Donnerstag, Mai 15

Der Konzern verzeichnet überraschend starke Bremsspuren im Geschäft mit Rechenzentren. Ohne Buchgewinne wäre der Vorsteuergewinn im zweiten Quartal gesunken. In den nächsten Monaten stehen eine Menge Belastungen an, etwa durch Altair und den Stellenabbau in der Fabrikautomation.

Auf den ersten Blick hat Europas grösster Industriekonzern Siemens im zweiten Geschäftsquartal bemerkenswert gut abgeschnitten: Trotz aller konjunktureller Unsicherheiten wies Siemens ein Umsatzwachstum von 6% sowie einen um 11% auf 2,4 Mrd. € erhöhten Nettogewinn aus. Bei beiden Metriken und vielen anderen, etwa dem Bestelleingang, übertraf der Konzern die Analystenschätzungen.

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Schaut man allerdings näher ins Zahlenwerk, fallen einige Schwächen und Risiken auf. Dies mag auch die Siemens-Aktie spiegeln, die nach einer starken Entwicklung in den vergangenen Monaten heute mit zeitweise 4% Minus zu den grössten Verlieren im Dax gehört.

Der Gewinn vor Steuern aus fortgeführtem Geschäft stieg im zweiten Quartal nur marginal um 1% auf 3,55 Mrd. €, obwohl Buchgewinne von insgesamt 0,5 Mrd. € aus Verkäufen von Unternehmensteilen (des Wiring-Accessories-Geschäfts sowie einer Beteiligung am Flughafen in Bangalore) das Ergebnis verschönerten. Im Vergleichsquartal des Vorjahres gab es diese kaum, was heisst: Ohne die Buchgewinne wäre der Vorsteuergewinn gesunken.

Das Wachstum der Konzernbestellungen um vergleichbar 9% war massgeblich getrieben durch Grossaufträge im Zuggeschäft sowie gute Orders bei der Medizintechniktochter Siemens Healthineers. Siemens‘ zwei wichtigste Geschäftssäulen «Digital Industries» (DI) und «Smart Infrastructure» (SI) dagegen schwächelten: Bei DI stagnierten die Orders, bei SI gaben sie um 3% nach.

Wie die Rivalen Schneider Electric und ABB hatte auch Siemens in seiner SI-Sparte massiv vom Boom der Rechenzentren profitiert – und verspürte im zweiten Quartal überraschend starke Bremsspuren: Das sogenannte Electrical-Products-Geschäft erhielt 16% weniger Orders als im sehr starken Vorjahresquartal. Dies beruhe auf geringeren Grossaufträgen für Rechenzentren in den USA, erklärte Siemens-CFO Ralf Thomas. Einer der grossen US-Cloud-Anbieter, der sogenannten Hyperscaler, fahre seine Projektaktivitäten zurück. Nach wie vor überträfen die Aufträge für Rechenzentren aber die Umsätze.

In der DI-Sparte, die Industriesoftware und Fabrikautomation umfasst, sinken zum einen die Aufträge für EDA-Software (Electronic Design Automation), da derzeit kaum noch neue Halbleiterfabriken geplant werden. Zum anderen kommt die Fabrikautomation nur sehr allmählich aus ihrem tiefen Tal: Die Umsätze bewegen sich weiter auf niedrigem Niveau.

Siemens verliert in der Fabrikautomation Marktanteile, nach Recherchen von The Market nicht nur in China, sondern auch in anderen Märkten. Um gegenzusteuern, hat der Konzern kürzlich in China 18 neue Automatisierungsprodukte vorgestellt, von denen 16 in China für China entwickelt wurden. CEO Roland Busch berichtete gegenüber Analysten, die Kundenreaktionen seien sehr positiv. Man habe neue Kunden akquiriert und verlorene Kunden zurückgewonnen. Die Investitionen von Chinas Autoindustrie zögen an, die Lager seien abgebaut. Dies sollte sich in den nächsten zwei Quartalen auch in den Zahlen niederschlagen, so Busch.

Siemens bekräftigte zwar den bisherigen Ausblick für das laufende Geschäftsjahr: Der Konzernumsatz soll um 3 bis 7% steigen, der Gewinn je Aktie (EPS) vor Effekten aus der Kaufpreisallokation soll 10.40 bis 11 € erreichen. Der im ersten Geschäftsquartal vereinnahmte Buchgewinn von 2,1 Mrd. € aus dem Verkauf der Antriebstochter Innomotics, entsprechend 2.64 € je Aktie, ist bei dem Jahresgewinnziel herausgerechnet.

Dennoch wirkt das EPS-Ziel mit Blick auf die kleineren Buchgewinne, die Siemens immer wieder realisiert, nicht besonders ambitioniert. Die Auswirkungen der 9,5 Mrd. € teuren Übernahme von Altair auf den Gewinn je Aktie hat Siemens bei der Prognose ausserdem noch gar nicht einkalkuliert. Thomas nannte einen negativen Effekt von voraussichtlich 30 bis 40 Cent je Aktie. Ein operatives Margenziel für den Gesamtkonzern gibt Siemens (anders als die Rivalen ABB und Schneider Electric) nicht aus.

Das Altair-Closing erfolgte Ende März, die angekündigten Synergien sollen nun «zügig» realisiert werden. Siemens hat Kosteneinsparungen von 150 Mio. € versprochen – eine enorme Summe angesichts eines voraussichtlichen Umsatzbeitrags von Altair bis Ende September von rund 300 Mio. € und bei nur 3000 Altair-Mitarbeitern.

Tatsächlich stehen im zweiten Geschäftshalbjahr über die Altair-Integration hinaus eine Menge Belastungen an:

  • Siemens hat im März den Abbau von 6000 Stellen angekündigt, davon 5600 in der Fabrikautomation. Die Verhandlungen mit dem Betriebsrat laufen allerdings noch. Von den konzernweit veranschlagten Restrukturierungskosten von 500 bis 600 Mio. € für das laufende Geschäftsjahr konnten in der ersten Jahreshälfte deshalb erst 173 Mio. € gebucht werden. Der Löwenanteil wird wohl im vierten Quartal anfallen.
  • Auch die Zölle dürften Siemens trotz starker lokaler Fertigung treffen. CFO Thomas schätzt die Auswirkungen bis zum Geschäftsjahressschluss Ende September auf einen hohen zweistelligen oder niedrigen dreistelligen Millionenbetrag. Die Siemens-Tochter Healthineers hatte zuvor schon Belastungen durch Zölle von 200 bis 300 Mio. € veranschlagt.
  • Die Abwertung des Dollars trifft auch Siemens, Details nannte Thomas nicht.

Zum laufenden Strategieprozess, dessen Ergebnisse Busch und Thomas auf einem Kapitalmarkttag im Dezember präsentieren wollen, gab es nichts Neues. Die Anleger hoffen, dass Siemens den 73%-Anteil an Healthineers auf eine Minderheit reduziert oder ganz abgibt. CEO Roland Busch hielt sich heute morgen in der Telefonkonferenz mit Journalisten dazu aber weiter bedeckt. Der CEO gilt als klarer Gegner einer Healthineers-Trennung.

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