Die Kosmetikbranche ist wenig konjunktursensibel. Nivea-Hersteller Beiersdorf hortet noch dazu Milliarden an Cash. Konzernchef Vincent Warnery korrigiert die allzu defensive Strategie behutsam. Diese kontrollierte Offensive könnte die Aktien beflügeln.
Eingecremt und gepflegt wird immer. Und weil das Töpfchen oder Tübchen schnell leer ist, ist der nächste Gang zur Drogerie nie fern. So funktioniert das Geschäft vieler Kosmetikhersteller. Eine möglicherweise langweilige, aber dafür stetige Branche – wenn die Unternehmen ihre Hausaufgaben machen. Beiersdorf aus Hamburg hat genau das getan und zuletzt ein paar Parameter verändert. Für Anleger ist das Unternehmen damit einen zweiten Blick wert, gerade in einem volatilen und unsicheren Umfeld.
Die über die Jahrzehnte wenig veränderte blaue Dose mit der weissen Creme ist der blecherne Markenbotschafter des Unternehmens. Tatsächlich macht Beiersdorf mit der Kosmetik rund 80% seines Umsatzes, den Löwenanteil davon mit Nivea. Die Klebersparte Tesa liefert um die 20%.
Kosmetischer Dreiklang
Gerade das Kosmetikgeschäft ist ein mehr als nur beachtlicher Markt. Das belegt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Eine der Erkenntnisse: Der Umsatz der Industrie soll bis 2027 weltweit jedes Jahr um 6% wachsen und dann bei 580 Mrd. $ liegen. Ein weiterer Befund der Berater lautet, dass die Kunden vergleichsweise treu sind. Zwar probieren 69% der Befragten mindestens alle sechs Monate neue Produkte aus. Aber dafür geben 40% an, ihrer Hausmarke treu zu sein und zu bleiben.
Das heisst: Wenn Beiersdorf sich um seine Kunden kümmert, dann halten sie dem Unternehmen die Treue. Gekümmert wird gleich dreifach. Das Unternehmen hat nämlich ausser dem Tesa-Geschäft drei Kernsegmente. Das erste bedient den Massenmarkt mit Nivea.
Segment zwei bespielt vor allem mit der Marke Eucerin den Bereich der Dermokosmetik: Dahinter verbergen sich Produkte, deren Leistung über die klassische Hautpflege hinausgehen, etwa mit dermatologischem Zusatznutzen.
Und Segment drei kreist um die Marke Le Prairie, die im Hochpreissegment unterwegs ist. Jedem Kunden seine eigene Creme, könnte man über das breit diversifizierte Produktportfolio zugespitzt sagen.
Gräbchen statt Graben
Für Beiersdorf und seine Konkurrenten ist die Herausforderung die gleiche: Bei den Produkten handelt es sich nicht um Medikamente oder technologische Entwicklungen, die für die Konkurrenz unüberbrückbare Hürden für einen Markteintritt bilden. L’Oréal oder Shiseido können also theoretisch jederzeit ähnlichen Nutzwert liefern wie Beiersdorf, und umgekehrt.
Allerdings ist das Wildern bei den Kunden der anderen in der Praxis gar nicht so einfach, weil die Unternehmen seit Jahrzehnten viel in ihre Marken investieren. «Die starke Marke macht Beiersdorf ein Stück weit unangreifbar, sie bildet einen Burggraben», sagt Christian Kahler, Vermögensverwalter bei Kahler & Kurz und Fondsmanager des Kahler & Kurz Aktienfonds, der mit knapp 4% des Fondsvermögens in Beiersdorf investiert ist. «Allerdings einen schwach ausgeprägten Graben», ergänzt er.
Als Burggraben bezeichnet der US-Investor Warren Buffett starke Unternehmenseigenschaften wie Technologieführerschaft in einer Nische oder eben eine starke Marke, die es für die Konkurrenz schwierig macht, in einen Markt einzudringen.
Wie stark die Marke Nivea ist, zeigt die Studie Best Brands des Marktforschungsunternehmens GfK. 2023 wurden wie jedes Jahr der emotionale Aspekt einer Marke ebenso wie deren Profitabilität durchleuchtet. Nivea lag in der Kategorie Best Brand Overall vorn. Mehr noch: Nivea sei die grösste Hautpflegemarke der Welt, notiert Warburg Research in einer jüngsten Analyse. Darin liegt auch der Charme des Unternehmens. So wurden zum Beispiel Preiserhöhungen bei den Kunden durchgesetzt. «Dass das gelingt, belegt auch die gute Position, die das Unternehmen hat», sagt Kahler.
Starke Bilanz mit kleinem Schönheitsfehler
Entsprechend robust kommen die Zahlen von Beiersdorf daher. Der Umsatz lag 2013 bei etwas mehr als 7 Mrd. €, im vergangenen Jahr waren es fast 9,6 Mrd. €. Auch beim Ergebnis vor Zinsen, Steuer und Abschreibungen (Ebitda) geht es seit zehn Jahren aufwärts. 2023 waren es 1,4 Mrd. €, 2026 soll der Ebitda bei 2 Mrd. € liegen, schätzen die Analysten im Durchschnitt. Die Ebitda-Marge, die 2023 14,8% betrug, würde dann auf mehr als 18% steigen.
Dass dabei sogar Luft nach oben bleibt, beweist Konkurrent L’Oréal, der derzeit eine Ebitda-Marge von rund 20% erzielt. Möglich macht das eine höhere kritische Masse etwa in Asien und in Nordamerika, schreibt Jörg Philipp Frey, Analyst bei Warburg Research. Doch unter dem Strich liefert auch das deutsche Unternehmen stetig. «Auf Zehnjahressicht liegt das durchschnittliche Gewinnwachstum von Beiersdorf bei rund 4,5% pro Jahr», sagt Tobias Kroll, Geschäftsführer der Vermögensverwaltung Ringelstein & Partner und mit dem hauseigenen Fonds R+P Universal Fonds ebenfalls Beiersdorf-Aktionär.
Ein markanter Schönheitsfehler aus Sicht so mancher Anleger: Das Unternehmen hält die Firmenkasse besonders fest verschlossen. Die Eigenkapitalquote lag Ende 2023 bei 66%. Darüber hinaus hortet das Unternehmen Barreserven in Höhe von rund 4 Mrd. €, so Warburg Research. Das ist mehr als ein Sechstel des Börsenwerts. Überkapitalisiert, schreibt Warburg weiter. Wie Fondsmanager Kahler sagt: «Eigentlich ist das eine Bank mit Kosmetikabteilung.» Nur dass Beiersdorf, anders als manch gewiefter Banker, mit all dem Kapital wenig Lukratives anzufangen weiss.
Beiersdorf ist denn auch weniger eine Bank, als vielmehr eine riesenhafte, dunkelblaue Spardose. Denn der Hauptgrund für die ausufernden Barreserven ist die Eignerfamilie Herz. Sie hält über das Investmentvehikel Maxingvest etwas mehr als 50% der Anteile des Unternehmens. Das führte bislang zu einem behutsamen Angang bei unternehmerischen Entscheidungen. So zumindest betrachtet es der Fidelity-Fondsmanager Tom Ackermann, der nicht ins Unternehmen investiert ist: «Beiersdorf war immer sehr konservativ, was Dividende und Aktienrückkäufe angeht», sagte er im Juli im Gespräch mit The Market und moniert: «Man kann auch zu konservativ sein. Zur Kapitaldisziplin gehört auch, dass man nicht zehn Jahre lang viel zu viel Cash mit sich herumträgt.»
Manche Anleger schätzen die Resilienz, die so ein Kapitalpolster erzeugt. Für Kahler ist die Aktie «so etwas wie ein Sechser vor der Abwehr, für mehr Stabilität im Depot». Und Kroll von Ringelstein & Partner sagt: «Aus unserer Sicht kann eine hohe Eigenkapitalquote Beiersdorf dabei helfen, seine Innovationskraft auch in wirtschaftlich unsicheren Zeiten zu stärken und gleichzeitig finanzielle Stabilität zu gewährleisten.» Warum dafür 4 Mrd. € Cash notwendig sein sollten statt ein Drittel oder ein Viertel davon, erschliesst sich dem Betrachter allerdings nicht.
Behutsamer Wandel zu etwas mehr Offensive
Doch genau diese Einstellung scheint Konzernchef Vincent Warnery derzeit behutsam aufzuweichen, ohne den konservativen Ansatz zu gefährden. Warnery hatte 2021 das Amt von Vorgänger Stefan De Loecker übernommen.
Unter dem Etikett «Win with Care» will das Unternehmen die eigenen Marken stärken, aber auch Innovationen vorantreiben und in den Märkten wachsen, in denen es bisher noch nicht so stark vertreten ist, wie es sinnvoll erscheint – zum Beispiel in Indien, China, Nigeria und den USA. Dazu hat das Unternehmen sich aufgemacht, seine Position nicht nur im Massenmarkt mit Nivea-Produkten auszubauen, sondern auch in den höhermargigen Segmenten um Dermokosmetik und Luxus.
Das sind nicht nur für die Finanzkennzahlen gute Perspektiven, sondern auch für die Marktposition. Denn damit liesse sich der Burggraben vertiefen, um die Konkurrenz abzuwehren und die Marken- und Margenstärke weiter zu verbessern.
Entsprechend wichtig sind für das Unternehmen neue Produkte wie Epicelline. Mit dieser Creme unter der Flagge von Eucerin sollen sich Zeichen von Hautalterung zurückdrängen lassen. Mit Blick auf eine alternde Gesellschaft dürfte es genügend Kunden geben. Bei Warburg Research zumindest verspricht man sich einiges davon.
Dazu kommt: Unter der Ägide von Warnery sind gut 500 Mio. € für den Rückkauf von Aktien eingeplant. Und von 2020 bis 2023 stiegen die Ausgaben für Forschung & Entwicklung von 246 Mio. auf 320 Mio. €. «Es hat sich etwas verändert», fasst Kahler die Situation zusammen. Für Kroll ist damit klar, dass Beiersdorf nach zahlreichen Umstrukturierungen in der Vergangenheit mittlerweile wieder nachhaltig auf dem Wachstumspfad zurückgekehrt ist. «Hinzu kommt die erste Dividendenerhöhung seit vierzehn Jahren.»
«Ich glaube, dass der Vorstandsvorsitzende Vincent Warnery bei Beiersdorf gute Arbeit macht», sagt Fidelity-Fondsmanager Ackermans. «Die Fortschritte in den letzten Jahren sind sehr erfreulich.»
Defensive Stärke, unter Wert gehandelt
Im Fokus der Anleger stehen die Beiersdorf-Aktien dennoch nicht. «Da mag es auch eine Rolle gespielt haben, dass viele Anleger in Richtung der populären Tech-Aktien geschaut und die vermeintlich langweiligen Papiere etwas übersehen haben», sagt Kahler. In einem unruhigen Umfeld wie derzeit dürfte sich der Fokus wieder stetig in diese Richtung verschieben.
An der Börse sind die Beiersdorf-Valoren ähnlich bewertet wie im langjährigen Schnitt. Das vorwärtsgerichtete Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt bei 27,8. Konkurrent L’Oréal ist mit einem KGV von 28,8 etwas höher eingestuft.
Freilich kann auch ein so behutsam gesteuertes Unternehmen wie Beiersdorf in schweres Wetter geraten. China zum Beispiel hatte sich für das Segment um die Marke La Prairie als schwierig erwiesen. Auch Themen wie etwa Rohstoff- und Energiekosten können das Unternehmen zurückwerfen. Und das Stichwort Innovation ist leichter geschrieben als in die Realität umgesetzt.
Doch auch wenn nicht alle Hoffnungen wahr werden sollten: Die Markenstärke und die behutsame Kursänderung unter neuem Management spiegeln sich noch nicht ausreichend im Börsenkurs. Das ist eine Gelegenheit für sicherheitsorientierte Anleger mit Geduld.
Der Autor hält Beiersdorf-Aktien.