folgt der Film dem Ermittler Ma Zhe (gespielt mit Lederjackencoolness von dem Starschauspieler Zhu Yilong) in die chinesische Provinz, wo sich drei Morde zutragen. Zunächst wird die Leiche einer mit einer scharfen Waffe am Hals versehrten älteren Dame am Flussufer gefunden, und Ma Zhe erhält den Befehl, den Fall so schnell wie möglich zu lösen. Aber ein immer uneindeutiger werdendes Gemisch aus Zeugen, Beweisen, Zusammenhängen und neuen Verbrechen verunmöglicht jedwede Wahrheitsfindung, der Ermittler stürzt nach und nach in eine existenzialistische Krise.
Dabei rückt vor allem der «Verrückte» im Dorf, ein Mann, der am Fluss umherirrt und nicht spricht, ins Visier der Nachforschungen. Ist er der Täter, oder ist das nur die einfachste Lösung, um das Verbrechen aufzuklären? Auch traurig dreinschauende Frauen und eigentlich unschuldige Männer, die etwas verbergen, tauchen auf. Originell ist das alles nicht, aber genau das ist der Punkt.
Schräger Humor
Wei Shujun begreift, dass die Lust am Genrekino, in diesem Fall am Neo-Noir, viel mit der Rückkehr in bekannte Gebiete zu tun hat. Nicht nach Relevanz schielende oder besonders ausgefallene Plot-Konstruktionen sind entscheidend, sondern die Aufladung des Immergleichen mit einer eigenen Mischung aus Anspannung, Bedrücktheit und Skurrilität.
Tatsächlich beweist der Film schrägen Humor, etwa wenn Ma Zhe eine Tür eintreten will, aber erst einmal mit seinem Bein stecken bleibt. Die ästhetische Abgeklärtheit reibt sich mehrfach am unprofessionellen Verhalten der Figuren. Alle hier agieren so, als lebten sie bereits in einem Film (manch Verdächtiger kennt die Abläufe der Ermittlungen bereits aus Fernsehserien), und gelegentlich werden sie daran erinnert, dass sie Menschen sind und nicht Alain Delon oder Jean-Paul Belmondo.
Wenig subtil sind die Ermittlungsbüros in einem alten Kino eingerichtet, die Polizisten bewegen sich wie Schatten vor der weissen Leinwand, und ihre Arbeit bekommt illusorische Züge. Der Film balanciert zwischen Traum und Wirklichkeit, interessiert sich weniger für seine sinnbildlich hinforttreibende Handlung als deren Verortung im Reich des Kinos. Im Soundtrack hört man passend dazu nicht nur Beethovens «Mondscheinsonate», sondern auch Howard Shores Score zu David Cronenbergs «Crash».
Gefangen in der Stimmung
Eine ausgedehnte Traumsequenz, in der sämtliche Morde aus einer subjektiven Perspektive nacherlebt werden, steht als zentrales Moment dieses filmischen Blicks auf die Welt. Irgendwann löst sich der Protagonist dann vollkommen aus der Handlung, schwimmt verloren in einem Fluss aus Möglichkeiten, die alle keinen Sinn ergeben. Die Auflösung wird hier anders verstanden als normalerweise in Kriminalfilmen, sie gleicht mehr einem Verfall als einer Erklärung.
Manchmal überhebt sich der Film in seinem Bemühen um Kunst. Vor allem die allegorische Schwangerschaft der Partnerin von Ma Zhe schrammt eng an belanglosem Symbolismus vorbei, aber man verzeiht viel, wenn man in dieser Stimmung gefangen ist. Alles ist wie eine Hommage an ein Gefühl, das viele mit dem Kino verbinden: eine Art geheimnisvolle, verführerische Wohnlichkeit.
Doch man darf sich nicht täuschen lassen, denn hinter dem scheinbar puren Kinogenuss versteckt sich eine subversive Geste, welche die chinesische Exekutive in einem absurden Strudel der Unfähigkeit (die Vorgesetzten Ma Zhes spielen lieber Tischtennis, als sich für seine Zweifel zu interessieren) blossstellt und einmal mehr zeigt, wie Gerechtigkeit nur ein möglicher Grund ist, ein Verbrechen aufzuklären. Am Ende zählt nämlich das, was der Öffentlichkeit präsentiert werden kann, und das ist das Gegenteil des Kinos: ein klares Strahlen der bedeutungsschweren Gewissheit statt eines surrealen Regenschleiers des Zweifels.