Mittwoch, November 12

Joe Biden lud nach dem Nato-Gipfel in Washington zu einer grossen Pressekonferenz ein. Er wollte beweisen, dass er fit genug ist für eine zweite Amtszeit. Er scheiterte.

Auf der grossen Bühne der Weltpolitik wollte Joe Biden am Donnerstag das Steuer im Wahlkampf herumreissen. Doch bereits vor seiner mit Spannung erwarteten Pressekonferenz am Ende des Nato-Gipfels in Washington unterlief ihm ein Lapsus. Als er den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski ankündigte, meinte er: «Meine Damen und Herren, Präsident Putin.» Biden wollte bereits von der Bühne schreiten, als er seinen Fehler bemerkte, korrigierte und scherzte: «Ich bin so darauf konzentriert, Putin zu besiegen, dass wir uns darum Sorgen machen müssen.»

Der Versprecher wäre kaum eine Zeile wert gewesen, hätte der amerikanische Präsident seine Fernsehdebatte gegen Donald Trump vor zwei Wochen nicht selbst ruiniert. Ein sichtlich müder und blasser Biden verlor in dem Rededuell nicht selten den Gesprächsfaden und stolperte über seine eigenen Gedanken.

Ein gefundenes Fressen für Trump

Ganz so katastrophal kam es in der rund einstündigen Pressekonferenz am Donnerstagabend nicht. Aber bereits bei der ersten Frage unterlief Biden eine weitere Verwechslung. «Welche Bedenken hätten Sie, wenn Ihre Vizepräsidentin Kamala Harris zuoberst auf dem Ticket stünde?», wollte ein Reporter von dem Demokraten wissen. «Schauen Sie, ich hätte Vizepräsident Trump nicht als Vizepräsidenten ausgewählt, wenn ich nicht gedacht hätte, dass sie eine fähige Präsidentin wäre.» Im Gegensatz zum Fauxpas mit Selenski korrigierte Biden den Versprecher nicht.

Der Amtsvorgänger Donald Trump verfolgte die Pressekonferenz offenbar auch und machte sich auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social sogleich lustig über Bidens «Vizepräsidenten Trump». «Great Job, Joe!», kommentierte der Republikaner.

Abgesehen davon unterliefen Biden keine haarsträubenden Fehler. Aber oft war er nicht in der Lage, auf eine klare Frage eine kurze, prägnante Antwort zu geben. Ein Journalist wollte vom Präsidenten wissen, ob er eine Strategie habe, um die entstehende Allianz zwischen China und Russland aufzubrechen. «Ich habe mehr Zeit mit Xi Jinping verbracht als jeder andere ausländische Staatschef», begann Biden. Dann schweifte er zum Zwischenfall mit dem chinesischen Spionageballon ab, der im vergangenen Jahr über die USA hinwegflog. Schliesslich kam er wieder zum Ausgangspunkt der Frage zurück: «Aber es ist bedenklich, dass China, Nordkorea und Iran – Länder, die früher nicht unbedingt kooperierten – einen Weg suchen, um Einfluss zu nehmen.» Ob er eine Strategie dagegen habe, hakte der Reporter nach: «Ja, aber ich bin nicht bereit, über die Details in der Öffentlichkeit zu sprechen.» Das hätte er eigentlich auch gleich sagen können.

Oft benutzte Biden das Wort «anyway» – «wie auch immer». Nicht selten begann der Präsident in seinen Antworten einen Gedankengang, und wenn er nicht mehr weiterwusste, sagte er «anyway», um sich zu einem anderen Gedankenstrang zu hangeln. Die Ausführungen des 81-Jährigen ergaben meist durchaus Sinn, aber sie waren dennoch langsam und holprig vorgetragen.

Neue Aufrufe zum Rückzug

Klar machte Biden jedoch, dass er immer noch nicht daran denkt, seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im November aufzugeben. Seine langen Jahre als Senator hätten ihm die Weisheit gegeben, um viele Projekte durch den Kongress zu bringen. Er wolle dies auch in einer zweiten Amtszeit tun. «Ich muss die Aufgabe zu Ende führen», sagte er wiederholt. Dass die Umfragen momentan nicht für ihn sprechen, wischte Biden vom Tisch. «Alle Umfragezahlen sind verfrüht, der Wahlkampf hat noch nicht ernsthaft begonnen.»

Zumindest ein bisschen Realitätssinn bewies der Präsident jedoch: «Ich bin entschlossen zu kandidieren, aber es ist wichtig, dass ich Ängste zerstreue – sie sollen mich da draussen sehen.»

Wirklich beruhigen konnte Biden die Panik in seiner Partei aber offensichtlich nicht. Kurz nach der Pressekonferenz forderten ihn drei weitere demokratische Kongressabgeordnete dazu auf, seine Kandidatur zurückzuziehen. «Die Wahl 2024 wird die Zukunft der amerikanischen Demokratie bestimmen. Wir müssten den stärkstmöglichen Kandidaten aufstellen, um Trumps Autoritarismus entgegenzutreten. Ich glaube nicht mehr an Joe Biden», schrieb der Abgeordnete Jim Himes auf dem Kurznachrichtendienst X.

Zu Beginn dieser Woche schien Biden die Lage beruhigt zu haben. «Ich gehe nirgendwohin», machte der Präsident in einem Brief an die demokratischen Abgeordneten klar. «Es ist Zeit, zusammenzustehen, als geschlossene Partei vorwärtszugehen und Donald Trump zu besiegen.» Der Präsident machte damit deutlich, dass er nicht ohne einen harten Kampf gehen wird. Diese Drohung wirkte kurzfristig. Am Mittwoch jedoch sagte Nancy Pelosi, die langjährige und legendäre Speakerin der Demokraten, in einem Fernsehinterview: «Die Entscheidung darüber, ob er kandidieren will, liegt beim Präsidenten. Wir alle ermutigen ihn, diese Entscheidung zu treffen, denn die Zeit ist knapp.» Im Klartext meinte Pelosi damit: Der Präsident sollte seine Entscheidung, die er in seinem Brief vom Montag mitgeteilt hatte, nochmals überdenken.

Am gleichen Tag schrieb der bekannte Schauspieler, Demokrat und Geldgeber George Clooney einen Kommentar in der «New York Times» mit dem Titel: «Ich liebe Joe Biden, aber wir brauchen einen neuen Kandidaten». Wenige Tage vor der Fernsehdebatte im Juni hatte Clooney eine Spendengala in Hollywood für Biden organisiert. Der Präsident sei auch bei diesem Auftritt vor drei Wochen nicht mehr der Kerl gewesen, der er noch vor vier Jahren gewesen sei, schrieb Clooney. «Er war derselbe Mann, den wir bei der Debatte gesehen haben.»

Die Umfragen lügen nicht

Allein am Donnerstag forderten sieben demokratische Kongressabgeordnete den Präsidenten dazu auf, seine Kandidatur für seine Wiederwahl zurückzuziehen. Momentan steht diese Zahl insgesamt bei siebzehn Abgeordneten des Repräsentantenhauses und einem Senator. Zu diesem Zeitpunkt ist das nur eine Minderheit der über zweihundert demokratischen Abgeordneten. Die Fraktionsführer Chuck Schumer und Hakeem Jeffries geben sich bis jetzt noch bedeckt. Aber in privaten Gesprächen zeigen sich viel mehr Kongressleute sehr besorgt.

Sosehr Biden die Umfragen derzeit schönredet oder abtut, sie sehen nicht gut aus. Gemäss einer aktuellen Erhebung der «Washington Post» liegen Trump und Biden derzeit zwar beide bei 46 Prozent der Stimmen. Doch die Wahl wird in den umkämpften Swing States entschieden. Hier liegt der Präsident in sechs von sieben Staaten hinter Trump zurück. Mittlerweile wünscht sich selbst eine Mehrheit der demokratischen Wähler (56 Prozent), dass Biden aus dem Rennen um das Weisse Haus aussteigt. Wie Biden diese schlechten Umfragewerte ändern will, ist derzeit schwer vorstellbar, wenn jeder sprachliche Ausrutscher sofort zu einer negativen Schlagzeile für ihn wird.

Eigentlich hätte Biden am Donnerstag mit guten Nachrichten punkten können. Die Inflation sank stärker als erwartet auf 3 Prozent. Doch das grosse Thema war die Frage, wie der Präsident die Pressekonferenz meistert. Diese Frage dürfte auch seine nächsten Auftritte begleiten.

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