Sonntag, Oktober 13

Der französische Tech-Milliardär äussert sich erstmals zu seinen Aktivitäten in der Schweiz. Er spricht über die Marktmacht der Swisscom, die Loyalität der Schweizer – und lobt Emmanuel Macron.

2015 haben Sie den Schweizer Telekomkonzern Salt, damals noch Orange, übernommen. Was hat Sie daran gereizt, in den Schweizer Markt einzusteigen?

Wir wollten etwas bieten, das es in der Schweiz so nicht gab: hohe Qualität zu tiefen Preisen. Wir haben die Marke Salt neu gegründet und alles von Grund auf neu aufgebaut. Pakete, die bei der Konkurrenz 100 Franken kosteten, konnten wir für 39 Franken 95 anbieten. So haben wir viel Druck auf die Preise ausgeübt. Bevor wir kamen, waren diese viel zu hoch. Tatsächlich war die Schweiz das erste Land, in dem wir einen Anbieter vollständig übernommen haben.

Warum haben Sie diesen Versuch erstmals in der Schweiz gewagt?

Die Schweiz war gewissermassen ein Versuchslabor für uns. Das Land ist stabil und gut organisiert, die steuerlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen machen es sehr attraktiv, dort ein Unternehmen zu kaufen. Bevor wir also in schwierigere Länder gegangen sind, etwa nach Bolivien oder Guatemala, haben wir es erst einmal in der Schweiz versucht.

Worauf kommt es an, wenn man in einen neuen Markt eintritt?

Wichtig ist es, Führungspersonal zu haben, das die Gegebenheiten vor Ort kennt. Darum rekrutieren wir immer einheimische CEO. Aber auch die können sich irren!

Haben Sie ein Beispiel?

Ein ehemaliger Salt-CEO hat uns vorgeschlagen, ein Abonnement anzubieten, das man jährlich bezahlt, ähnlich wie das GA. Schweizer würden gerne Dinge auf einen Schlag bezahlen, sagte er uns. Wir haben es ausprobiert, und es war ein riesengrosser Reinfall. Wir haben vielleicht hundert Verträge verkauft.

Zur Person

Xavier Niel wurde 1967 in Maisons-Alfort geboren, einem Vorort von Paris. Seine ersten Millionen verdiente er als junger Mann mit dem Online-Dienst Minitel, einem Vorgänger des Internets. In Frankreich gründete er das Telekomunternehmen Iliad und den Internetanbieter Free. Heute ist er über Iliad und seine private Holding NJJ in 28 Ländern in der Telekombranche aktiv. In der Schweiz übernahm er 2015 den Anbieter Salt.

Niel zählt zu den einflussreichsten Tech-Unternehmern Europas, sein Vermögen wird auf 10 Milliarden Euro geschätzt. Er ist vor allem in der Startup-Förderung und im KI-Bereich aktiv, investiert aber auch in Medien. 2010 übernahm er mit einer Gruppe weiterer französischer Unternehmer die französische Zeitung «Le Monde». Seit kurzem sitzt er im Verwaltungsrat von Bytedance, der Firma hinter Tiktok.

Seit 2010 ist Niel mit Delphine Arnault zusammen, der Tochter des LVMH-Chefs Bernard Arnault und der Geschäftsführerin von Christian Dior. Das Paar hat zwei Kinder. Darüber hinaus hat Niel zwei Söhne aus einer früheren Beziehung.

Wie beurteilen Sie Ihren grössten Konkurrenten, die Swisscom?

Die Swisscom gehört noch immer zu mehr als der Hälfte dem Staat. Ihre Marktkapitalisierung ist grösser als die des gesamten Orange-Konzerns – 30 Milliarden Euro gegenüber 27 Milliarden! Dabei hat Orange fast 300 Millionen Kunden und ist in 26 Ländern aktiv. Die Swisscom befindet sich in einer sehr angenehmen Position, sie hat einen riesigen Marktanteil. Darum braucht es angriffslustige Wettbewerber wie uns.

Und wie sehen Sie die Schweizer Kunden? Gibt es grosse Unterschiede zu jenen in Frankreich?

Die Schweizer sind sicher weniger preissensibel. Sie sind bereit, eine gewaltige Menge Geld an die Swisscom zu bezahlen, obwohl sie dieselbe Qualität und denselben Service erhalten wie bei deutlich günstigeren Anbietern – bei Salt zum Beispiel. Gut für die Swisscom! Die Schweizer lieben ihr Land, verständlicherweise. Wenn irgendwo das Wort «Swiss» drinsteckt, hat dieses Unternehmen automatisch einen Vorteil. Ob es eine Airline ist oder ein Telekomanbieter.

Das ist aber doch sicher nicht nur in der Schweiz so.

In Irland haben wir den Anbieter Eir übernommen, den ehemaligen staatlichen Monopolisten. Wir sind sehr froh darüber, dass wir diesen traditionsreichen irischen Namen haben. Vielleicht brauchen wir in der Schweiz auch so einen Namen, der irgendetwas mit «Swiss» zu tun hat.

«Manchmal fühle ich mich, als sei ich der grösste Verlierer der Welt. Aber das macht nichts.»

In der «Irish Times» haben Sie gesagt, Eir solle nicht verkauft werden, solange Sie leben. Ist das bei Salt genauso?

Ich kaufe Unternehmen, um sie zu behalten. Wenn man als Telekomanbieter aktiv ist, ist das ein Investment für immer. Denn egal welche Technologien die Menschheit in den nächsten Jahrzehnten entwickelt: Netzanbieter wird es immer brauchen. Im Schweizer Umfeld fühlen wir uns als Herausforderer sehr wohl. Warum sollten wir da weg?

Eines der Länder, in denen Sie aktiv sind, ist Italien. Sie wollten dort Vodafone übernehmen. Doch nun geht das Unternehmen an die Swisscom.

Mal gewinnt man, mal verliert man, das ist Teil des Spiels. Ich habe schon so oft in meiner Karriere verloren, manchmal fühle ich mich, als sei ich der grösste Verlierer der Welt. Aber das macht nichts. Jetzt geht Vodafone an Fastweb, und wir haben einen Wettbewerber weniger.

Nicht nur in der Schweiz, auch in Frankreich und anderen Ländern treten Sie als angriffslustiger Wettbewerber mit tiefen Preisen auf. Gefällt Ihnen diese Rolle?

Wir sind auch in Ländern aktiv, in denen wir die Nummer eins sind. Aber es ist immer besser – und es macht mehr Spass –, Herausforderer zu sein. Man muss kreativ sein und aggressiv. Ich liebe Wettbewerb, und ich liebe die Herausforderung. Darum haben wir vor wenigen Wochen einen Mobilfunkanbieter in der Ukraine gekauft.

Wie kam es dazu?

Es ist wichtig, dass Unternehmer in das Land investieren und dort etwas aufbauen. Natürlich ist es komplizierter als in anderen Ländern – aber gerade das ist es, was mich daran reizt. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt dafür, auch als Signal an die Menschen vor Ort: Es gibt Investoren, die sich für die Ukraine interessieren, die etwas aufbauen wollen.

Verfolgen Sie in der Schweiz weitere Projekte?

Wir halten Anteile am Vermögensverwalter GAM, daran soll sich auch nichts ändern. Darüber hinaus gibt es einige Startups, in die ich investiert habe, wie das Softwareunternehmen Ledgy. Wir machen rund 150 Investments in Startups pro Jahr, und in der Schweiz gibt es viele spannende Projekte, vor allem im Umfeld der ETH und der EPFL.

Die Startup-Förderung liegt Ihnen sehr am Herzen. Warum?

Ich investiere seit dreissig Jahren in den französischen Tech-Sektor. Das mache ich nicht aus Gründen des Profits: Alles, was ich erwirtschafte, fliesst zurück ins Startup-Ökosystem. Mit dem Geld habe ich eine kostenfreie Schule für Programmierer gegründet, «42» genannt. Inzwischen haben wir 57 Ableger. Ein ähnliches Projekt ist Hectar, eine Schule im Bereich Agrikultur. Und dann ist da natürlich Station F, der grösste Startup-Campus der Welt, in Paris. Rund tausend Jungunternehmen sind dort stationiert – darunter auch Depoly aus der Schweiz. Sie forschen an einer Technik zum Recycling von Plastik.

«Präsident Macron hat unserem Land ein neues Image verpasst.»

Die Investments scheinen sich zu lohnen, der französische Tech-Sektor boomt.

Es wäre toll, wenn das komplett mein Verdienst wäre, aber so ist es natürlich nicht. Es sind viele engagierte Unternehmer, die dazu beitragen.

Spielt die Politik von Präsident Macron eine Rolle?

Er trägt seinen Teil dazu bei, ja. Aber weniger, weil er konkrete politische Massnahmen ergriffen hat, als weil er unserem Land ein neues Image verpasst hat. Ein junger, charismatischer Präsident, der Investoren das Gefühl gibt, dass es vorwärtsgeht – das hat der Branche sehr geholfen. Während sich das Ansehen von Ländern wie Deutschland bei Investoren verschlechtert hat, hat Macron unserem Land zu einem unternehmerfreundlichen Image verholfen.

Ein weiteres grosses Anliegen von Ihnen ist eine europäische KI. Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?

Ich möchte nicht, dass meine Kinder eines Tages auf KI-Modelle angewiesen sind, die ausserhalb Europas entwickelt wurden. Wir haben nicht dieselbe Sicht auf die Welt wie China oder die USA. Darum sollten wir unsere eigenen Modelle entwickeln, mit Algorithmen, die zu unseren Wertvorstellungen passen.

Halten Sie das für realistisch?

Wenn wir es nicht versuchen, bin ich zu hundert Prozent sicher, dass wir nichts erreichen. Wir verfügen in Europa über gut ausgebildete Talente, und wir müssen dafür sorgen, dass sie hier bleiben. Dafür geben wir unser Bestes: Iliad ist der grösste europäische Käufer von Nvidia-GPU, damit errichten wir Datenzentren überall im Land. Und wir haben 300 Millionen Euro eingesammelt, um das Non-Profit-Unternehmen Kyutai zu gründen, das an einer KI forscht.

«Die meisten wohlhabenden Europäer haben ihr Vermögen, zumindest einen grossen Teil davon, geerbt. Ich wurde in der Pariser Banlieue geboren, meine Familie war nicht reich.»

Bereits heute kommt die Technologie, die unser aller Leben bestimmt, nicht aus Europa. Sie selbst sitzen seit kurzem im Verwaltungsrat der chinesischen Firma Bytedance, die hinter Tiktok steckt.

Wir sind fünf Leute im Verwaltungsrat: zwei Amerikaner, zwei Chinesen und ein Europäer, das bin ich. Ich regle gewissermassen die Beziehung zwischen den beiden Ländern! Im Ernst, Tiktok ist das grösste soziale Netzwerk der Welt, und ich finde es wichtig, dass eine europäische Perspektive vertreten ist. Europäer sollten in den Verwaltungsräten aller grossen Tech-Unternehmen präsent sein, stattdessen sitzen in den meisten dieser Gremien nur Amerikaner.

Geht es Ihnen bei Ihrem Engagement auch darum, Ihrem Land etwas zurückzugeben?

Die meisten wohlhabenden Europäer haben ihr Vermögen, zumindest einen grossen Teil davon, geerbt. Ich wurde in der Pariser Banlieue geboren, meine Familie war nicht reich. Ich glaube, wenn man sein Geld geerbt hat, hat man kein Verständnis für Philanthropie. Ich hingegen hänge nicht sehr an meinem Geld. In den USA sieht man das auch: Viele Unternehmer dort haben sich ihr Vermögen selbst aufgebaut, und sie sind viel offener dafür, es in Non-Profit-Projekte zu stecken.

Hängt man nicht mehr an seinem Vermögen, wenn man es sich selbst erarbeitet hat?

Ich bin nicht da, wo ich heute bin, weil ich besonders hart gearbeitet habe. Ich hatte viel Glück, und je öfter ich etwas versucht habe, desto öfter war ich auch erfolgreich. Ich war zum richtigen Zeitpunkt mit der richtigen Idee am richtigen Ort. Und ich war immer optimistisch.

Warum ist Optimismus wichtig?

Ich sage Ihnen heute eins: Eines Tages werden wir mit Salt hundert Prozent Marktanteil in der Schweiz haben. Na gut, vielleicht 95 Prozent. So denke ich. Als ich im Jahr 2002 in Frankreich das Unternehmen Free gegründet habe, standen 100 Prozent Marktanteil als Ziel in unserem Businessplan. Heute haben wir 27 Prozent. Aber ich glaube immer noch, dass wir es schaffen können. Wenn man nicht optimistisch ist, dann kann es gar nicht funktionieren.

Sie sind auch Investor bei verschiedenen französischen Zeitungen, darunter «Le Monde». Die Branche ist nicht gerade für ihren Optimismus bekannt.

Und genau das ist das Problem! Zeitungen machen alle dasselbe. Sie verkaufen nicht genug Exemplare, also entlassen sie Redakteure, und dann verlieren sie noch mehr Leser. Es ist eine Abwärtsspirale. Bei «Le Monde» haben wir das Gegenteil gemacht. Als ich eingestiegen bin, haben bei der Zeitung 300 Journalisten gearbeitet, inzwischen sind es 550. Denn wenn man nichts zu verkaufen hat, findet man auch keine Käufer! Und wir haben sehr stark auf die Digitalisierung gesetzt, sie von Anfang an als Chance gesehen. Die Auflage der Zeitung ist von 300 000 auf 600 000 gestiegen, und sie ist profitabel.

Wenn wohlhabende Unternehmer sich in Zeitungen einkaufen, gibt es daran Kritik, aus Furcht vor Einflussnahme.

Mich tangiert nicht, was in der Zeitung steht. Einige der negativsten Artikel über mich kommen von «Le Monde». Das gehört dazu. Die Journalisten fordern mich immer wieder heraus, sie berichten über mich und schauen, wie ich reagiere. Und ich reagiere nicht. So wissen sie, dass sie unabhängig sind. Sehen Sie sich «Le Monde diplomatique» an: Die Zeitung ist antikapitalistisch eingestellt, was man von mir nicht gerade behaupten kann. Aber ich mische mich nicht ein.

Ende September haben Sie ein Buch über Ihr Leben veröffentlicht. Der Titel lautet «Une sacrée envie de foutre le bordel» – «Ein echter Wunsch, ein Chaos anzurichten». Was bedeutet das für Sie?

Es bedeutet, derjenige zu sein, der alles über den Haufen wirft. Ich mag keinen Stillstand, ich will, dass die Dinge in Bewegung sind. Mir gefällt die Vorstellung, dass sich immer alles ändern kann. Vielleicht wird auch meine Firma eines Tages verschwinden. Das gehört dazu, das ist Teil des Spiels. Hauptsache, es geht vorwärts.

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