Samstag, Oktober 5

Europas grösster Autobauer ist in der Krise. Das Management erwägt Fabrikschliessungen und betriebsbedingte Kündigungen. Jetzt beginnt der Kampf mit den Gewerkschaftern und den Landespolitikern.

Sie lesen einen Auszug aus dem Newsletter «Der andere Blick», heute von Michael Rasch, Wirtschaftskorrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung» in Frankfurt am Main. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.

Im Volkswagen-Konzern brennt bei der Kernmarke VW der Dachstuhl. Das sagte der Markenchef Thomas Schäfer bereits vor einem Jahr. Inzwischen hat das Feuer die oberen Stockwerke erreicht, und auch an anderen Stellen des Konzerns gibt es Brände, etwa bei der Software-Einheit Cariad und der Oberklassen-Marke Audi. Doch die Probleme bei der identitätsstiftenden Marke VW sind besonders gravierend, weil diese für gut die Hälfte des Konzernabsatzes steht. Jetzt sollen alle Tabus fallen: Der Vorstand erwägt erstmals Fabrikschliessungen in Deutschland und denkt an betriebsbedingte Kündigungen.

Der genau seit zwei Jahren amtierende Vorstandsvorsitzende Oliver Blume hat die Probleme früh erkannt und dem Konzern zu Recht ein Fitnessprogramm verordnet. In diesem Rahmen setzte er vergangenen Herbst jeder Marke mittelfristige Rendite- und Kostenziele. Der Konzern als ganzer soll bis 2030 die operative Marge von 8 auf 10 Prozent steigern.

Schwache Marge und Überkapazitäten

Das ist für Blume eine wichtige Voraussetzung, damit sich Volkswagen die enormen Investitionen für den Umstieg auf die E-Mobilität, die Digitalisierung der Fahrzeuge und das Voranbringen des autonomen Fahrens leisten kann. In den kommenden fünf Jahren will das Management rund 180 Milliarden Euro investieren, um die Zukunft zu sichern.

Das gelingt nur, wenn sich auch die Kernmarke VW erheblich verbessert. Der Trend zeigt jedoch in die andere Richtung. Die operative Marge der Marke VW fiel im ersten Halbjahr von 4 Prozent auf sehr schwache 2,3 Prozent – das ist die schlechteste Umsatzrendite aller Marken. Sogar Seat/Cupra kommt mit 5,2 Prozent auf eine mehr als doppelt so hohe Marge, und Skoda erzielt 8,4 Prozent, wobei diese Marke absolut mehr Gewinn schaffte als die Marke VW. Die Premiummarken wie Porsche oder Bentley kommen sogar auf zweistellige Renditen.

Auch im externen Effizienzvergleich fällt VW ab: Während der globale Konkurrent Toyota im vergangenen Jahr mit 380 000 Mitarbeitern 11,2 Millionen Fahrzeuge verkaufte, benötigte Volkswagen 680 000 Mitarbeiter für 9,2 Millionen Einheiten. Das liegt nicht nur an Managementfehlern, sondern auch daran, dass der Konzern mit den sechs zentralen Werken und sieben weiteren Standorten in Deutschland zu teuer und mit zu vielen Mitarbeitern produziert, vor allem am Stammsitz in Wolfsburg. Dazu kommen Überkapazitäten, weshalb nun Werke zur Disposition stehen.

Ein Arbeitsplatz bei Volkswagen war und ist für viele Arbeitnehmer ein Glückslos. Zum üppigen Tarifvertrag gesellen sich zahlreiche Vergünstigungen, von attraktiven Neuwagenrabatten über die betriebliche Altersvorsorge bis hin zu Mitarbeiterwohnungen.

Das haben die Angestellten der Konstruktion des Konzerns zu verdanken. Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent der Stimmrechte und hat dadurch zwei Vertreter im Aufsichtsrat, der in Deutschland je zur Hälfte von Anteilseignern und Arbeitnehmern besetzt wird. Die beiden Aufsichtsräte der Landesregierung vertreten zwar die Kapitalseite, stimmen aber in entscheidenden Fragen meist mit den Arbeitnehmern und Gewerkschaftern, denn Niedersachsen wird seit langem von der SPD regiert. Damit gleicht VW mehr einem Staatskonzern als einem privaten Unternehmen.

Festung Wolfsburg dank politischer Hilfe

An der Festung Wolfsburg mit ihren hohen Kosten, ausgeprägten Ineffizienzen, Pfründen für die Mitarbeiter und dem ganzen Klüngel haben sich schon viele Manager die Zähne ausgebissen – zuletzt Herbert Diess. Er wollte das System Wolfsburg brechen, am Ende zerbrach jedoch er am System Wolfsburg. Oliver Blume pflegte von Anfang an einen kooperativen Führungsstil, doch nun muss auch er die grosse Konfrontation mit Arbeitnehmern, Gewerkschaften und der Landesregierung Niedersachsen wagen. Der Ausgang des Konflikts ist sowohl für Oliver Blume als auch für VW existenziell.

Das wäre vermeidbar gewesen. Es passt nicht zusammen, dass Arbeitnehmer und Politiker alle Privilegien erbittert verteidigen und zugleich für Kunden mit einem kleinen Geldbeutel billige Elektroautos fordern. Diese sollen auch noch in Deutschland gebaut werden, wo sich die Standortbedingungen in den vergangenen Jahren ohnehin verschlechtert haben. Wie VW angesichts der Kosten in Deutschland die geplanten E-Modelle für je 25 000 und 20 000 Euro profitabel bauen will, ist rätselhaft.

Es ist daher folgerichtig, dass Blume und Schäfer keine Tabus mehr kennen. Die Gewerkschafter sollten das nicht als Kampfansage, sondern als Hilfe- und Weckruf sehen und bisherige rote Linien überdenken. Es ist wichtig, Kompromisse mit dem Management zu finden, um den Konzern und die Marke VW zu stabilisieren. Gelingt das nicht, droht das Haus in Wolfsburg komplett abzubrennen.

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