Montag, Dezember 30

Der Anlass findet im März in Kloten statt und wird im Internet bereits als hochkarätige «Debatte des Anti-Mainstreams» beworben.

Seit 1. Januar sollte der frühere Diplomat Jean-Daniel Ruch eine der wichtigsten Funktionen im Verteidigungsdepartement (VBS) innehaben – als Chef des neugeschaffenen Staatssekretariats für Sicherheitspolitik (Sepos). In dieses Amt wählte ihn der Bundesrat vor knapp fünf Monaten.

Doch Ruch trat das Amt nicht an. Mitte Oktober zog sich Ruch zurück, nicht ganz freiwillig. Sein problematischer Umgang mit Frauen soll ihm zum Verhängnis geworden sein, wie es damals hiess. Doch bestätigt wurden die Gerüchte nicht: Bis heute ist jedoch nicht ganz klar, weshalb und unter welchen Umständen es dazu gekommen war. Inzwischen ist Markus Mäder Leiter des Sepos – und damit gewissermassen der oberste Sicherheitsberater von Viola Amherd.

«Es braucht keinen Naivling»

Kaum jemand war allerdings unglücklich darüber, dass Ruch das neugeschaffene Staatssekretariat nicht übernehmen konnte. Denn auch politisch war der Diplomat äusserst umstritten. Ihm wurde vorgeworfen, er sei in seiner Zeit beim EDA massgeblich daran beteiligt gewesen, die Terrororganisation Hamas salonfähig zu machen.

Die Schweiz brauche keinen Naivling und selbsternannten Friedensstifter an der Spitze des Staatssekretariates für Sicherheitspolitik, schrieb beispielsweise die Israel-nahe Audiatur-Stiftung. Aufgabe des Sepos ist es, sicherheitspolitische Entwicklungen zu erarbeiten und strategische Handlungsoptionen zuhanden der politischen Entscheidungsträger zu antizipieren.

Dass es Ruch möglicherweise an Fingerspitzengefühl und Weitsicht für einen solchen Posten fehlt, zeigt ein Vortrag, den er am 22. März in Kloten halten will. Dort wird er sich zur Frage äussern, wie er die Chancen und Gefahren der Rolle der Schweiz im Ukraine-Krieg beurteilt. Das geht aus zahlreichen Websites hervor, darunter dem Veranstaltungskalender Eventfrog. Die NZZ konnte Ruch nicht erreichen.

Brisanter als das Thema selbst sind allerdings der Veranstalter sowie das Umfeld: Organisiert wird der Anlass von Aufrecht Schweiz beziehungsweise dessen Zürcher Ableger. Aufrecht Schweiz entstand 2020 als massnahmenkritische Organisation während der Corona-Krise. Nach der Pandemie sorgte die Gruppierung aber rasch und mehrfach mit einseitig russlandfreundlichen Positionen für Irritationen.

Gegen Dämonisierung Russlands

So forderte Aufrecht Schweiz Bundesrat und Parlament im letzten Jahr mit einer Petition dazu auf, die Sanktionen gegen Russland zurückzuziehen und sich öffentlich und offiziell dafür zu entschuldigen, diese übernommen zu haben. Russlands völkerrechtswidriger Angriff wurde dabei mit keinem Wort erwähnt. Trotz dem spärlichen Erfolg der Petition mit nur rund 3000 Unterschriften blieb Aufrecht seiner Position treu.

Moderiert wird der Abend unter dem Titel «Russland, die Schweiz, die Neutralität» vom Klotener Aufrecht-Politiker und früheren Nationalratskandidaten Remko Leimbach. Bereits früher hatte Leimbach ähnliche Events organisiert. Auf der Bühne standen beispielsweise der Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser oder der Corona-Skeptiker Sucharit Bhakdi. Leimbach äussert sich auch selber betont russlandfreundlich: «Die aktuell einseitige Glorifizierung der Ukraine bei gleichzeitiger Dämonisierung Russlands kann ich aufgrund der geopolitischen Gegebenheiten nicht nachvollziehen», schreibt er auf Facebook.

Jean-Daniel Ruch soll an dem Event einen von drei Vorträgen halten. Auch die weiteren Redner des Abends machen allerdings deutlich, dass Putins Sicht im Vordergrund steht. Neben Jean-Daniel Ruch tritt der russische Botschafter in Bern, Sergei Garmonin, auf. Garmonin wurde vor einem Jahr vom Bundesrat einbestellt, nachdem die russische Botschaft einem NZZ-Journalisten gedroht hatte.

Ausserdem spricht der in Moskau lebende Publizist Peter Hänseler, ein Jurist und Anwalt. Hänseler leitete unter anderem einen Immobilienfonds in Russland und betreibt heute den russlandfreundlichen Blog «Voice from Russia». Darin wird nicht nur Putin glorifiziert. Es finden sich dort auch Verschwörungstheorien und Genozid-Vorwürfe an Israel.

Debatten des Anti-Mainstreams

An dem Abend, der für Besucher bis zu 124 Franken kostet, nimmt gemäss den Annoncen niemand teil, der die Perspektive der Ukraine einnimmt. Weshalb Jean-Daniel Ruch bei einer solchen Veranstaltung mitmacht und ihr damit zu mehr Gewicht verhilft, ist nicht ersichtlich. Die Hoffnung jedenfalls, dass er damit bei russlandfreundlichen Kreisen zu einer differenzierteren und realistischeren Sicht beitragen könnte, erscheint naiv.

Schon jetzt wird der Anlass von Aufrecht Zürich auf verschiedenen Portalen beworben, die für ihre russlandfreundliche (und einseitig israelkritische) Haltung bekannt sind. So zum Beispiel auf der Website «Zeitpunkt» des Solothurners Christoph Pfluger, der während der Pandemie zu den Gründern der Verfassungsfreunde gehört hatte. Dort wird der Abend unter Beteiligung des Ex-Diplomaten Ruch unumwunden als «Botschafter-Treffen» beworben – und als «hochkarätige Debatte des Anti-Mainstreams».

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