Donnerstag, Dezember 26

Es geht um Hunderttausende Franken und um Existenzen.

Bibliotheken und Buchläden sind zwei verschiedene paar Schuhe. Wer Bücher ausleiht, kauft sie nicht und umgekehrt. Die Überschneidungen zwischen den beiden Institutionen dürften entsprechend überschaubar sein, könnte man meinen.

In der Stadt Zürich allerdings hat sich über die Jahrzehnte ein etwas anderes System etabliert. So existierte bisher eine Partnerschaft zwischen der Pestalozzi-Bibliothek (PBZ) mit ihren 14 Filialen und den lokalen Zürcher Buchhandlungen. Die grosse Stadtbibliothek kaufte einen Grossteil ihrer Bücher und zunehmend auch elektronische Medien wie CD oder Games bei den Buchläden in der Nähe ein.

Der Betrieb der Pestalozzi-Bibliothek wird zu rund 90 Prozent von der Stadt finanziert. Die Vereinbarungen mit den lokalen Buchläden, die teilweise auch mündlich abgeschlossen worden sind, kamen also durchaus einer Art Subventionierung gleich.

Vergangenen November wurde das zürichspezifische Verhältnis allerdings einseitig gekündigt. Die Führung der PBZ entschied, den Einkauf aller Medien künftig an externe Firmen auszulagern und die Aufträge auch öffentlich auszuschreiben. Neuerdings sollen nicht mehr die PBZ-Bibliothekare für die Auswahl und den Einkauf von Büchern, Hörbüchern oder elektronischen Medien zuständig sein, sondern die externen Auftragnehmer. Diese wählen innerhalb eines inhaltlichen Rahmens aus, den die PBZ für jede Filiale vorgibt.

Auslöser für die Änderung war laut PBZ-Direktor Felix Hüppi die hauseigene Buchbinderei. Weil dort Mitarbeiter pensioniert worden seien, habe man generell Prozesse neu anschauen wollen. Dazu komme der Umstand, dass mit dem gleichen Budget – es sind 10,6 Millionen Franken jährlich – immer mehr Aufgaben erfüllt werden müssten. Dies hat laut Hüppi dazu geführt, dass die Buchbinderei aufgelöst und der Einkauf ausgelagert werden müsse. Das entsprechende Submissionsverfahren schrieb die PBZ im November auf der Beschaffungsplattform Simap europaweit aus.

Das Auftragsvolumen beläuft sich auf 800 000 Franken im Jahr. Die Laufzeit beträgt fünf Jahre, insgesamt geht es um 4 Millionen Franken. «Die Veränderung ist gross, und die Zürcher Buchhändler sorgen sich», sagt Hüppi. «Aber mir sind aus gesetzlichen Gründen die Hände gebunden, ich kann nicht sagen, es dürfen sich nur Zürcher Läden beteiligen.» Schliesslich gehe es darum, mit den öffentlichen Geldern «fair und transparent» umzugehen.

Kommt bald Amazon?

Die Zürcher Buchhändlerinnen und Buchhändler sind über die Neuerung tatsächlich wenig erfreut. Eine Onlinepetition – unterschrieben von mittlerweile über 1900 Personen, darunter prominente Erstunterzeichner wie Neo-SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser oder Autor Franz Hohler – fordert die Stadtzürcher Politik auf, in der Angelegenheit aktiv zu werden.

Die Sorge der Unterschriftensammler: Mit der Neuausrichtung würde die Pestalozzi-Bibliothek kleine und unabhängige Buchläden ausgrenzen. Wenn diese überleben sollten, müsse die Politik nun eingreifen. Die Neuausrichtung müsse rückgängig gemacht werden. Öffentliche Bibliotheken wie die PBZ müssten dazu verpflichtet werden, einen namhaften Anteil bei lokalen Buchhandlungen zu bestellen.

Kritisiert wird unter anderem, dass grössere Pakete als bisher eingekauft werden sollen und dass statt den Bibliotheken neuerdings die Buchhandlungen die einzelnen Bücher und elektronischen Medien einbinden sollen.

Michael Pfister von der Buchhandlung Calligramme im Niederdorf gehört zu den Petitionären. Er sagt: «Mit der neuen Ausschreibung können wir uns nicht sinnvoll bewerben.» Die PBZ schaue, wo sie in den Bibliotheken sparen könne, und lagere diesen Bereich dann aus. «Es scheint das Ziel zu sein, den Aufwand der PBZ zu reduzieren und den Schwarzen Peter an die Buchhandlungen weiterzugeben», sagt Pfister. Natürlich kämen so vor allem die grossen Händler wie Orell Füssli Thalia, Ex Libris oder Amazon infrage.

Ruth Schildknecht von der Buchhandlung Nievergelt in Oerlikon sagt: «Allein von der Laufkundschaft können wir nicht existieren, oder nur noch als Einpersonen-Buchhandlung.» Nur dank dem Grundumsatz, den die öffentlichen Aufträge der PBZ und der Schulen generierten, könne eine Buchhandlung im Quartier überhaupt ein grösseres Angebot führen.

Schildknecht weiss von Zürcher Buchhändlern, die darauf verzichtet haben, ein Angebot bei der PBZ einzureichen. «Neu muss das Einbinden der Bücher und Medien organisiert werden. Dazu muss man die inhaltliche Auswahl treffen. Niemand weiss, ob das mit den bisherigen Ressourcen aufgehen wird», sagt sie.

Pestalozzi-Direktor relativiert

PBZ-Direktor Felix Hüppi betont, dass man bei der Ausschreibung darauf geachtet habe, den kleineren Buchhandlungen entgegenzukommen. Beispielsweise sei der jährliche Auftrag in 14 verschiedene Lose aufgeteilt worden. Diese seien unterschiedlich gross, von 500 bis zu 7500 Medien pro Los. Gerade 500 Medien seien eine Grösse, in der auch kleinere Buchhändler am Wettbewerb teilnehmen könnten.

Ausserdem seien Kenntnisse zu lokalen Lesetrends im Kriterienkatalog enthalten und würden entsprechend hoch bewertet. Zudem habe man auch extra Bietergemeinschaften zugelassen, damit sich die Kleineren zusammentun könnten und eben nicht nur die grossen Player berücksichtigt würden.

Der Buchhändler Michael Pfister bezeichnet dies als «Ausflüchte». Gerade der Aspekt mit der Bietergemeinschaft sei in der Ausschreibung nicht erwähnt gewesen und erst zu einem späteren Zeitpunkt mündlich mitgeteilt worden. Die Zeit bis zur Deadline – direkt vor Weihnachten – habe nicht ausgereicht, um die komplexe Zusammenarbeit zwischen den Buchhandlungen zu organisieren.

Gerade die für lokale Buchhändler interessanten Bereiche Belletristik und Sachbücher sind laut Pfister in «riesigen» 7000er-Losen ausgeschrieben worden. Die kleinen Grössen würden nur Nischenbereiche wie etwa englische Kinderbücher betreffen.

Entscheid fällt diese Woche

Mittlerweile hat das Thema die lokale Politik erreicht. FDP-Gemeinderätin Yasmine Bourgeois sagt, man wolle die PBZ nicht am effizienten Umgang mit Steuergeldern hindern. Wenn dabei sogar das lokale Gewerbe unterstützt werden könne, sei das optimal. «Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass sich die PBZ bei der Vergabe an die gesetzlichen Vorschriften gehalten hat.»

Stefan Urech, SVP-Gemeinderat und Deutschlehrer, sagt: «Mich erstaunt, dass es in der Vergangenheit überhaupt so lief, weil es sich durchaus um eine Subventionierung der Bücherläden handelt.» Besonders die Forderung in der Petition, dass die Stadt eine Vielfalt der Buchhandlungen garantieren solle, könne er so nicht unterstützen. Geschäfte mit Steuergeldern künstlich am Leben zu erhalten, ähnlich wie dies bei den Arthouse-Kinos gefordert werde, sei keine staatliche Aufgabe.

Thomas Forrer, Kantonsrat der Grünen und Literaturwissenschafter, gehört dagegen zu den Erstunterzeichnern der Petition. Er findet, einer städtischen Bibliothek stehe es gut an, wenn sie lokal einkaufe. Die kleinen Zürcher Buchhandlungen mit ihren Lesungen und der selektierten Auslage seien ein wichtiger Teil der Stadtkultur. Man beliefert die Bibliotheken seit Dekaden, dieses Geschäft bildet einen bedeutenden Pfeiler.

Für viele Zürcher Buchhändler dürfte diese Woche wegweisend werden. Denn am Mittwoch will PBZ-Direktor Felix Hüppi bekanntgeben, wer den Zuschlag für die kommenden Jahre erhalten wird.

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