Donnerstag, Januar 16

Er ist einer der letzten grossen Kapellmeister: prinzipienfest, aber zu Kompromissen bereit, sofern es der Musik dient. Bei seiner Rückkehr zum Tonhalle-Orchester Zürich trifft Marek Janowski jetzt auf den jungen Senkrechtstarter Mao Fujita.

Beethovens «Pastorale» in einer Kombination mit Mozarts liebenswürdigem letztem Klavierkonzert: Populärer geht es kaum. Kürzer übrigens auch nicht. Doch exakt dieses reine Klassiker-Programm ist diese Woche zweimal in der Tonhalle Zürich zu hören. Ist da der Zeitgeist am Werk? Sind die Konzertprogramme in den Kulturtempeln des Bildungsbürgertums mittlerweile so viel gefälliger geworden? So kulinarisch? Wer den Dirigenten der Klassiker-Sause selbst befragt, erfährt: Es steckt mehr dahinter.

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Marek Janowski, mittlerweile 85 Jahre alt, ist einer der letzten grossen Kapellmeister der deutschen Tradition. Er hat schon viele Orchester als Chefdirigent zum Erfolg geführt. Manche betreute er kürzer, andere länger: sieben Jahre lang zum Beispiel das Orchestre de la Suisse Romande, sechzehn Jahre das altehrwürdige Pariser Rundfunkorchester, ausserdem Orchester in Monte Carlo, Köln und Berlin. Doch seit gut einem Jahr ist Janowski nur noch als freier Gastdirigent unterwegs. Er musiziert jetzt mit «gewachsenen Beziehungen», wie er es nennt, mit seinen «langen, alten Lieben». Soll heissen: mit den Berliner Philharmonikern, dem WDR-Symphonieorchester – und eben, wie diese Woche, mit dem Tonhalle-Orchester.

Eine Bühne für den Pianisten

Einen Nachteil hat die selbst gewählte Freiheit als Gastdirigent: Seine Programme macht er nicht mehr im Alleingang. Und man kann nicht behaupten, dass ihm das Kompromisseschliessen im Blut liegt. Janowski ist ein prinzipienfester Mensch. Zur Not übt er sich im Abwarten. Im Dezember wollte er mit dem Hamburger Elbphilharmonie-Orchester unbedingt die «Pastorale» spielen; die war aber in dieser Saison schon anderweitig vergeben. Man einigte sich auf Schumanns Vierte. Es sollte ja etwas Bekanntes, Deutsches sein, zumal die erste Konzerthälfte durch den Solisten, Jean-Yves Thibaudet, schon mit einem bizarren, weithin unbekannten Werk belegt worden war. Selbst Janowski, der fast nichts noch nie gemacht hat, musste dieses 5. Klavierkonzert von Camille Saint-Saëns eigens neu lernen.

Auch in Zürich entwickelte sich die Programmgestaltung rund um den Solisten. Der Pianist Mao Fujita, 26 Jahre jung, ist ein Senkrechtstarter. Im Live-Konzert wirkt er überraschend stilsicher. Bestechend eine gewisse poetische Schwerelosigkeit, seine souveräne technische Brillanz versteht sich wie von selbst. Nach wie vor ist Fujita Aufbaustudent, bei Kirill Gerstein in Berlin. Doch die ersten Stufen einer internationalen Karriere hat er längst mit Siebenmeilenstiefeln genommen. Sein letztes Jahr war gespickt mit Debüts, Recitals und Reisen rund um den Globus. Bei der Sony hat er soeben seine zweite Doppel-CD herausgebracht, mit Zyklen der Préludes von Chopin und Alexander Skrjabin. In der Schweiz ist Fujita schon länger eine Grösse, seit er 2017 den Clara-Haskil-Wettbewerb in Vevey gewann, 2021 in Verbier mit sämtlichen Mozart-Sonaten triumphierte und 2022 als Last-Minute-Einspringer ein Konzert des Lucerne Festival rettete.

Marek Janowski kennt ihn sogar noch länger: «Mao Fujita wurde mir bei einer Japan-Tournee vorgestellt, da war er etwa 13 Jahre alt. Er hat mir vorgespielt, wirklich sehr gut! Ich sagte ihm damals, ich wolle ihn wieder hören, in drei oder vier Jahren. Das hat er dann gemacht. Erstmals habe ich ihn in Paris bei ‹meinem› Orchester zu Gast gehabt, dem Orchestre Philharmonique de Radio France, mit Mozarts A-Dur-Klavierkonzert 488. Es passte, es war wunderschön!» Ilona Schmiel, die Zürcher Intendantin, habe dann vorgeschlagen, dass Fujita sich auch in der Tonhalle mit einem Mozart-Konzert präsentieren solle, und zwar mit dem letzten. Er habe sofort zugestimmt, erzählt Janowski – und bekam en passant auch noch seinen Willen mit der «Pastorale». Schliesslich passen die Tonarten perfekt. Einerseits unspektakulär, andererseits ein Glücksfall. Und typisch für Janowski: «Sehen Sie: So kommen manchmal Programme zustande.»

Verhinderte Absage in Bayreuth

Wenn es sein musste, war dieser Dirigent immer schon ein Pragmatiker. In seinen Berliner Jahren, als es in dieser Stadt, unmittelbar nach dem Mauerfall, in zähem Machtgerangel um die Zusammenlegung oder Zerschlagung der kulturellen Infrastruktur ging, erfand Janowski den simplen Slogan: «Das Wichtigste ist die Musik.» Eine Zauberformel – damals hat sie noch geholfen. Jetzt sind wieder andere Zeiten angebrochen. Gegen die neue Kulturferne, die sich bei Lokalpolitikern allerorten bemerkbar mache, sei kein Kraut gewachsen, sagt er.

Ihm fehlen heute nicht nur die Bündnispartner im kulturpolitischen Diskurs, auch die qualifizierten Gegner gehen ihm aus. Immerhin hat sich Janowski einst in Paris mit Jack Lang angelegt, hat sich mit Pierre Boulez überworfen und mit Wolfgang Wagner zerstritten. Und das, obgleich er seinerzeit bereits als einer der wichtigsten Wagner-Dirigenten galt, dank der ersten digitalen Gesamtaufnahme des «Rings des Nibelungen», anno 1983, mit der Dresdner Staatskapelle. Kurz darauf sagte er dem Opernbetrieb grundsätzlich Adieu, aus Protest gegen das Regietheater.

Den Beschluss warf er zwei Jahrzehnte später allerdings wieder über den Haufen und übernahm ausgerechnet den rabiat antikapitalistischen «Ring» von Frank Castorf in Bayreuth. Warum? Das ist wieder eine dieser typischen Janowski-Anekdoten: «Als die Anfrage von Katharina Wagner kam, dachte ich mir: Vielleicht sollte ich doch mal im Bayreuther Graben dirigieren. Ich ging also in eine Generalprobe des ‹Rheingolds› mit Kirill Petrenko. Schon nach dem zweiten Bild, in dem die Götter oben im ersten Stock im Schlafzimmer hinterm Vorhang herumwursteln, wollte ich rausgehen, stracks zu Frau Wagner, und absagen. Aber um mich herum sassen einige musikalische Assistenten. Die haben mich festgequatscht. Die haben mich daran gehindert, zu gehen!»

In Janowskis zweitem Jahr in Bayreuth sei Castorf dann zu einigen seiner Bühnenproben erschienen. Und siehe da: Es kam zu Kompromissen. An etlichen Stellen habe Castorf seine Regie geändert. Um der Musik willen.

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