Evangelikale Abtreibungsgegner einerseits, anderseits junge Männer, die ein Abtreibungsverbot kritisieren und Verhaltensvorschriften jeder Art ablehnen: Beide Gruppen haben Trump gewählt. Der President-elect hat die republikanische Wählerschaft neu geordnet.
Zu den wahltaktischen Geniestreichen von Donald Trump gehörte ein Interview mit dem Podcaster Joe Rogan, der ein Millionenpublikum hat. 56 Prozent seiner Hörerschaft sind zwischen 18 und 34 Jahre alt, 81 Prozent männlich. Rogan, ehemaliger Kampfsportler und Comedy-Star, stellte Trump während des dreistündigen Gesprächs kaum kritische Fragen, sondern liess ihn seine Weltsicht ausbreiten und über Kamala Harris lästern, die er als «Person mit tiefem IQ» bezeichnete. In einer längeren Sequenz diskutierten die beiden auch, wer die besten Mixed-Martial-Arts-Kämpfer seien. Über 50 Millionen Mal wurde das Interview auf Youtube aufgerufen.
Dieser Auftritt krönte eine Serie von Gesprächen auf alternativen Medienkanälen. Diese verdanken ihre Popularität Inhalten wie Kampfsport, Wrestling, Fremdenfeindlichem, Autorennen, Spott über Feministinnen, Sex. Joe Rogan etwa machte Schlagzeilen, weil er das N-Wort in seinen Sendungen verwendete oder weil er dem Komiker Joey Diaz wohlwollend zuhörte, als dieser mit den sexuellen Dienstleistungen prahlte, die Frauen für einen Auftritt in seiner Sendung erbringen müssten.
Dieses reaktionäre Ethos von Männlichkeit erklärt den Erfolg der Sendungen bei vielen jungen Männern. Trump suchte dieses Publikum bewusst, weil er wusste, dass er wegen seiner Haltung zur Abtreibung bei Frauen über kein grosses Potenzial verfügte. Dieses Manko wollte er mit einem umso grösseren Erfolg bei jungen Männer kompensieren. Die Rechnung ging auf: Von diesen gaben ihm 15 Prozent mehr ihre Stimme als vor vier Jahren, während Kamala Harris in diesem Wählersegment deutlich an Boden verlor.
Sport und junge Girls
Für diese Wählergruppe junger Männer prägte der amerikanische Journalist Matthew White um 2020 die Bezeichnung «Barstool conservatives». Er leitete sie vom Namen des populärsten US-Online-Sportmagazins, «Barstool Sports», ab. Dessen Gründer Dave Portnoy passt perfekt in diese Gruppe machoider Blogger, Youtuber und Podcaster. Publizistisch setzt er auf Sportgeschichten und junge Bikini-Girls, politisch tritt er mit Lust in alle Fettnäpfchen, die sich anbieten. Er polemisierte gegen die Corona-Massnahmen der Regierung, er neigt zu rassistischen und frauenfeindlichen Aussagen, er wettert gegen Fremde und Linke. Seine Grundhaltung ist identisch mit derjenigen von Joe Rogan und Konsorten: Es ist die des ausgestreckten Mittelfingers.
Ein «Barstool»-Konservativer ist grundsätzlich gegen alles politisch Korrekte. Er lehnt alle schulmeisterlichen Belehrungen durch Medien, Politiker oder die Regierung ab, was man zu tun und zu lassen habe. Gerade was das Sexuelle betrifft, ist diese Grundhaltung ausgeprägt, weil sich Männer vom gegenwärtigen politischen Mainstream-Diskurs diskriminiert fühlen.
Sie finden: Männer sind Männer, und Frauen sind Frauen, und ein bisschen Spass wird man wohl noch haben dürfen. Matthew White schreibt: «Das sind Leute, die mit einem unterschiedlichen Ausmass von Enthusiasmus Pornografie, Homosexualität, Drogen, Gambling akzeptieren.» Jane Coaston von der «New York Times» nennt diese neuen republikanischen Wähler deshalb «horny bros», geile Kumpel. Geil ist durchaus im doppelten Wortsinn gemeint. Sie gaben den Ausschlag dafür, dass Trump nicht nur einen sicheren Sieg einfuhr, sondern erstmals auch eine Mehrheit der Stimmen gewann.
Minister mit Verfehlungen
Die «horny bros» haben es auch ins neue Kabinett geschafft. So fällt in der Biografie von Pete Hegseth, der als Chef des Pentagons vorgeschlagen wird, der Abschnitt über Frauenbeziehungen besonders turbulent aus. Er schaffte es im Jahr 2017, verheiratet zu sein, aber mit einer Produzentin seines Arbeitgebers Fox News ein aussereheliches Kind zu zeugen und sich überdies wegen angeblicher sexueller Missetaten eine Klage einer Frau in Kalifornien einzuhandeln.
Auch Robert F. Kennedy, der das Gesundheitsministerium übernehmen soll, ist bekannt dafür, zahllose sexuelle Übergriffe begangen zu haben. Als Justizminister nominierte Trump Matt Gaetz, obwohl gegen ihn längst eine Untersuchung wegen massiver sexueller Verfehlungen lief, unter anderem im Zusammenhang mit minderjährigen Frauen. Erst als ein geleakter Bericht die Dimensionen dieser Taten publik machte, musste er sich zurückziehen.
Der grösste «borny bro» ist natürlich Donald Trump selbst. Aber das weiss nach dem Gerichtsverfahren in New York die ganze Welt. Und sein Vize J. D. Vance reiht sich zumindest intellektuell ebenfalls dort ein, wenn er sich über die sogenannten «cat ladies» auslässt, Frauen also, die allein lebten, weil sie nicht so attraktiv seien und statt Kindern Katzen hätten.
Was die Zivilisation bedroht
Die Frage, was richtige Frauen und richtige Männer sind, beschäftigt die Trumpschen Republikaner sehr. Männlichkeit oder ihre Rettung ist zu einem wichtigen Thema geworden. Von Tucker Carlson, dem vom kommenden Präsidenten hochgeschätzten ehemaligen Fox-Kommentator, stammt die Aussage, bedenklich sei «der Niedergang der Männlichkeit, der Virilität, der Spermienqualität, was alles unsere Zivilisation bedroht».
Noch herrscht in Europa die Meinung vor, bei den Wählern Trumps handle es sich überwiegend um evangelikale Christen, die eine rigide Sexualmoral predigten und die Abtreibung verbieten wollten. Noch immer rätseln sie, warum diese Frommen einen so schamlos Übergriffigen zum Präsidenten wählten. Sie sehen nicht, dass ihm gerade dieser Ruf behilflich ist, das elektorale Potenzial der «Barstool»-Männer zu erschliessen.
Trump erkannte früher als die meisten, dass ein Backlash gegen den Feminismus, gegen Gender-Themen, gegen Diversity, gegen politisch korrekte Sexualität, gegen Rassismusvorwürfe und Sprachpolizisten an Tempo und Umfang zunimmt. Um die Bibel geht es gerade nicht, sie macht Vorschriften über gutes oder schlechtes Verhalten. In den linksliberalen Eliten an den Universitäten und in den Medien werden Männer, die «Barstool Sports» lesen und Bilder knapp bekleideter Frauen anschauen, im besten Fall als Bedauernswerte und im schlimmsten Fall als Therapiefälle charakterisiert. Das haben sie satt. Als Zeichen für ihren Protest zelebrieren sie den Tabubruch mit Gusto.
Fragen der Moral
Es ist Trump gelungen, sie für die Republikaner zu gewinnen, obwohl sie in den meisten Fragen der Moral das Gegenteil der Evangelikalen vertreten. Als der Supreme Court das Urteil im Fall Roe vs. Wade aufhob und damit ein nationales Recht auf Abtreibung beendete, kritisierte Dave Portnoy von «Barstool Sports» diesen Entscheid scharf: «Es ist unfassbar, dass jemand denkt, er verfüge über das Recht, einer Frau vorzuschreiben, was sie mit ihrem Körper machen soll.»
Wie passt das zusammen: evangelikale Abtreibungsgegner und geile Kumpel, die ein Abtreibungsverbot kritisieren und Verhaltensvorschriften jeder Art ablehnen? Abgesehen davon, dass es sich um zwei Facetten von Frauenfeindlichkeit handelt: Die Republikanische Partei war immer schon eine Koalition von verschiedenen Strömungen, wobei die sozial konservativen Traditionalisten und die Wirtschaftselite, die für die möglichst unregulierte Marktwirtschaft kämpfte, die Fäden zogen.
Trump hat diese Hierarchie gesprengt, indem er aus vielem, was bis anhin zu dieser republikanischen Orthodoxie gehörte, Kleinholz machte. Die Positionen und Methoden, die er dabei angewandt hat, stammen direkt aus dem Arsenal der «Barstool»-Anhänger. Dennoch haben sich die Evangelikalen nicht aus dieser Koalition abgemeldet. Der Grund ist ein einfacher: Noch immer ist die Abneigung gegen die Demokraten viel grösser als die Enttäuschung über manches, was die neusten Freunde von Donald Trump sagen oder tun.
Verteidigung der Männlichkeit
Der konservative Journalist Nate Hochman schrieb in der «New York Times»: «Das konservative politische Projekt ist nicht länger mehr ausschliesslich christlich.» Es könne nicht mehr nur darum gehen, alles auf die Bibel zu beziehen. Die Attraktivität der modernen Republikanischen Partei bestehe darin, ganz generell den bedrohten American Way of Life zu retten. Dazu würde Hochman sicher auch die Verteidigung einer traditionellen Männlichkeit zählen.
Deswegen sind für ihn die «Barstool»-Konservativen eine hochwillkommene Verstärkung dieser Abwehrfront. «Das Erfreuliche ist», schreibt er, «dass diese neue Politik die Kapazität hat, das republikanische Zelt dramatisch zu vergrössern. Sie spricht eine grosse Zahl von Amerikanern an, die durch den expliziten religiösen Anstrich des alten Konservativismus abgeschreckt worden sind und sich noch nicht ganz als Republikaner sehen.» Hier scheint eine Vision auf, wie sich eine langfristige Dominanz der Republikaner sichern liesse.
Bahnt sich da ein weiteres Realignment zwischen Demokraten und Republikanern an? Sexuelle Liberalität galt lange Zeit als bei den Demokraten gut aufgehoben, man denke nur an die 68er-Generation mit ihrem Kampf für die sexuelle Befreiung. Oder an den Gründer des «Playboy»-Magazins, Hugh Hefner, der sein Leben lang stolzes Mitglied der Demokraten war.
Konservative Vordenker wie etwa der Publizist William F. Buckley jun. verteidigten dagegen den traditionellen Puritanismus, der auf die calvinistischen Gründerväter der USA zurückgeht. Hefner war ein «horny bro» avant la lettre und hätte heute bestimmt Trump gewählt. Denn unter dem Deckmantel des gesellschaftlichen Fortschritts breiten sich bei den Demokraten längst neopuritanische Tendenzen aus, die der Stoff sind, von dem der «Barstool»-Konservativismus lebt. Und neuerdings auch Donald Trump.