Samstag, April 26

Wenn nicht noch etwas Dramatisches passiert, geht 2024 als ein ungemein erfreuliches Aktienjahr in die Geschichte ein. The Market zeigt, wie sich das in den Bewertungen der Aktiensektoren und Industrien niederschlägt.

Ein freundliches Börsenjahr neigt sich seinem Ende zu. Der MSCI World verzeichnete 2024 bislang einen Zuwachs von rund 20%, die globalen Aktiensektoren aus den Industrieländern notieren seit Jahresbeginn zwischen 1% (Grundstoffe) und gegen 34% höher (Kommunikation). Die meisten Branchen handeln nur knapp unter ihrem Jahreshöchst.

Mit der Wahl Donald Trumps Anfang November haben vor allem US-Aktien und konjunktursensitive Segmente neuen Schub erhalten, defensive Werte waren weniger gefragt. Die Hoffnung der Anleger beruht darauf, dass eine zweite Amtszeit Trumps Deregulierung und Steuererleichterungen bringen wird, was der US-Konjunktur neues Leben einhauchen und den Börsen anhaltenden Rückenwind bescheren dürfte.

Ob nach zwei überaus starken Börsenjahren auch 2025 erfreulich ausfallen wird, wird sich weisen. Die Risiken werden von den Anlegern derzeit jedenfalls ignoriert; die Angst, Kursgewinne zu verpassen, dominiert. «Der Markt prognostiziert für das kommende Jahr eine höchst ungewöhnliche Mischung aus beschleunigtem Gewinnwachstum und US-Zinssenkungen», meint etwa Andrew Lapthorne, Stratege bei Société Générale. Diese Kombination sei in der Vergangenheit noch nie vorgekommen.

Aber in welchen Sektoren und Industrien wird ein besonders optimistisches Szenario eingepreist – und gibt es noch Branchen, die über einen Bewertungspuffer verfügen? Um diese Fragen zu beantworten, wirft The Market einen frischen Blick auf die elf globalen Aktiensektoren und die 25 Industriegruppen (hier finden Sie die Bestandesaufnahme vom August).

Was die Bewertungskennzahlen zeigen

Ein direkter Vergleich der Sektoren und der Industriegruppen ist in der Regel wenig sinnvoll. Luxusgüterkonzerne, Halbleiterproduzenten und Zementhersteller weisen höchst unterschiedliche Renditetreiber auf. Aus diesem Grund wurde in der vorliegenden Analyse die Bewertung jeder Branche mit ihrer eigenen Historie verglichen und der sogenannte Perzentilrang ermittelt. Um ihn zu bestimmen, ordnet man alle Kennzahlen der Reihe nach und zeigt, an welcher Stelle sich der heutige Wert befindet (hier finden Sie eine ausführliche Erklärung dazu).

Ein Beispiel: Die Dividendenrendite – einer der fünf untersuchten Bewertungsfaktoren – des globalen Gesundheitssektors bewegte sich in der Vergangenheit zwischen 1,5 und 3,25%. Ordnet man nun alle seit 2005 wöchentlich verfügbaren Bewertungszahlen aufsteigend an, kommt der jüngste Wert von rund 1,74% auf Rang 751 von 1039 zu liegen. Mit anderen Worten: In 750 Wochen oder in 72% der Fälle (750/1039 = ~72%) fiel die Dividendenrendite höher aus als heute, lediglich in knapp 28% der Fälle war sie niedriger. Aktien aus dem Gesundheitssektor sind angesichts der eher geringen Dividendenrendite im historischen Vergleich gegenwärtig demnach sportlich bewertet (die Bewertungskennzahlen werden unten erklärt).

Technologiekonzerne knausern bei der Ausschüttung

Wie schneiden die übrigen Branchen ab? Gemessen an der Dividendenrendite ist der Technologiesektor der unattraktivste globale Sektor. Die im Branchenindex enthaltenen Unternehmen werfen lediglich eine Rendite von knapp über 0,6% ab – das entspricht dem viertniedrigsten Wert, bloss im Sommer war die Ausschüttungsrendite etwas geringer. Das Bewertungsmass erreicht das sportliche 99,8. Perzentil (vgl. violette Balken in der Grafik, die elf Sektoren sind hervorgehoben).

Unmittelbar dahinter folgen die Sektoren Kommunikationsdienste (99. Perzentil) sowie Industrie (94. Perzentil) und Finanz (94. Perzentil), deren Ausschüttungen im historischen Vergleich ebenfalls ungewöhnlich niedrig ausfallen. Bei den Industriegruppen schneiden Software und Dienstleistungen (98. Perzentil), Kapitalgüter (98. Perzentil) sowie diversifizierte Finanzwerte (97. Perzentil) und Halbleiter und Halbleiterausrüstung (97. Perzentil) schwach ab.

Mit überdurchschnittlichen Dividendenausschüttungen können die Sektoren Energie (36. Perzentil) und Basiskonsum (40. Perzentil) glänzen. Bei den Industriegruppen überzeugen wie bereits das gesamte Jahr über Valoren aus der Lebensmittel-, Getränke- und Tabakbranche (5. Perzentil) mit einer im historischen Vergleich überdurchschnittlich grosszügigen Ausschüttung. Auch Geräte und Dienstleistungen für das Gesundheitswesen (35. Perzentil) sowie Banken (36. Perzentil) schneiden auf Basis der Dividenden vorteilhaft ab.

Das gleiche Vorgehen wurde auf vier weitere Bewertungskennzahlen angewendet: auf das Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis, das vorwärtsgerichtete KGV, das Kurs-Umsatz-Verhältnis sowie das Kurs-Buchwert-Verhältnis (siehe Erklärung der Kennzahlen am Ende des Artikels). Bei allen gilt: Je höher der entsprechende Perzentilrang – er bewegt sich zwischen 0 und 100 –, desto unattraktiver ist die Bewertung.

Kein Sektor ist unterbewertet

Zur besseren Lesbarkeit lassen sich die fünf untersuchten Bewertungskennzahlen für die globalen Sektoren in ein Gesamtmass aggregieren. Wie sieht das Resultat aus?

Wie schon in der Übersicht für das zweite und für das dritte Quartal belegt Technologie den Spitzenrang der teuersten Branchen. Die Gesamtbewertung ist nochmals anspruchsvoller geworden und erreicht derzeit das 99. Perzentil (August: 96. Perzentil).

Die Zuversicht der Anleger ist weiterhin enorm, dass die IT-Kolosse dank künstlicher Intelligenz ihre Gewinndynamik aufrechterhalten können.

Die langfristigen Wachstumserwartungen der Sell-Side-Analysten für die Glorreichen Sieben liegen trotz gewaltigen Investitionen in KI bei unsicherem Ertragspotenzial nahe an einem Rekordhoch. Gemäss Daten des Vermögensverwalters BlackRock sollen die Glorreichen Sieben – Alphabet, Amazon, Apple, Microsoft, Nvidia, Meta Platforms und Tesla – ihre Gewinne 2025 um nahezu 20% steigern.

Allerdings birgt die Drohung Donald Trumps, neue Zölle einzuführen und/oder bestehende anzuheben, ein nicht zu vernachlässigendes Risiko für den Sektor. So könnten insbesondere die beiden Schwergewichte Apple und Nvidia, die zusammen rund 40% des MSCI World Technology ausmachen, von Einfuhrbeschränkungen (und von Gegenmassnahmen Chinas) betroffen sein, da sie stark in Asien exponiert sind.

Sie ist zwar derzeit unter Anlegern kein Thema, aber sollte es im kommenden Jahr wider Erwarten zu einer Rezession kommen, dürften die hohen Gewinnerwartungen ebenfalls enttäuscht werden, was eine schmerzhafte Bewertungskontraktion auslösen könnte. Derzeit zeigt der Sektor allerdings ein klar positives Momentum, das durchaus noch anhalten könnte; zudem ist die Hausse breit abgestützt. Für Enttäuschungen hat es allerdings keinen Platz.

Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Industrie und Kommunikationsdiensten

Auf dem zweiten Platz folgen Aktien aus dem Sektor Industrie (97. Perzentil), dessen Aufwärtstrend weiterhin intakt ist. Auch hier machte sich die Wahl Donald Trump positiv bemerkbar, spekulieren die Marktteilnehmer doch darauf, dass die versprochenen Steuersenkungen und die wachstumsfördernde Politik der Branche zugutekommen dürfte.

«Eine Ausweitung des Tax Cuts and Jobs Act, die eine 100-prozentige Abschreibung von Kapitalinvestitionen ermöglicht, könnte die Investitionsausgaben ankurbeln und wäre für den Sektor positiv zu werten», meint Rob Anderson vom Analysehaus Ned Davis Research.

Die positive Dynamik erinnert an den Wahlsieg Trumps 2016, als Industrieaktien angesichts der Aussicht auf höhere Infrastrukturausgaben ebenfalls Rückenwind erhielten. Heute sind die Bewertungen allerdings ungleich höher als damals, und in den Aktienkursen scheint bereits ein optimistisches Szenario eingepreist zu sein. Das heisst allerdings nicht zwingend, dass der Sektor seine Aufwärtsbewegung nicht fortzusetzen vermag.

Aktien aus dem Kommunikationssektor sind seit der letzten Bestandesaufnahme vom zweiten auf den dritten Platz abgerutscht – obschon auch sie sich im Quartalsvergleich verteuert haben. Sie erreichen das ebenfalls sehr hohe 96. Perzentil (August: 90. Perzentil).

Nach dem Durchhänger im Sommer hat sich die Branche wieder gefangen. Der MSCI World Communication Services notiert nur noch knapp unter seinem Rekordhoch. Alphabet und Meta dominieren den Index. Und beide Schwergewichte haben bei der Präsentation des letzten Quartalsabschlusses bekräftigt, weiter im grossen Stil in Rechenkapazitäten für KI-Modelle investieren zu wollen. Doch die Zweifel, ob sich diese Ausgaben lohnen, mehren sich. Wie lange hält die Geduld der Investoren, wenn handfeste Resultate punkto Umsatz- und Gewinnwachstum auch nächstes Jahr ausbleiben sollten?

Einzig Energievaloren sind vernünftig bewertet

Wie die Übersichtsgrafik zeigt, gibt es kaum noch günstige Sektoren. Immerhin: Vernünftig bewertet ist der Energiesektor, der auf dem 57. Bewertungsperzentil handelt (Vorquartal: 51. Perzentil). Während der MSCI World seit Jahresbeginn mehr als 20% vorgeprescht ist, hat der Energiesektor lediglich 3% zugelegt (ohne Dividenden). Nach wie vor belastet das Überangebot an Rohöl und die damit verbundene Preisschwäche beim Rohstoff.

Dass sich daran bald etwas ändert, ist wenig wahrscheinlich. «Da sich die Trump-Regierung auf billige Energie konzentriert, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die Rohölpreise tendenziell sinken werden», schätzen die Marktstrategen des Analysehauses Alpine Research. Auch der starke Dollar, sowie die schleppende Konjunktur in China und in Europa sprechen gegen ein baldiges Ende der Ölpreisschwäche. In der Zwischenzeit versüsst immerhin eine ansprechende Dividendenrendite von 3,8% das Warten auf bessere Zeiten.

Basiskonsum noch (knapp) im grünen Bereich

Eher enttäuschend haben sich heuer auch die Valoren aus dem Basiskongütersektor entwickelt. In der Schweiz war vor allem die ausgeprägte Kursschwäche des Indexschwergewichts Nestlé ein Thema.

Dennoch ist der globale Sektor – die grössten Komponenten sind Costco, Procter & Gamble und Walmart, die zusammen nahezu 30% des Index stellen – im Vergleich zur letzten Bewertungsübersicht teurer geworden: Der Score hat sich vom 62. auf das 68. Perzentil verschlechtert. Damit ist der Sektor zwar noch nicht beunruhigend teuer, sonderlich attraktiv bewertet ist er allerdings ebenfalls nicht mehr.

Europäische Sektoren sind meist günstiger bewertet

Die Betrachtung globaler Sektoren kann regionale Unterschiede verdecken. Es kann sich deshalb lohnen, zusätzlich zu den globalen Sektoren die amerikanischen und die europäischen Sektoren getrennt zu beleuchten (für beide Segmente gibt es an der Schweizer Börse gehandelte ETF, siehe unten).

Gerade beim Basiskonsumgütersektor ist der Unterschied frappant: Während der US-Sektor auf dem 88. Perzentil handelt, ist das europäische Pendant (27. Perzentil) durchaus ansprechend bewertet.

Auch bei den Unternehmen des zyklischen Konsums (39. vs. 95. Perzentil) sowie bei den Versorgern (54. vs. 96. Perzentil) sind die Unterschiede gewaltig. Günstig sind auf dem Alten Kontinent zudem Energievaloren (29. Perzentil) sowie die Branchen Lebensmittel, Getränke und Tabak (8. Perzentil) sowie Autos und Komponenten (12. Perzentil). Haushalts- und persönliche Produkte (28. Perzentil) zählen ebenfalls dazu.

Generell hat der Bewertungsvorteil für Europa weiterhin Bestand: Mit Ausnahme von Gesundheit sind alle Sektoren in Europa günstiger, wobei Technologie- und Industrievaloren auf beiden Seiten des Atlantiks sportlich bewertet sind.


An der Schweizer Börse gehandelte Sektor-ETF

Anleger, die eine Sektorstrategie umsetzen möchten, können beispielsweise die folgenden an der Schweizer Börse kotierten globalen Branchen-ETF in Erwägung ziehen.

Wer seine Strategie verfeinern möchte, kann zudem auf US-Sektor-ETF setzen.

Und zum Schluss folgt eine Auswahl an ETF auf die verschiedenen Sektoren des MSCI Europe:


Die Bewertungskennzahlen kurz erklärt:

Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)
Die wohl populärste Bewertungskennzahl ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Es setzt den Aktienkurs ins Verhältnis zum Gewinn eines Unternehmens. Handelt eine Aktie an der Börse beispielsweise zu einem Preis von 115.50 Fr., und der Gewinn pro Titel beläuft sich auf 7 Fr., resultiert ein KGV von 16,5. Typischerweise unterscheidet man zwischen dem historischen und dem vorwärtsgerichteten KGV: Beim historischen wird der zuletzt erwirtschaftete Unternehmenserlös verwendet, beim vorwärtsgerichteten fliesst der (üblicherweise von Analysten) geschätzte Gewinn in die Berechnung ein.

Vereinfacht gesagt gilt, je höher das KGV, desto unattraktiver ist die Bewertung. Allerdings funktioniert das KGV schlecht, wenn der Gewinn sehr rasch wächst. Auch sagt die Kennzahl nichts darüber aus, wie gross das Risiko eines Gewinneinbruchs ist.

Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis (Shiller-KGV)
Anders als das klassische KGV vergleicht das Shiller-KGV den aktuellen Preis einer Aktie oder eines Index mit den durchschnittlichen, inflationsbereinigten Gewinnen der vergangenen zehn Jahre. Damit werden die Gewinnschwankungen der einzelnen Jahre normalisiert, was zu einem stabileren und verlässlicheren Bewertungsmass führt. Wie für das traditionelle KGV gilt auch für das Shiller-KGV: Je niedriger es ist, desto günstiger ist eine Aktie und desto grösser typischerweise das Kurspotenzial für die kommenden Jahre.

Dividendenrendite
Die Dividendenrendite zeigt die ausgeschüttete Dividende im Verhältnis zum Aktienkurs. Je höher die Dividendenrendite, desto attraktiver scheint eine Aktie. Vielen Anlegern ist eine hohe Ausschüttung wichtig, da sie für einen stetigen Liquiditätsfluss sorgt. Allerdings kann eine allzu hohe Rendite auch signalisieren, dass eine Gesellschaft in Schieflage geraten ist, da die Rendite automatisch steigt, wenn der Aktienkurs einbricht. Dann steht oft eine Kürzung bevor. Wichtiger als ihre absolute Höhe ist deshalb oftmals, dass die Ausschüttung stetig steigt. Da nicht alle Unternehmen eine Dividende entrichten, funktioniert dieser Indikator nicht immer.

Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV)
Ein klassisches Bewertungskriterium ist das KBV, das auf Benjamin Graham, den Übervater der Value-Anleger, zurückgeht. Hierbei wird der Aktienkurs mit dem bilanzierten Eigenkapital verglichen. Je höher das KBV, desto unattraktiver die Bewertung. Da der Buchwert in der Regel positiv ist, kann das Mass auch dann verwendet werden, wenn ein Unternehmen keinen Gewinn schreibt. Allerdings ist der Buchwert nicht immer ein verlässliches Abbild des «wahren» Unternehmenswerts, da er immaterielle Werte wie Patente oder Know-how nur unzulänglich erfasst (speziell bei IT- und Pharmagesellschaften).

Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV)
Das KUV setzt die aktuelle Marktkapitalisierung eines Unternehmens ins Verhältnis zum Umsatz des letzten (Geschäfts-)Jahres. Obschon es sich um ein krudes Mass handelt – es ignoriert zum Beispiel die Profitabilität –, hat es seine Daseinsberechtigung. So ist der Umsatz deutlich weniger anfällig für Manipulationen als Gewinn und Buchwert. Wie das KBV lässt sich die Bewertungskennzahl auch für Gesellschaften berechnen, die Verlust schreiben. Ein Unternehmen, das ohne Rücksicht auf die Kosten einen möglichst hohen Umsatz anstrebt, kann allerdings auf Basis des KUV zu günstig aussehen.

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