Erste demokratische Abgeordnete und Geldgeber fordern öffentlich den Rückzug des amerikanischen Präsidenten. Seine Umfragewerte sind im Sinkflug. Doch Biden hält an seiner Kandidatur fest. Nun warten alle gespannt auf sein Fernsehinterview am Freitagabend.

Der Damm ist noch nicht gebrochen. Doch die Risse darin werden grösser, und der Kritikpegel steigt stetig. Diese Woche forderten erstmals zwei demokratische Kongressabgeordnete den amerikanischen Präsidenten öffentlich zum Rückzug seiner Kandidatur auf. Einer von ihnen ist Lloyd Doggett, der seit knapp 30 Jahren im Repräsentantenhaus sitzt. Joe Biden liege seit Monaten in den Umfragen hinter Donald Trump zurück, erklärte der 77-Jährige. Er habe gehofft, dass die Fernsehdebatte zu einer Trendwende führen könnte. «Aber sie tat es nicht.» Im Unterschied zu Trump habe Biden die Interessen des Landes stets über das eigene Wohl gestellt. «Ich hoffe, er trifft die schmerzvolle und schwierige Entscheidung für einen Rückzug.»

Nach der desaströsen Fernsehdebatte vergangene Woche wenden sich zudem auch grosse Geldgeber von Biden ab. Am Mittwoch erklärte der Netflix-Mitgründer Reed Hastings gegenüber der «New York Times»: «Biden muss zur Seite treten, damit eine energische demokratische Führungsfigur Trump schlägt und unsere Sicherheit und unser Wohlergehen bewahrt.» Ähnlich äusserte sich auch der Investor Whitney Tilson gegenüber CNN. Er kenne kaum noch jemand, der Bidens Kandidatur unterstütze: «Niemand glaubt, dass er Trump besiegen kann.»

Schlechte Ausreden vergrössern das Vertrauensproblem

Auch wenn bisher nur einzelne demokratische Abgeordnete sich öffentlich von Biden abgewendet haben, äussern sich viele besorgt. Zu ihnen gehört auch die langjährige Speakerin Nancy Pelosi. Während der Debatte vergangene Woche konnte der Präsident oft keinen zusammenhängenden Satz formulieren und verlor immer wieder den Faden seiner Gedankengänge. «Es ist eine berechtigte Frage, ob es sich nur um eine Episode oder um ein Leiden handelt», meinte Pelosi am Dienstag.

Die demokratische Kongressabgeordnete Debbie Dingell betonte ihrerseits: «Biden muss sich an die Öffentlichkeit wagen und kontinuierlich beweisen, dass er das Stehvermögen für diesen Job hat.» Damit traf sie einen wunden Punkt. Die 90-minütige Debatte ist ein Problem für den Präsidenten. Aber er und seine Berater haben das Desaster mit ihrer Reaktion nur noch grösser gemacht. Einerseits fanden sie unterschiedliche Ausreden für die Aussetzer während der Debatte. Biden sei erkältet und übervorbereitet gewesen, hiess es zunächst. Sein Kopf sei mit Fakten und Zahlen überladen gewesen. Später begründete der Präsident sein Versagen mit seinen strapaziösen Auslandsreisen. Er sei während der Debatte aufgrund der Übermüdung fast eingeschlafen.

Andrerseits bestritt Biden nach der Debatte nur öffentliche Auftritte, bei denen er vom Teleprompter ablas und keine spontanen Fragen von Journalisten beantwortete. Der 81-Jährige öffnete damit selbst den Raum für wachsende Zweifel, Spekulationen und negative Schlagzeilen um seine Gesundheit. Am Dienstag veröffentlichte die «New York Times» eine Recherche über Bidens mentalen Zustand. Ehemalige und noch aktive Mitarbeiter des Weissen Hauses sowie politische Berater bestätigten der Zeitung in vertraulichen Gesprächen, dass die Aussetzer des Präsidenten in jüngster Vergangenheit in ihrer Zahl und Intensität zugenommen hätten. Besonders an arbeitsintensiven Tagen würden die Episoden auftreten, in denen Biden verwirrt oder teilnahmslos wirke oder den Gesprächsfaden verliere.

Am Mittwoch forderte mit dem «Boston Globe» eine weitere angesehene Zeitung den Präsidenten zum Rückzug seiner Kandidatur auf. Das Vertrauen der Nation sei erschüttert worden, schrieb das Blatt in einem Leitartikel. Seit der Fernsehdebatte habe Biden nicht adäquat erklären können, warum seine Leistung «historisch schlecht» gewesen sei.

Ein Fernsehinterview wird zur Schicksalsstunde

Ein deutliches Warnsignal senden auch die jüngsten Umfragen. Lag der Präsident in Erhebungen der «New York Times» vor der Debatte unter wahrscheinlichen Wählern noch 3 Prozentpunkte hinter Trump zurück, sind es nun 6 Prozentpunkte. Unter registrierten Wählern beträgt der Rückstand gar 8 Prozentpunkte. Noch will sich Biden von all diesen schlechten Nachrichten aber nicht beeindrucken lassen. Er hofft, diesen Rückschlag genauso wie frühere Rückschläge in seinem Leben wegstecken zu können: «Niemand drängt mich raus. Ich gehe nicht», sagte Biden am Mittwoch trotzig in einer Konferenzschaltung mit seinem Wahlkampfteam.

Am selben Tag empfing der Präsident im Weissen Haus rund zwanzig demokratische Gouverneure. Einige von ihnen stärkten Biden danach demonstrativ den Rücken. Zu ihnen gehörten auch Gavin Newsom aus Kalifornien und Gretchen Whitmer aus Michigan. Sie gelten als aussichtsreiche alternative Präsidentschaftskandidaten. «Biden ist in diesem Rennen, um zu gewinnen. Ich unterstütze ihn», schrieb Whitmer auf X.

Biden ist für die Demokraten zwar zum Risiko geworden. Aber viele scheuen auch das Risiko einer ungewissen Alternative. Die naheliegendste Option ist zurzeit die Nominierung der Vizepräsidentin Kamala Harris. Aber auch sie liegt in den Umfragen hinter Trump zurück. Und so wartet ganz Amerika ganz gespannt auf Bidens erstes Fernsehinterview über eine Woche nach dem Debatten-Debakel. Der Auftritt am Freitagabend beim Sender ABC könnte zur Schicksalsstunde der Demokraten werden. Ein Vertrauter des Präsidenten sagte gegenüber der «New York Times» über Biden: «Er weiss, wenn er noch zwei solche Auftritte (wie an der Debatte) hat, ist die Situation eine andere.»

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