Samstag, September 28

Radikale Studenten erscheinen als Kriegsgegner, und über Greta Thunbergs Nähe zu antizionistischen Extremisten erfährt das Publikum nichts: Die Berichterstattung der SRG-Sender zum «propalästinensischen» Aktivismus sorgt für Kritik.

Kürzlich berichteten zahlreiche Medien in der Deutsch- und der Welschschweiz über Mountazar Jaffar. Der Lausanner SP-Politiker hatte in den sozialen Netzwerken mehrere Beiträge gelikt, die auf Sympathien für Extremisten und Diktatoren schliessen lassen. Unter anderem gefiel ihm eine Aussage eines Taliban-Führers, wonach man 400 000 Kämpfer nach Palästina schicken müsse, «damit wir Israel zerstören können».

Auch Beiträge des iranischen Revolutionsführers und Hamas-Unterstützers Ali Khamenei fanden seine Zustimmung. Oder Posts, in denen israelische Politiker mit Adolf Hitler verglichen und die islamistischen Huthi als Freiheitskämpfer verklärt werden. Jaffar gehört zu den Wortführern jener «propalästinensischen» Aktivisten, die im Frühling die Universität Lausanne besetzt haben.

«Verharmlosung von Gewalt»

Während der «Blick», Formate von Tamedia und andere Zeitungen den Fall aufgriffen, erfuhr man auf den Kanälen der SRG nichts. Genauer gesagt, präsentierte der SRG-Ableger RTS den mutmasslichen Hamas-Sympathisanten Mountazar Jaffar am 3. November 2023 in einem ausführlichen Bericht – als Kämpfer für die palästinensische Sache, der «strukturellen Rassismus» bei anderen anprangert, namentlich der Polizei. Wer nur SRG-Sender konsumiert, weiss bis heute nichts von den Verirrungen des SP-Politikers, der nachträglich versicherte, er habe nichts mit extremistischem Gedankengut zu tun.

Der Fall Jaffar ist einer von vielen, die der Zürcher Anwalt Emrah Erken in einer über hundertseitigen Popularbeschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) erwähnt. Die Schrift hat Erken im Internet publiziert, sie ist nach seinen Angaben von 375 Personen aus der ganzen Schweiz unterschrieben worden. Erken will, dass die Berichterstattung von SRF gerügt wird, wegen Verletzung des Vielfaltsgebots und des Sachgerechtigkeitsgebots sowie wegen Verharmlosung von Gewalt.

«Das Verschweigen unliebsamer Nachrichten hat bei den SRG-Medien System und erfolgt bewusst», schreibt Erken. Die Berichterstattung sei von «woken Ideologien» und einem latenten Antizionismus geprägt, was sich unter anderem während der israelfeindlichen Proteste an Universitäten in Europa und den USA gezeigt habe. Letztlich habe SRF damit die öffentliche Sicherheit gefährdet und zum Rassenhass beigetragen.

Israel-Hasser erscheinen als Kriegsgegner

Die drastischen Formulierungen sind kein Zufall, denn Anwalt Erken pflegt als Autor und Twitterer einen angriffigen, aggressiven Stil. Der 54-Jährige stört sich schon lange an postkolonialen und «progressiven» Ideologen, die Kopftücher in islamischen Gesellschaften als emanzipatorisches Symbol und Judenhass von Islamisten als westliche Einbildung betrachten, während sie Israel als rassistisches Kolonialprojekt verdammen.

«Der Antisemitismus dieser Ideologien wird überall thematisiert, sogar in linken Zeitungen wie der ‹TAZ›», sagt Erken der NZZ, «nur die SRG blendet das aus, um das eigene woke und israelfeindliche Narrativ nicht zu gefährden.» Die SRG gebärde sich wie eine woke NGO.

Ungeachtet aller Polemik wirft Erkens Beschwerde berechtigte Fragen auf. Denn Journalisten der SRG scheuen sich tatsächlich immer wieder davor, extremistische und antisemitische Züge von propalästinensischen und «progressiven» Aktivisten zu benennen. So verglich SRF Demonstrationen in den USA, an denen kaum verhohlen zur Vernichtung des «Genozid»-Staates Israel aufgerufen und Solidaritätsadressen an die Hamas verbreitet wurden, mit den Protesten gegen den Vietnamkrieg. Die Studenten, so wird suggeriert, hätten nur gegen «das israelische Vorgehen in Gaza» und die amerikanische Israel-Politik demonstriert.

Viel Nachsicht mit Greta Thunberg

Ähnlich weichgezeichnet ist das Bild, das SRF von Greta Thunberg vermittelt – jener «Klimaikone», deren Botschaften jahrelang wie Weisheiten zitiert wurden («Greta Thunberg: Es braucht in der Klimakrise drastische Schritte», lautet ein SRF-Titel aus dem Jahr 2021). Thunberg hat sich im Namen des Klimakampfes mit den Palästinensern solidarisiert. In dieser neuen Mission ist sie auch schon mit der Hamas-Unterstützerin Sara Rachdan aufgetreten. Während des Eurovision Song Contest befeuerte sie die ohnehin antisemitische Stimmung in Malmö, indem sie Israel auf X als «völkermörderischen Apartheidstaat» bezeichnete und in der Stadt mit Israel-Hassern demonstrierte.

In vielen Medien war das ein grosses Thema, bei der SRG weniger. Wie ein Blick in die Schweizerische Mediendatenbank zeigt, thematisierte SRF diesen Gaza-Aktivismus bisher nur in einem Bericht. Greta Thunberg, so heisst es darin, sei «propalästinensisch», und ihre «Solidaritätsbekundung» drohe die Klimabewegung zu spalten. Kein Wort über ihre Affinität zu Antisemiten und Verschwörungstheorien.

Über antisemitische Tendenzen in der «Black Lives Matter»-Bewegung hat SRF bis heute gar nicht berichtet, obwohl diese spätestens nach dem 7. Oktober offensichtlich sind. Dafür finden sich im SRF-Archiv zahlreiche unkritische Beiträge über BLM. Im Fall der woken Vordenkerin Judith Butler schreibt SRF in einem Beitrag, sie gehöre der «israelkritischen» Boykottbewegung BDS an und habe «linke Kritik» an Israel geübt. Dass BDS-Exponenten antisemitische Propaganda verbreiten und mit der Hamas verbandelt sind, bleibt ebenso unerwähnt wie die Tatsache, dass Butler das Massaker des 7. Oktober als «Akt des Widerstandes» bezeichnet hat.

SRF weist Vorwürfe «entschieden zurück»

Ob solche Verharmlosungen und Lücken gewollt und ideologisch motiviert sind, wie Emrah Erken behauptet, bleibt offen. Systematisch verschwiegen wird das Thema jedenfalls nicht, zumal es auf SRF durchaus Berichte gibt über Judenhass an Demonstrationen oder an (Schweizer) Universitäten. Oberflächlichkeit, Mangel an Kritik und Wohlwollen im Umgang mit vermeintlich progressiven Protagonisten sind zudem Phänomene, die auch in anderen Medien zu beobachten sind. Möglicherweise hängen sie mit Hemmungen zusammen, die falschen Leute zu kritisieren und den falschen zu helfen. Oder mit eigenwilligen Prioritäten.

Die SRG musste sich in den letzten Monaten mehrfach für lückenhafte Berichterstattung rechtfertigen. Dies unter anderem, weil SRF im Gegensatz zu anderen Medien darauf verzichtete, über die sogenannten RKI-Files zu berichten. Die Dokumente bestätigten den Verdacht von Kritikern, wonach die deutschen Corona-Massnahmen mehr politisch gewünscht als wissenschaftlich legitimiert waren. Der SRF-Chefredaktor Tristan Brenn begründete die Nichtbeachtung des Themas so: Es sei um eine «innerdeutsche Diskussion» gegangen, und die Entscheide des RKI hätten «kaum Einfluss» auf die Schweiz gehabt.

Diese «Nichtberichterstattung» wurde von der Ombudsstelle der SRG prompt gerügt. Die UBI wiederum zeigte sich im Mai 2023 «erstaunt» darüber, dass SRF viel über Twitter berichtete, aber kaum über die Twitter-Files, die Indizien für eine Bevorzugung linker Meinungen enthielten. Auf eine Rüge wurde jedoch verzichtet, weil eine «rechtserhebliche Einseitigkeit» nicht feststellbar sei.

Was Emrah Erkens Beschwerde betrifft, will SRF derzeit keine konkreten Fragen beantworten. «SRF weist den Vorwurf, einseitig über den Nahostkonflikt zu berichten und systematisch antisemitische Tendenzen zu verschleiern, entschieden zurück», schreibt die Medienstelle auf Anfrage der NZZ. «Darüber hinaus äussert sich SRF nicht zu laufenden Verfahren, sondern wird wie üblich im Rahmen der Beschwerde Stellung nehmen.»

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