Freitag, April 25


Interview

Seit Juni 2021 ist der Franzose CEO des 150-jährigen Schweizer Uhren- und Schmuckhauses. Ein Gespräch über die 1970er Jahre, Yves Piaget und die jüngste Neulancierung, die ikonische «Polo 79».

Herr Comar, Sind Sie jemand, der beim Kennenlernen zuerst auf die Uhr des Gegenübers schaut?

Benjamin Comar: Mir fällt als Erstes das Gesicht und ein Lächeln auf – aber ja, aus meiner déformation professionelle heraus achte ich auch auf Schmuck und Uhren. Menschen treffen ihre eigenen Entscheidungen, und ich ordne sie nicht allein aufgrund ihrer Uhr ein. Dennoch kann diese durchaus etwas über die Persönlichkeit einer Person verraten.

Welche Uhr tragen Sie?

Wenn ich etwas eleganter unterwegs bin, passt die «Black Tie», auch bekannt als Andy-Warhol-Uhr, im 1970er-Jahre-Look in der Form eines alten Fernsehers. Am Wochenende trage ich gerne die «Polo Skeleton», eine grossartige, ultradünne Uhr.

Mögen Sie den Seventies-Stil, weil Sie selbst ein Kind der 1970er sind?

Das hat nicht nur mit Nostalgie zu tun, diese Zeit war einfach eine äusserst kreative Periode. Nicht von ungefähr stammen heutige Uhrenikonen wie die «Royal Oak» von Audemars Piguet, die «Nautilus» von Patek Philippe, die «Santos» von Cartier, aber auch Schmucklinien wie «Alhambra» von Van Cleef & Arpels, «Love» und «Clou» von Cartier oder «Possession» von Piaget alle aus dieser stilprägenden Periode.

Wer ist der Piaget-Kunde, die Piaget-Kundin?

Wir suchen uns unsere Kunden nicht aus, sie suchen uns aus. Meiner Meinung nach sind es zwei Arten von Käufern. Einerseits viele Hedonisten, die das Leben geniessen möchten. Andererseits gibt es eine sehr anspruchsvolle Gruppe, sie will überzeugende, selbstbewusste Produkte, die sich abheben vom Gewohnten. Ich beschränke die Kunden nicht auf enge Kategorien – die Luxusbranche funktioniert nicht mehr so.

Nicht nur die Art, wie Luxusgüter konsumiert werden, hat sich verändert, sondern auch die Art, wie Luxusmarken geführt werden?

Ich kann nicht für alle sprechen. Damals in den 1990er und 2000er Jahren zielten Luxusfirmen eher auf spezifische Kundengruppen ab, nicht unbedingt mit gutem Resultat. Die Lösung liegt meiner Meinung nach darin, begehrenswerte Dinge mit Emotionen zu verbinden. Man verkauft nicht einfach ein Produkt, sondern einen Moment, eine Erinnerung an den eigenen Erfolg oder andere Zäsuren. Das ist das Wichtigste und zugleich das Schwierigste: Anstelle des Kunden-Targetings diese Emotionen und Begehrlichkeiten zu kreieren.

Sie arbeiten seit über dreissig Jahren im Luxussektor – was mögen Sie an dieser Branche besonders?

Hier vermischt sich Know-how mit Handwerkskunst, aber auch mit Stil und Design. Und ich startete in einer spannenden Zeit, als sich das Verhalten gegenüber Uhren und Schmuck veränderte.

«Schmuck war einst eine konservative Angelegenheit.»Benjamin Comar, CEO Piaget

Inwiefern?

Heute haben wir Handys, die uns die Zeit anzeigen. Uhren sind keine reinen Zeitmesser mehr, dafür unterstreichen sie die Persönlichkeit des Trägers. Und Schmuck war einst eine konservative Angelegenheit – er wurde von Männern als Geschenk für eine Frau für einen besonderen Anlass gekauft. Heute hingegen ist der Umgang mit Schmuck viel entspannter: Frauen kaufen ihn sich selbst, und immer mehr Männer schmücken sich. Ich bin sehr froh, diese Veränderungen miterlebt zu haben.

Und wo stecken für Sie die Herausforderungen nach 30 Jahren?

Das Entscheidende ist, in einer sich rasch verändernden Welt voller Hightech die Balance zwischen dem modernen Buzz und den traditionellen Werten des Uhrenhandwerks zu halten.

Sind Sie eher Traditionalist oder Modernist?

Ich versuche, modern zu sein – ich weiss nicht, ob es mir immer gelingt.

Weshalb haben Sie den Job bei Piaget angenommen?

Ich mag den Stil, aber auch den Kampfgeist, es stetig besser machen zu wollen. Ich bin während Covid zu Piaget gekommen und traf ein Energielevel an, das ich bisher nicht gekannt hatte. Als ich Mitte zwanzig war, entdeckte ich Piaget an der ersten Uhrenmesse SIHH in Genf. Ich war sehr beeindruckt: All diese einzigartigen Uhren, viele mit Diamanten besetzt und ziemlich gewagt, aber gleichzeitig auch sehr tragbar.

Wie können sie so flamboyant und gleichzeitig so chic sein? Das ist es, was Piaget ausmacht. Wir haben dafür eigens den Begriff «Extraleganza» kreiert. Ich mag, wie gesagt, den Seventies-Touch. Und mich beeindruckte, dass man bei Piaget eigene Uhrwerke entwickelt und einen Stock höher auch eine High-Jewelry-Kollektion entsteht sowie die Schmuck- und Uhrenlinien für Männer und Frauen. Es gibt nicht viele Marken, die das machen.

Welche Rolle spielt die Tradition im Unternehmen?

Wir sind nicht allein der Kreativität wegen kreativ, sondern um der Tradition Tribut zu zollen. Piaget begann 1874 in La Côte-aux-Fées im Val-de-Travers als Uhrwerkproduzent für Dritte. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, wurden Innovationen lanciert wie etwa flachere Uhrwerke. Später entstand die Eigenmarke mit eigenen Produkten, man kam vom Land in die Stadt Genf, wo statt herkömmlichen Uhren ziemlich kühne, kreative Stücke kreiert wurden, um sich abzuheben. Valentin Piaget, der Enkel von Markengründer Georges Edouard, schickte schon in den 1960er Jahren seine Designer nach Paris an die Fashion Week, um sich zu informieren.

Unter Valentins Neffen Yves Piaget rückten in den 1970er und 1980er Jahren hochkarätige Schmuck- und Golduhren in den Vordergrund. Welchen Stand hat Yves Piaget heute in der Firma?

Er ist pensioniert, aber weiterhin ein Berater für uns. Ein grossartiger Gentleman, der die Marke und sein Familienunternehmen prägte, auch dank seinem immensen sozialen Netzwerk. Er schaffte es, Teil des Jetsets und der Kunstwelt zu sein, und ist selbst eine grosse Persönlichkeit. Er arbeitete mit Andy Warhol und Salvador Dalí in einer Zeit zusammen, als man das Wort «Kollaboration» in der Luxusindustrie noch nicht verwendete. Piaget hat ihm viel zu verdanken, er war wagemutig und prägte die Industrie.

Wann entstand die Idee, die originale Polo-Uhr von 1979 wieder zu lancieren, und wie reagierte Monsieur Piaget darauf?

Kaum habe ich bei Piaget gestartet, sagte ich, dass ich die Polo-Uhr hinsichtlich des 150-Jahre-Jubiläums neu lancieren möchte – eine Idee, die ich am ersten Tag hatte. Ich erzählte Yves Piaget davon, und er war sehr glücklich.

Was macht denn diese Uhr so besonders?

Sie vereint all das, was Piaget ausmacht. Der Stil der 1970er Jahre. Es ist eine Sportuhr, die aber auch sehr «dressy» ist. Man kann sie täglich tragen, aber auch zur Abendgarderobe. Sie ist chic und ein Blickfang, Schmuckstück und Uhr in einem – ein wahres Verbindungsglied unserer Standbeine Uhren und Schmuck.

Besitzen Sie eine originale Quarzversion?

Ich bin auf der Suche. Sie ist etwas klein für mich mit 34 mm.

Ist Pre-Owned allenfalls auch ein Thema für Piaget?

Noch nicht, aber vielleicht zu gegebenem Zeitpunkt. Wir haben für unsere eigene Sammlung viele Vintage-Stücke aufgekauft, um unsere wichtigsten Stücke aus der Historie zeigen zu können. Wir beobachten aber in letzter Zeit einen Anstieg der Preise von Pre-Owned-Piaget-Stücken und freuen uns darüber, dass die Leute unsere Vintage-Stücke mögen.

Ist «Quiet Luxury» vorbei?

Man kann ein Quiet-Luxury-Stück besitzen und dennoch auffallen.

Hat denn Piaget auch ein «Quiet Luxury»-Stück?

Ja, die «Altiplano» passt gut in diese Kategorie. Wir schreien nicht, aber wir sind auch nicht still.

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