Mittwoch, April 30

Die innenpolitischen Gespräche über den Lohnschutz können weitergehen. Aussenpolitisch stellt nun auch die EU neue Forderungen.

Der Bundesrat hat gerufen, und alle sind gekommen. Am Montag hat in Bern hinter verschlossenen Türen ein hochkarätig besetztes Treffen zu den laufenden Verhandlungen mit der EU stattgefunden. Gastgeber war der Europaausschuss des Bundesrats, dem Ignazio Cassis, Guy Parmelin und Beat Jans angehören. Eingeladen waren die Sozialpartner. Und am Ende waren tatsächlich alle Plätze besetzt, auch jener von Pierre-Yves Maillard, dem Präsidenten des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB). Das ist nicht selbstverständlich.

Kaum hatten Mitte März in Brüssel die neuen Verhandlungen mit der EU begonnen, kündigte sich in Bern ein Eklat an. Weil der SGB mit einigen Punkten des Verhandlungsmandats unzufrieden war, drohte er, die weiteren innenpolitischen Gespräche zu boykottieren. Dies wäre für das ohnehin schwierige Projekt, das die bilateralen Beziehungen sichern und weiterentwickeln soll, ein gravierender Rückschlag gewesen.

Doch nun hat man sich offenkundig wieder gefunden. Dies war laut involvierten Personen auch das primäre Ziel des Treffens vom Montag. Es ging demnach weniger darum, inhaltliche Fortschritte oder gar Einigungen zu erzielen, sondern vor allem darum, eine gemeinsame Basis für die anstehenden Gespräche zu schaffen. Wie genau es dem Bundesrat gelungen ist, den Gewerkschaftsbund zu besänftigen, ist nicht klar. Jedenfalls erklärte der SGB am Tag danach auf Anfrage, wenn das Ziel sei, den Lohnschutz zu sichern und die Probleme zu lösen, sei man auf der politischen und der technischen Ebene gesprächsbereit.

Powerplay der Gewerkschaften

Die innenpolitischen Verhandlungen mit den Wirtschaftsverbänden und den Gewerkschaften drehen sich in erster Linie um den Lohnschutz. Die Schweiz plant hier Konzessionen gegenüber der EU, die mit innenpolitischen Massnahmen kompensiert werden sollen. Weil zum Beispiel die Voranmeldefrist für Firmen aus der EU verkürzt wird, soll das Anmeldeverfahren verbessert und beschleunigt werden, damit weiterhin Lohnkontrollen möglich sind.

Doch nicht alle Probleme lassen sich so leicht lösen. Schwierig ist etwa die Frage der Spesen: Hier sieht die EU-Regelung vor, dass auch bei Arbeiten in anderen Ländern die Ansätze des Heimatlandes relevant sind. Dies lehnen nicht nur die Gewerkschaften ab, sondern auch die Wirtschaftsverbände und der Bundesrat. Wie hier eine Lösung gelingen kann, ist offen.

Der grösste Streit dreht sich aber um andere Themen. Die Gewerkschaften verlangen, dass Gesamtarbeitsverträge einfacher allgemeinverbindlich erklärt werden können. Zudem soll Temporärarbeit strikter reguliert werden. Die Arbeitgeber lehnen dies ab und betonen, solche Forderungen hätten nichts mit dem EU-Dossier und dem Lohnschutz zu tun.

Ihr Unglück ist, dass die Gewerkschaften in der Europapolitik an einem relativ langen Hebel sitzen. Weil die SVP das geplante Paket mit der EU in jedem Fall bekämpfen wird, dürfte das Parlament geneigt sein, der Linken weit entgegenzukommen, um sie einzubinden. Die Diskussionen über inländische Massnahmen auf dem Arbeitsmarkt werden jedoch voraussichtlich erst in der zweiten Phase ernsthaft geführt, wenn die Verhandlungen mit der EU beendet sind.

Feilschen um jedes Wort

Beim Treffen des Bundesrats mit den Sozialpartnern waren auch die Verhandlungen mit der EU ein Thema. Die beiden Parteien haben diese offiziell am 18. März eröffnet. Zwar haben die Unterhändler in den Sondierungen bereits zahlreiche Kompromisse vorgespurt. Doch sie müssen diese nun zu rechtsverbindlichen Texten machen, bei denen jedes Wort zählt – auch ein ungeschriebenes. Die schwierige Detailarbeit hat erst begonnen.

Die Schweiz hat mit der Verabschiedung des Verhandlungsmandats neue Forderungen eingebracht. Sie strebt unter anderem beim internationalen Bahnverkehr und beim geplanten Stromabkommen Verbesserungen an. Vor allem aber will der Bundesrat mit der EU auch über eine Konkretisierung der bestehenden Schutzklausel im Freizügigkeitsabkommen sprechen. Die EU-Kommission hat bereits abgewinkt. Doch ein derartiger Mechanismus, der die Zuwanderung temporär bremsen würde, könnte auch im Interesse der Nachbarstaaten der Schweiz sein. So klagen Grenzregionen darüber, dass Fachkräfte in die Schweiz abwandern, etwa im Gesundheitswesen.

Dem Vernehmen nach hat nun auch die EU-Kommission in den Verhandlungen eine alte Forderung erneut eingebracht. Sie würde gerne über eine Modernisierung des Freihandelsabkommens (FHA) von 1972 sprechen. Nicht alle Mitgliedstaaten goutieren, dass das FHA im Fazit zu den Sondierungen unerwähnt bleibt. Die Schweiz will eine Modernisierung dagegen sogar explizit ausschliessen, insbesondere aus Rücksicht auf den Grenzschutz der Landwirtschaft.

Zudem möchte die EU-Kommission offenkundig auf manche Ausnahmen zurückkommen, die sie der Schweiz im Rahmen der Bilateralen I gewährt hat. So gelten für den Export von Leistungen wie Arbeitslosengeldern gewisse Einschränkungen. Ob die Verhandlungen so rasch abgeschlossen werden können, wie es die Europäische Union hofft, ist denn auch fraglich.

Anfang Woche hat sich mit Economiesuisse ein gewichtiger Wirtschaftsverband bei der Zuwanderung hinter den Bundesrat gestellt. Eine neue Schutzklausel könnte eine der geeigneten Massnahmen sein, sagte die Direktorin Monika Rühl gegenüber SRF.

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