Donnerstag, November 28

Dank Apps fitter werden, das klingt toll. Die Schriftstellerin Olivia El Sayed probiert es aus – und findet die Erlösung in Altbewährtem.

Meine Zeit für Sport ist weder frühmorgens noch nach der Arbeit. Meine Lieblingszeit für Sport ist Futur 2: Ihn gemacht zu haben, ist, was mich erquickt.

Die einzige Form von Sport, die ich im Präsens gut gelaunt ertragen kann, heisst Marcelo Pereira und sieht aus wie ein altersloser Halbgott. Er könnte sich wegen seiner Zähne den Lebensunterhalt auch mit dem Bewerben von Dentalprodukten verdienen, tanzt sich aber lieber seit Jahren und mit einer treuen Gefolgschaft durch die Turnräume der Stadt Zürich. Eine Stunde bei ihm fühlt sich an wie zehn Minuten Disco. Egal ob Salsa, Zumba oder Fitness, danach ist man zu glücklich, um sich zu erinnern, dass man Sport nicht mögen wollte.

Aus Gründen fehlt mir oft die Zeit, dahin zu gehen, wo Marcelo ist. Also müsste ich, um nicht ganz in alle Richtungen auseinanderzuquellen, jeweils in der Zwischenzeit mehr auf meine Ernährung achten (ein Unterfangen, das ich seit 43 Jahren nicht beherrsche) oder die Bewegung anderswie in mein Leben holen.

Ich spaziere viel und mache gelegentlich Yoga, aber wenn ich meine im Herbstwind flatternden Arme so anschaue, muss ich mir eingestehen, dass die Muskeln ü 40 mehr verlangen als das und ein über Instagram erstandenes, kaffeelösliches Kollagenpulver.

Suche nach der eierlegenden Wollmilch-App

Weil mich keine Fitness-App länger hält, als das Leben einer Pygmäengrundel andauert (to spare you the research: Es sind 59 Tage), brauche ich immer wieder mal eine neue für das Training daheim. Bislang probierte ich deren sieben, davon sind drei nennenswert.

Ich startete vor einigen Jahren mit Asana Rebel. Bis heute regt es mich auf, dass ich damals nicht das (nun nicht mehr erhältliche) «Lifetime Abo» für dreihundertundirgendwas Franken genommen habe, sondern eine vermeintlich günstige Probeversion, für die ich die 300 Franken in einer überhaupt nicht mit einer Lifetime vergleichbaren Zeitspanne bald ausgegeben hatte, weil ich immer vergass zu kündigen. Als ich es dann beendete, geschah das mehr aus Prinzip denn aus Enttäuschung – und wie im Liebesleben auch schmerzt dies das Gegenüber weitaus weniger als einen selbst.

Die App scheint mir drum gut: Die Übungen sind optisch ansprechend gegliedert, und je nach optimierungsbedürftiger Körperregion und Ausdauer kann man sich was Passendes aussuchen. Die Vorturnenden sind zwar fast unerträglich schön, aber vielleicht wird man ja tatsächlich zu einer von ihnen, wenn man nur lange genug mitmacht. (Das liegt jedoch ausserhalb meines Beurteilungsbereichs, Stichwort Pygmäengrundel.)

Diesen Frühling fiel Marcelo gesundheitsbedingt aus. Er organisierte Stellvertretungen, die allesamt qualifiziert und super waren, mir aber verdeutlichten, dass ich Real-Life-Gruppensport tatsächlich nur ertragen kann, wenn es unter seinen Fittichen passiert. Ist er weg, schaue ich nur auf die Uhr und schwitze nicht genug, als dass mir die anderen oder die Musikauswahl im Zumba egal würden.

Ich kaufte mir also eine Tanz-App namens Dancebit: Man wählt seine bevorzugten Tanzstile und lernt kleine Choreografien. Wenn man früher ein bisschen Jazz oder Hip-Hop getanzt hat, kann man die einfachsten Levels auslassen und so tanzen, dass man auch daheim gut ins Schwitzen kommt.

Ich mag lieber, wenn ich Vortanzende von hinten sehe (wegen links-rechts, nicht wegen der Ansicht), die noch grössere Hürde war aber die Musik: Konservensongs, die immer nur halb so gut klingen wie das Lied, an das sie vage erinnern. Weil meine Kinder mittanzten, benutzte ich die App trotzdem ein paar Mal. Aber nach ungefähr neun Tagen öffnete ich sie zum letzten Mal und nur, um einen abstrusen Tanz abzufilmen (zur Unterhaltung, nicht zu Nachahmung), der den Bauch flach halten soll.

Dass Apps aber tatsächlich funktionieren können, sehe ich an meinen Freundinnen. Judith zum Beispiel schafft dank Konsequenz und Charlotte Würdigs Programmen viel mehr Trainingseinheiten als noch vor einem Jahr, und am Rücken und an den Seiten ihres Körpers sieht man neue Muskeln. Und meine Freundin Nadja mit den schönsten Tank-Top-Oberarmen sagt, bei der 28-Tage-Wandpilates-Challenge von Better Me habe sie an sich selbst sichtbare Veränderungen wahrgenommen. Von einer super Ausgangslage hin zu super toned scheint per App also zu funktionieren.

Grosse Träume und grosse Versprechungen

Was aber ist mit normaler Ausgangslage? Auf Instagram fragte mich Anfang Sommer die Better-Me-Werbung ungefähr 13 Mal innert einer Woche, ob ich eigentlich keine 50 Liegestütze schaffe!? Als wäre das normal! Das fand ich so frech, dass ich mir die App sofort kaufte. Weil: Ich bin nicht schwach. Ich bin gesund, nichts ist kaputt. Aber ich schaffe exakt einen halben Liegestütz und war drum ziemlich sicher, dass ich mit egal welchem Training innert der propagierten 28 Tage sicher nicht plötzlich 50 schaffen sollte. Da ich genauso gern recht habe, wie ich es gern hätte, 50 Liegestütze zu schaffen, war der Deal perfekt: Ich konnte nur gewinnen.

Die «Calisthenics Challenge» von Better Me begann derart easy, dass ich nicht wusste, ob ich doch vielleicht sportlicher bin als angenommen. Ein paar roboterartig anmoderierte «hula rotations», Ausfallschritte, ein paar Sit-ups. Und dann schon wieder abkühlen. Ich war skeptisch.

Ab Tag zehn war ich dann in den Ferien mit Judith. Wir beschlossen, uns die abendlichen Drinks mit dem Absolvieren unser beider App-Work-outs zu verdienen. Ihres machte mich unsäglich aggressiv: Ein Mann steht in der Ecke und sagt einer durchtrainierten Frau am Boden, was sie als Nächstes tun soll. Ich schrie einige Male vor Entsetzen, aber machte wütend alle Froschsprünge.

Als wir danach noch meine Übungen machten, lachte Judith nur. Ich war also doch nicht sportlicher als angenommen, sondern nur auf eine lieblos zusammengewürfelte Challenge reingefallen: Manche Übungseinheiten wiederholen sich bis zu zwölf Mal, immer wieder identisch anmoderiert. Vieles ist absurd übersetzt: «Lese jetzt ein neues Kapital» und «Getönte Muskeln des Geschlechtsteils». Meine Journey mit dieser App ist aber noch nicht zu Ende, allein schon wegen der Kündigungsfrist, die ich bereits wieder verpasst habe. Manchmal erwischt man auch nur die falsche Challenge, sage ich mir.

Ein bisschen Wandpilates und den Traum von definierten Oberarmen bewahre ich mir noch. Und zum Glück ist Marcelo wieder gesund. Ich wünsche ihm ewiges Leben und beste Gesundheit, für immer. Und vor allem für mich.

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