Donnerstag, Oktober 3

Martin Theiler Pang behandelt täglich eine Familie wegen Krätze. Der Kanton will die Hautkrankheit nun eindämmen.

Es klingt wie ein Rückfall in längst vergangene Zeiten. Die Krätze – allein schon der Begriff. Doch die Zürcher Kantonsregierung sieht sich jetzt tatsächlich gezwungen, Massnahmen zur Eindämmung dieser Hautkrankheit auszurufen. Wegen Ausbrüchen in Kinderkrippen.

Die Krätze – Mediziner sprechen von Scabies – ist ein Befall der Haut durch eine parasitäre Milbe, die sich parallel mit dem Homo sapiens entwickelt hat, als dieser sein Fell verlor. Seither begleitete sie ihn als Quälgeist durch die Jahrtausende.

Von den alten Ägyptern ist überliefert, dass sie sich von der Sonne die Haut verbrennen liessen, um wenigstens ein paar Monate Ruhe zu haben vom unerbittlichen Juckreiz. Im Mittelalter kratzten sich die Menschen bis aufs Blut und zogen sich Infektionen zu, die nicht selten tödlich endeten. Und in Zürich wurden vor 200 Jahren jedes Jahr Tausende in der städtischen Schwefelräucherungsanstalt gegen Krätze behandelt.

In der jüngeren Vergangenheit aber galt die Krankheit hierzulande als fast ausgerottet. Aus der Lokalberichterstattung war sie verschwunden. Wenn der Begriff noch auftauchte, dann in Auslandreportagen aus Katastrophengebieten oder Flüchtlingslagern. Die wenigen Einzelfälle, die den Zürcher Gesundheitsbehörden gemeldet wurden, betrafen denn auch den Asylbereich.

Jetzt ist das anders: Die Kantonsärztin weiss in diesem Jahr von siebzig Fällen, meist aus Kindertagesstätten, und sie rechnet mit einer gewissen Dunkelziffer. Denn die Krankheit ist nicht meldepflichtig.

Der Dermatologe Martin Theiler Pang vom Zürcher Kinderspital erklärt im Interview, worauf Eltern achten müssen.

Wie viele Fälle haben Sie dieses Jahr schon behandelt?

Wir behandeln zurzeit im Schnitt etwa sieben bis acht Familien pro Woche. Meist sind gleich mehrere der Familienmitglieder klinisch von der Krankheit betroffen. Wir beobachten seit etwa 2015 zunehmend Fälle von Scabies. Ganz neu ist das Thema für uns nicht, auch wenn es erst in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit angekommen ist.

Wie gefährlich ist eine Ansteckung?

Sie ist nicht gefährlich, es werden durch die Milben keine Krankheiten übertragen. Wenn man sich fest kratzt und dadurch Bakterien in die Haut gelangen, kann es zu einer Infektion kommen. Das ist heute aber gut behandelbar. Eine Ansteckung ist in erster Linie sehr lästig, weil sie stark juckt und manchmal schwer wegzubekommen ist. Für Familien ist der Aufwand gross.

Inwiefern?

Die Kinder schlafen schlecht und müssen aus der Kita genommen werden. Alle Familienmitglieder müssen mit Crèmes und Tabletten behandelt werden. Zudem muss man Kleider und Bettwäsche wiederholt wechseln und Gegenstände wegpacken.

Was waren die schwersten Fälle, die Ihnen bisher begegnet sind?

Das waren Säuglinge, die sind schwieriger zu behandeln. Bei vielen Familien hat sich das ein halbes Jahr hingezogen oder noch länger. Obwohl sich alle lückenlos eincremten, kam es nach kurzen Ruhephasen wieder zu Rückfällen. Betroffene Familien kommen dann ziemlich verzweifelt zu uns – das erleben wir regelmässig.

Trotz Behandlung kann das so lange dauern?

Früher setzte man auf eine Crème, die heute nicht mehr besonders gut zu wirken scheint. Darum behandeln wir die Erkrankung nun von Beginn weg mit einer Tablette und Crème. Wir hoffen, dass es dadurch besser wird.

Trifft es zu, dass die Fälle vor allem in Zürich und Umgebung zunehmen?

Wir haben keine Zahlen dazu, aber nach unserer Beobachtung scheinen sie vor allem auf die Ballungszentren beschränkt, in denen es viele Familien und Kindertagesstätten hat.

Haben Sie eine Erklärung, weshalb sich die Milben jetzt ausbreiten?

Scabies war in der Schweiz nie ganz verschwunden, aber seit 2015 beobachten wir eine Zunahme. Ein möglicher Grund könnte die erhöhte Mobilität und Migration sein. Scabies ist zum einen in einigen Herkunftsländern, aus denen Asylsuchende stammen, endemisch. Zum anderen behandeln wir auch oft Kinder, die nach den Sommerferien aus dem Ausland zurückkehren. Es ist mir jedoch wichtig, zu betonen, dass sich jeder unabhängig von der Herkunft anstecken kann und es nicht zielführend ist, den Fokus auf bestimmte Gruppen zu legen.

Hautkrankheiten werden oft mit mangelnder Hygiene in Verbindung gebracht. Spielt dies eine Rolle?

Scabies ist kein Ergebnis individueller Hygieneprobleme. Auch wer sich oft wäscht, kann sich anstecken. Aber die Lebensumstände spielen eine Rolle: Unter hygienisch mangelhaften Verhältnissen, in beengten Wohnräumen treten Ansteckungen deutlich öfter auf. Das ist zum Beispiel in Flüchtlingslagern und Asylunterkünften ein Problem.

Wie kann man sich vor einer Ansteckung schützen?

Eine Impfung gibt es nicht. Aber es braucht zur Ansteckung einen relativ langen, engen Körperkontakt von fünf bis zehn Minuten. Im normalen Alltag passiert das kaum, ein Händedruck genügt nicht. Es reicht meist, wenn man aufmerksam ist und niemanden lange anfasst, dessen Haut juckt und ungesund aussieht – das tut man ja in der Regel auch nicht. Schwieriger ist es in Kitas, wo kleine Kinder lange nah beieinander sind. Darum weisen wir jetzt auf dieses Risiko hin und wollen Kinder konsequenter behandeln.

Kann man die Krätzmilben von blossem Auge sehen?

Wenn man gute Augen hat, kann man sie gerade so erkennen, als kleine weisse Punkte.

Deutlich kleiner als eine Zecke?

Ja, man erkennt ohne Mikroskop keine Beine.

Stimmt es, dass man die Gänge sieht, die sie zur Eiablage in die Haut fressen?

Ja, aber man stellt sich diese Gänge oft zu lange vor. Das sind helle Linien von wenigen Millimetern. Typisch ist, wo man sie findet: bei Kindern meist in der Achselhöhle, im Genitalbereich, zwischen den Fingern.

Auf welche anderen Symptome können Eltern achten?

Wenn im Umfeld mehrere Menschen Juckreiz haben, die früher nie Hautprobleme hatten, ist das ein Zeichen.

Verwechselt man die Symptome leicht mit anderen Hauterkrankungen?

Ja, mit Neurodermitis, also Ekzemen, wie sie kleine Kinder oft haben. Jetzt denkt man natürlich gleich an Scabies. Der Unterschied ist: Von Scabies sind meist mehrere Familienmitglieder plötzlich betroffen.

An wen sollen sich Eltern bei Verdacht wenden?

An den Hausarzt. Man muss deswegen nicht auf den Notfall aufsuchen. Für schwierige Fälle haben wir neu eine Spezialsprechstunde, aber dort geht es nicht um die erste Diagnose.

Wie verhindert man bei der Behandlung, dass die Milben in einer Familie von einem Mitglied aufs andere überspringen?

Indem alle wichtigen Kontaktpersonen gleichzeitig behandelt werden – auch ausserhalb der Familie. Dies zu unterlassen, ist einer der schwersten Behandlungsfehler. Dann hat man keine Chance, weil die Milben ständig hin und her springen.

Muss man neben der Bettwäsche auch das Sofa und alle Möbel behandeln?

Empfohlen wird zudem, Kleider bei 60 Grad zu waschen und Sofas oder Autositze mit dem Staubsauger zu reinigen. Eine Übertragung über Gegenstände ist aber die Ausnahme. Ausserhalb der Haut überleben die Milben maximal drei Tage – was man so lange nicht anfasst, ist danach also sicher.

Diese Massnahmen ergreift der Kanton zur Eindämmung

hub. Kindertagesstätten werden vom kantonsärztlichen Dienst beraten, wie sie gegen Scabies (Krätze) vorgehen können. Diesem Zweck dient auch eine Hotline, an die sich die Betreiber von Kitas wenden können. Um Ärzte zu informieren, gibt es ein Merkblatt mit Behandlungsempfehlungen von Experten wie Martin Theiler Pang. Für Betroffene steht die Rufnummer des Aerztefons zur Verfügung (0800 33 66 55). Für schwere Fälle wurden besondere Sprechstunden am Kinderspital und am Kantonsspital Winterthur eingerichtet.

Exit mobile version