Freitag, Oktober 18

Das Parlament muss entscheiden, ob die Schweiz dem Uno-Migrationspakt zustimmen soll. Es ist umstritten, was der Pakt wirklich bringt – und ob er der Schweiz nicht doch Nachteile bringen könnte.

Auch in diesem Jahr wird die Flüchtlingswelle nicht abnehmen. Über 30 000 Asylgesuche wurden im letzten Jahr in der Schweiz eingereicht. Nach ersten Schätzungen des Bundesamtes für Migration (SEM) ist 2024 mit einer ähnlichen Zahl zu rechnen. Absehbar ist deshalb, dass die Asylpolitik weiterhin zu den Top-Themen in der Politik gehören wird. So hat die SVP schon vor Monaten eine Grenzschutz-Initiative angekündigt, mit der die Schweiz stärker abgeschottet werden soll.

Für Sprengstoff ist aber schon früher gesorgt: Das Parlament entscheidet demnächst über den umstrittenen Migrationspakt der Uno. Durch den Pakt soll die internationale Zusammenarbeit in der Migrationspolitik gestärkt werden. Die Staaten sollen die nationale Entwicklungspolitik und die internationale Zusammenarbeit in Bezug auf Migrationsfragen neu ausrichten. Zu den Zielen gehören etwa Massnahmen gegen Menschenhandel und Diskriminierung von Zuwanderern, Hilfe vor Ort und bei der Rückkehr oder die Sicherung der Grenzen. Die Staaten werden aber auch aufgefordert, mehr Möglichkeiten für legale Migration zu schaffen.

Links und rechts sind die Meinungen gemacht. SP und Grüne wollen dem Pakt zustimmen, die SVP lehnt ihn seit Jahren ab. Entscheidend wird deshalb sein, wie sich die FDP und die Mitte-Partei positionieren. Derzeit liegt das Geschäft in der Aussenpolitischen Kommission des Ständerates. Dort konnte sich die SVP vorerst nicht durchsetzen. Ein Antrag auf Rückweisung der Volkspartei wurde vor zwei Wochen abgelehnt. Die Chancen auf Zustimmung sind deshalb trotz Kritik nach wie vor vorhanden.

Entscheidend könnte ein Zusatzbericht des Aussendepartementes (EDA) werden, den die Aussenpolitische Kommission im letzten Frühjahr verlangt hatte. Die Ständerätinnen und Ständeräte wollten wissen, wie sich der Migrationspakt global und in einzelnen Ländern auswirkt. Dabei sollten vor allem Länder berücksichtigt werden, die sich mit der Schweiz vergleichen lassen. Das EDA hat dazu eine Umfrage bei 25 Ländern durchgeführt, darunter auch bei rund einem Dutzend Destinationsländern. Länder also, die wie die Schweiz das Ziel von Asylsuchenden sind.

Nur geringer Einfluss auf Migrationspolitik

Die Hälfte der befragten Destinationsländer gab in den Umfragen an, der Migrationspakt habe nur einen geringen Einfluss auf die Gesetzgebung und die Praxis gehabt, da die Migrationspolitik schon vor der Zustimmung weitgehend den Empfehlungen des Paktes entsprochen habe. Laut dem Verwaltungsbericht, der der NZZ vorliegt, haben sich Staaten wie Finnland, Belgien oder Deutschland in diesem Sinne geäussert.

Mehrere Länder stellen jedoch sogar Verbesserungen fest: einen erleichterten Zugang zu den Transit- und Herkunftsländern sowie eine verbesserte Zusammenarbeit mit diesen Staaten. So nennt Dänemark positive Auswirkungen auf die Bekämpfung der Ursachen irregulärer Migration sowie auf die Kontakte mit Ländern, mit denen die Zusammenarbeit bisher schwierig war. Ähnlich äusserten sich Länder wie die Niederlande, Portugal oder Kanada.

Aufhorchen lässt aber besonders eine Aussage: In dem Bericht figuriert sogar Grossbritannien unter den Ländern, die die Auswirkungen des Uno-Migrationspaktes positiv beurteilen. Das ist überraschend. Das Vereinigte Königreich war in jüngster Zeit durch eine besonders harte Asylpolitik aufgefallen. Besonders ein internationales Abkommen der anderen Art sorgt seit langer Zeit für Aufsehen: England hat mit Rwanda ein Abkommen geschlossen, um illegal Eingewanderte abzuschieben und deren Asylverfahren dort durchführen zu lassen.

Trump lehnte ab, Biden stimmte zu

Der EDA-Bericht, der vom letzten Dezember stammt, geht indessen nicht weiter darauf ein, wo und weshalb England positive Folgen des Uno-Migrationspaktes sieht. Es ist deshalb fraglich, wie viel Gewicht dieser Aussage in der politischen Debatte zukommt. Interessant sind auch die Ausführungen zu den USA. Dort hatte die Trump-Regierung den Pakt noch abgelehnt. Erst unter Joe Biden stimmte das Land 2021 zu. Weder in der Bevölkerung, dem Kongress noch in den Medien seien deswegen aber negative Reaktionen spürbar gewesen, schreibt das EDA in seinem Bericht.

Auch von den Herkunfts- und Transitländern seien die Auswirkung des Uno-Paktes positiv beurteilt worden, heisst es in dem EDA-Papier. So sei in Ländern wie Bangladesh, Äthiopien, Nigeria oder Tunesien die Zusammenarbeit der Akteure im Migrationsbereich verbessert worden. In Senegal, Nigeria und anderen Ländern seien Prävention und Bekämpfung des Menschenhandels verbessert worden. Die Moldau, Bosnien oder Sri Lanka hätten basierend auf dem Uno-Pakt Abkommen zur regulären Arbeitsmigration oder zur vereinfachten Rückkehr abgeschlossen.

Dass die Herkunftsländer positiv auf den Pakt reagieren, war zu erwarten. Dies auch deshalb, weil der Uno-Pakt die reguläre Migration stärken will, wovon sich diese Länder eine Besserstellung erhoffen. Der Zusatzbericht stellt zudem fest, dass die Schweiz bisher wegen der fehlenden Zustimmung «insgesamt keine Nachteile bei der Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern hatte». Er sei ein wichtiges Rahmenwerk im Bereich der Migration. Einen direkten Einfluss auf die Migrationsströme habe der Pakt aber nicht.

FDP-Ständerat verlangt, Sicherung zu verankern

Für den Luzerner FDP-Ständerat und Migrationspolitiker Damian Müller, der den Bericht verlangt hatte, wird überzeugend aufgezeigt, dass der Pakt keine rechtlichen Verpflichtungen für die Schweiz nach sich ziehe. Müller will seine Partei deshalb dazu bringen, dem Pakt zuzustimmen. Dies allerdings nur, falls im entsprechenden Bundesbeschluss klar festgeschrieben wird, dass dadurch die schweizerische Migrations- und Sozialpolitik nicht eingeschränkt wird, wie er gegenüber der NZZ erklärt. Im andern Fall lehne er den Pakt ab.

Ausdrücklich will Müller verankern, dass der Pakt für die Schweiz weder bindende Wirkung haben noch sie dazu verpflichten darf, ihre Gesetze oder gerichtliche Praxis anzupassen. Ausserdem sollen Weiterentwicklungen des Paktes für die Schweiz nur gelten, wenn das Parlament zustimmt. Grundsätzlich aber ist Müller der Überzeugung, dass die Migrationskrise international bekämpft werden müsse. «Allein kann die Schweiz nichts ausrichten.»

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