Donnerstag, Oktober 10

Medikamentenhersteller schöpfen in Nordamerika hohe Gewinne ab, um in Europa günstigere Preise verlangen zu können. Jetzt setzen die USA dieser Praxis ein Ende. Novartis ist ein erstes Opfer der neuen Preiskontrollen.

Pharmakonzerne haben in Sachen Preise bis anhin in den USA in der besten aller Welten gelebt. Weil es den amerikanischen Behörden anders als in fast allen anderen Ländern untersagt war, mit Herstellern Preisverhandlungen zu führen, konnten letztere bei patentgeschützten Medikamenten grosse Gewinne abschöpfen.

Politiker beider Lager sowie Patientenorganisationen beklagten denn auch immer wieder, die USA subventionierten so Medikamente im Rest der Welt. Dort liegen die Preise denn auch zumeist deutlich tiefer als in Nordamerika

Umfangreiche Rabatte

Joe Biden hatte noch vor seiner Wahl zum Präsidenten 2020 den amerikanischen Wählern versprochen, etwas gegen die – auch seiner Ansicht nach – überhöhten US-Medikamentenpreise zu unternehmen. Und er hat Wort gehalten.

Die mit Spannung erwartete erste Liste von Medikamenten, deren Preise von Bidens Regierung nach unten verhandelt wurden, zeigt: Pharmaunternehmen müssen sich bald mit umfangreichen Preisabschlägen abfinden.

Die Liste der zehn betroffenen Medikamente war erstmals vor einem Jahr veröffentlicht worden. Danach starteten die in mehreren Runden geführten Preisverhandlungen zwischen Regierung und Herstellern. Wie das amerikanische Gesundheitsministerium am Donnerstag bekanntgab, fallen die Preise ab 2026 um 40 bis 80 Prozent gegenüber den letztjährigen Niveaus (auf Basis von Listenpreisen).

Auch bekannte Blutverdünner gehören dazu

Es handelt sich um häufig verschriebene Präparate, die dem staatlichen Krankenversicherer Medicare besonders hohe Kosten verursachen. Die US-Regierung rühmt sich denn auch bereits damit, Medicare hätte 2023 insgesamt 6 Milliarden Dollar einsparen können, wenn bereits damals die nun festgesetzten Preise gegolten hätten.

Leistungen von Medicare stehen sämtlichen Einwohnern der USA im Alter ab 65 offen. Die zehn betroffenen Medikamente werden gegen verbreitete Leiden wie Diabetes, Krebs und Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis eingesetzt.

Auch zwei bekannte Blutverdünner, Eliquis und Xarelto, sowie ein Präparat zur Vorbeugung von Herzinfarkten, Entresto, figurieren auf der Liste.

Laut dem US-Gesundheitsministerium nehmen rund 9 Millionen Medicare-Versicherte mindestens eines der Präparate auf der Liste ein. Obschon Medicare den Grossteil der Behandlung finanziert, sind Patienten zur Entrichtung eines Selbstbehalts verpflichtet. Die Behörden schätzen, dass die gesamten Aufwendungen der Patienten dank den Preissenkungen 2026 um 1,5 Milliarden Dollar sinken werden.

Niederlage für die Industrie trotz einflussreicher Lobby

Die Pharmaindustrie gilt in Regierungskreisen so gut vernetzt wie kaum eine andere Branche. Dennoch ist es ihr nicht gelungen, die Ermächtigung der Behörden zu Preisverhandlungen zu verhindern.

Die entsprechende Bestimmung floss zusammen mit einer grossen Zahl von Initiativen, die vor allem der Ankurbelung der Wirtschaft nach der Covid-Krise mithilfe milliardenschwerer Ausgabeprogramme dienten, in die Inflation Reduction Act (IRA) ein. Biden setzte das Gesetzespaket nach der Verabschiedung durch den Kongress im August 2022 in Kraft.

Organisationen der Pharmabranche und einzelne Unternehmen versuchten auf verschiedenen juristischen Ebenen, die Einführung von Preisverhandlungen rückgängig zu machen.

Sie argumentierten, die Teilnahme sei für Medikamentenhersteller anders als im Gesetz formuliert nicht freiwillig, da sie den Versicherer Medicare wegen seiner grossen Zahl von Patienten im US-Markt nicht umgehen könnten. Zudem verletze die Gesetzesreform ihr Recht auf freie Meinungsäusserung.

Doch sämtliche Klagen aufseiten der Pharmaindustrie blieben bis anhin ohne Erfolg.

Novartis wählt den Weg des kleineren Übels

Wie alle bedeutenden Pharmaunternehmen sah auch Novartis keine andere Wahl, als sich an den Preisverhandlungen zu beteiligen. Man hätte sonst nur unhaltbare Optionen wie «katastrophale Bussen» oder die Streichung sämtlicher Produkte von der Medicare-Liste zur Verfügung gehabt. Wie hoch mögliche Strafzahlungen ausgefallen wären, wollte Novartis auf Anfrage nicht angeben.

Nach Einschätzung des Basler Konzerns fehlt es dem neu eingeführten Mechanismus zur Preisbestimmung an Transparenz. Zudem spiegle er nicht den wahren Wert von innovativen Medikamenten, und er werde die Fähigkeit von Novartis begrenzen, neue Produkte zu entwickeln für Leute, die sie am nötigsten hätten.

Seit der Inkraftsetzung der IRA waren aufseiten der Pharmaindustrie immer wieder solche – nicht frei von Pathos vorgetragenen – Äusserungen zu vernehmen. Allerdings ist offen, wie weit die Preissenkungen die Innovationskraft der Medikamentenhersteller beeinträchtigen werden.

Unternehmen könnten beispielsweise versuchen, die Mindereinnahmen durch Kostensenkungen in ihrem Verwaltungs- und Verkaufsapparat zu kompensieren, um nicht bei der Forschung und Entwicklung sparen zu müssen.

Entresto weiterhin deutlich teurer als in Deutschland

Unabhängig davon bleiben die US-Preise der betroffenen Medikamente im internationalen Vergleich auf einem hohen Niveau. Eine Monatspackung Entresto kostet beispielsweise in Deutschland für Selbstzahler 138 Euro, womit sie weiterhin nur rund halb so teuer wie in Amerika sein wird.

Die Preisnachlässe gelten zudem nicht für private Krankenversicherungen in den USA. Diese dürften nun aber, so vermutet man in der Branche, einen grossen Anreiz haben, um ihrerseits auf niedrigere Preise zu pochen.

Die US-Regierung wird bis Anfang Februar bis zu 15 weitere Medikamente auswählen, die Gegenstand der nächsten Preisrunde sein sollen. Danach werden sich Jahr für Jahr weitere Präparate dazugesellen.

Obschon die Branche damit die Preise für eine wachsende Zahl von Präparaten auch in den USA nicht mehr ohne staatliche Einmischung bestimmen kann, halten die meisten Marktbeobachter die Folgen für die Medikamentenhersteller für verkraftbar.

Dies hängt damit zusammen, dass die Bestimmungen der IRA nur auf Produkte abzielen, die schon länger erhältlich sind. Viele von ihnen stehen ohnehin kurz vor dem Verlust des Patentschutzes.

Bei Entresto ist dies beispielsweise ab Mitte kommenden Jahres der Fall. Damit dürften auch Generika für eine Erosion des Umsatzes dieses Medikaments sorgen.

Entresto war für Novartis in den vergangenen Jahren das umsatzstärkste Produkt. Es brachte dem Konzern allein in der ersten Hälfte dieses Jahres fast 4 Milliarden Dollar ein.

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