Nach der desaströsen TV-Debatte gegen Donald Trump weiss niemand, wie Joe Biden die Wiederwahl noch schaffen kann. Umso verzweifelter versuchen die Demokraten die Lage schönzureden. Die Kritiker in den eigenen Reihen werden als «Bettnässer» beschimpft.

Der Schaden, den Joe Biden mit seinem lamentablen Auftritt in der Fernsehdebatte gegen Donald Trump angerichtet hat, ist gross und womöglich irreparabel. Eine aktuelle Umfrage des Fernsehsenders CBS zeigt: Nur noch 27 Prozent der Amerikaner sind der Meinung, dass Biden mental in der Lage ist, das Amt des Präsidenten auszuüben. Vor dem Rededuell mit Donald Trump am vergangenen Donnerstag waren noch 35 Prozent dieser Auffassung.

Wenig überraschend ist die Verunsicherung enorm in den Reihen der Demokraten. In einer Analyse sprach CNN am Montag gar von einer «totalen Kernschmelze» hinter den Kulissen. Den tiefsten Einblick in die demokratische Seele lieferte der prominente Kongressabgeordnete Jamie Raskin am Wochenende. Es gebe «ehrliche und ernsthafte Diskussionen auf allen Ebenen», was nun zu tun sei, meinte Raskin in einem Fernsehinterview. Aber seine Partei brauche Biden auf jeden Fall, unabhängig davon, «ob er oder jemand anders der Kandidat sein wird».

Auch die Familie stellt sich hinter den Präsidenten

Vielen Demokraten scheint bewusst zu sein, dass es höchste Zeit wäre, Biden gegen eine andere Führungsfigur auszutauschen. Aber dies sagen sie gegenüber Journalisten nur hinter vorgehaltener Hand. Die Schwergewichte in der Partei versuchten in den vergangenen Tagen derweil, den Schaden in Grenzen zu halten. Bidens Auftritt sei ein Rückschlag gewesen, erklärte Hakeem Jeffries, der Fraktionsführer der Demokraten im Repräsentantenhaus. «Aber ein Rückschlag ist nicht weniger als eine Grundlage für ein Comeback.»

Auch Nancy Pelosi, die langjährige Speakerin der Demokraten im Repräsentantenhaus, stellte sich am Wochenende in einem Fernsehinterview hinter ihren Präsidenten. «Ich lasse Joe Biden in diesem Moment nicht im Stich», sagte die 84-jährige Politikerin. Sie unterstütze seine Kandidatur «enthusiastisch».

Während sich führende Demokraten öffentlich für Biden aussprachen, versuchte das Wahlkampfteam des Präsidenten die Kritik aus den eigenen Reihen einzudämmen. Eine «Brigade von Bettnässern» fordere Bidens Rückzug, schrieb der stellvertretende Wahlkampfleiter Rob Flaherty in einem Spendenaufruf am Samstag. Aber diese Selbstzerfleischung helfe nur Trump und schwäche Biden.

Auch Bidens Wahlkampfleiterin Jennifer O’Malley Dillon gab sich kämpferisch. Ein möglicher Knick in Bidens Umfragewerten nach der Debatte werde nur temporär und ein Resultat «übertriebener Medienberichte» sein, analysierte Dillon. Ihr Team verwies zudem darauf, dass der Spendenfluss nach der Fernsehdebatte nicht abgerissen sei. Bis zum Sonntag nahm die Kampagne insgesamt 33 Millionen Dollar ein.

Auch Biden denkt offensichtlich nicht daran, aus dem Rennen zu steigen. Am Wochenende scharte er seine Familie auf dem präsidialen Landsitz – Camp David – um sich. Gemäss einem Bericht der «New York Times» sollen die Angehörigen ihn darin bestärkt haben, an seiner Kandidatur festzuhalten. Besonders sein Sohn Hunter sprach sich gegen eine Aufgabe aus.

Bei einem Treffen mit Geldgebern am Samstag räumte Biden ein, dass die Fernsehdebatte am Donnerstag nicht nach Wunsch verlief. «Ich hatte keinen guten Abend», meinte der Präsident. Aber dann fügte er hinzu: «Ich werde härter kämpfen und werde euch brauchen, um es zu schaffen.»

Mit jedem Tag wächst das Risiko

Wie Biden das Comeback gegen Trump nun noch schaffen soll, ist völlig unklar. Barack Obama versuchte seinem ehemaligen Vizepräsidenten zwar Mut zu machen: «Es gibt schlechte Debatten-Abende. Glaubt mir, ich weiss es», schrieb Obama auf dem Kurznachrichtendienst X am Freitag. Der ehemalige Präsident spielte damit auf seine deutliche Niederlage 2012 im ersten Rededuell gegen seinen republikanischen Herausforderer Mitt Romney an. Obama schaffte die Wiederwahl danach trotzdem. Im Gegensatz zu Biden lag Obama damals jedoch in den Umfragen vor den Debatten in Führung.

Die drei Debatten fanden 2012 zudem in kurzen Abständen im Oktober statt. Biden muss nun jedoch bis zum zweiten Rededuell mit Trump bis im September warten, um seinen Fehler vielleicht wieder ausbügeln zu können. Die Diskussionen über seine Kandidatur und sein hohes Alter dürften daher bis zum Parteitag im August kaum verstummen. Sollten Bidens Umfragewerte in den kommenden Wochen noch schlechter werden, dürfte das Rumoren in den demokratischen Reihen noch zunehmen.

Um Biden erfolgreich ersetzen zu können, braucht es jedoch bestimmte Voraussetzungen. Zum einen müssten er und seine Vizepräsidentin Kamala Harris wohl von sich aus auf eine Wiederwahl verzichten. Niemand mit Einfluss und Ambitionen in der Demokratischen Partei wagte es bisher, sie öffentlich zum Rückzug aufzufordern. Die Verantwortung für eine solche Spaltung der Partei will kaum jemand übernehmen, der seine politische Zukunft noch vor sich hat. Aus diesem Grund geben sich bisher auch die aussichtsreichsten Alternativen zu Biden wie etwa der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom oder Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer bedeckt.

Je länger Biden indes an seiner Kandidatur festhält, umso riskanter wird sein Rückzug. Es sind nur noch vier Monate bis zur Präsidentschaftswahl. Bereits jetzt wird diese Zeitspanne kaum ausreichen, damit sich die Partei auf eine neue Führungsperson einigen kann. Ein neuer Präsidentschaftskandidat braucht zudem auch Zeit, um eine schlagkräftige Wahlkampforganisation aufzubauen und sich bei den Wählern bekannt zu machen. Die einfachste Alternative zu Biden wäre deshalb seine Vizepräsidentin. Aber Harris schneidet in den Umfragen gegenüber Trump noch schlechter ab als Biden.

Die Optionen der Demokraten sind alle mit hohen Risiken verbunden. Umso schwieriger ist es nun für sie, unter hohem Zeitdruck eine mutige Entscheidung zu treffen. Halten sie an Biden fest, deutet momentan vieles auf eine Niederlage hin. Ein frisches Gesicht könnte gegen Trump hingegen bei allen Risiken auch eine Chance sein. Gerade weil eine Mehrheit der Amerikaner weder Trump noch Biden mag. Viele wünschen sich einen Neuanfang.

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