Sonntag, September 8

Mit heftigen Vergeltungsschlägen im Irak, in Syrien und Jemen versucht Washington gegenüber Teheran Stärke zu zeigen. Aber viele Stimmen in den USA fordern von Biden direkte Angriffe auf Iran.

Nach der Tötung dreier amerikanischer Soldaten in Jordanien wächst der Druck auf Präsident Joe Biden, ein stärkeres Signal der Abschreckung nach Teheran zu senden. In einem Interview mit dem Fernsehsender Fox News schlug der republikanische Senator Lindsey Graham am Sonntag vor, Führungspersonen des iranischen Regimes oder dessen Erdölanlagen ins Visier zu nehmen. Bereits Ende Januar hatte der Politiker auf dem Kurznachrichtendienst X geschrieben: «Greift Iran jetzt an. Trefft sie schwer.» Solange Teheran selbst keinen schmerzhaften Preis für die Aggressionen seiner Milizen in der Region bezahle, würden weitere amerikanische Soldaten getötet.

Bidens Regierung versprach vergangene Woche eine «mehrstufige» Reaktion. Und der Sicherheitsberater des Präsidenten, Jake Sullivan, will nicht ausschliessen, dass am Ende auch Ziele in Iran angegriffen werden. Vorderhand scheint sich Washington aber auf das übliche Drehbuch zu verlassen. Im Gegensatz zu früheren Vergeltungsschlägen setzten die USA am Freitag zwar Langstreckenbomber des Typs B-1 ein, um Teheran ihre militärische Überlegenheit vor Augen zu führen. Gleichzeitig griff die amerikanische Luftwaffe aber nur militärische Anlagen proiranischer Milizen und iranischer Revolutionswächter in Syrien und im Irak an. Am Samstag flogen die USA und Grossbritannien erneut Angriffe auf Stellungen der proiranischen Huthi-Miliz in Jemen.

Die Strafaktion von 1988 könnte ein Vorbild sein

Das Weisse Haus habe mit den Vergeltungsschlägen viel zu lange zugewartet und Iran während Tagen signalisiert, wie die amerikanische Reaktion aussehen werde, kritisierte seinerseits der republikanische Speaker des Repräsentantenhauses, Mike Johnson. Die Vorwarnzeit habe es Teheran erlaubt, hochrangige Militärs rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, meinte der republikanische Senator Tom Cotton.

Nicht nur konservative Politiker fordern derweil eine härtere Strafe für Teheran. Es sei an der Zeit, «die Quelle der Probleme» in der Region ins Visier zu nehmen, erklärte der ehemalige General Wesley Clark gegenüber CNN. Die Iraner wüssten, dass sie es in einer direkten militärischen Konfrontation nicht mit den USA aufnehmen könnten. Deshalb stützten sie ihre clevere Strategie auf Milizen in der Nachbarschaft. Allerdings liess Clark offen, wie eine solche Operation aussehen könnte: «Welche Ziele in Iran angegriffen werden sollten, das wäre eine andere Frage.»

Bret Stephens, ein Kolumnist der «New York Times» und früherer Chefredaktor der «Jerusalem Post», empfahl Präsident Biden am Freitag, sich den amerikanischen Vergeltungsschlag vom April 1988 zum Vorbild zu nehmen. Eine amerikanische Fregatte, welche kuwaitische Erdöltanker eskortieren sollte, lief damals im Persischen Golf auf eine iranische Mine auf und wäre beinahe gesunken. Die USA griffen danach zwei iranische Erdölplattformen an und zerstörten mehrere iranische Kriegsschiffe. Teheran beendete danach seine Angriffe auf die zivile Schifffahrt und willigte später in einen Waffenstillstand im Krieg mit Irak ein.

Iran benutze heute seine Milizen, um Brandherde im ganzen Nahen Osten zu entfachen, schreibt Stephens in seiner Kolumne. «Sie werden nicht gelöscht sein, bis der Brandstifter ausgeschaltet ist.»

Eine umfassende Strategie für einen komplexen Konflikt

Für Präsident Biden ist die Sache jedoch nicht so einfach. Progressive Kräfte in seiner Partei wie die Kongressabgeordnete Barbara Lee machen nicht nur Iran, sondern auch Israel und dessen Politik gegenüber den Palästinensern für die Gewalt im Nahen Osten verantwortlich. Sie kritisieren ihren eigenen Präsidenten dafür, dass er Jerusalem im Krieg mit der islamistischen Hamas im Gazastreifen nicht entschlossener zu einem Waffenstillstand drängt. Sollte Biden eine «expansive militärische Vergeltung» gegen Iran planen, müsse er dafür den Kongress um eine Bewilligung bitten, schrieb Lee in einer Erklärung. Der Weg zum Frieden führe über die Deeskalation und Diplomatie.

Interessanterweise sind sich auch die Republikaner über einen direkten Vergeltungsschlag gegen Iran nicht so einig, wie es auf den ersten Blick scheint. Der einflussreiche konservative Journalist und Meinungsmacher Tucker Carlson ist ein Anhänger der von Donald Trump geförderten isolationistischen Strömung in der Republikanischen Partei und ihrer Basis. In einem Post im Internet bezeichnete Carlson die Kriegsbefürworter um Senator Graham nun als «verdammte Wahnsinnige». Trump selbst macht Bidens Schwäche für die iranische Aggression verantwortlich, aber schweigt bis jetzt dazu, wie die USA darauf reagieren sollten.

Ein Ausweg aus dem Dilemma könnte für Biden eine umfassende Strategie im Nahen Osten sein. Das Weisse Haus sei bereits dabei, sich an einer dreigleisigen Doktrin zu orientieren, schrieb Thomas Friedman in der «New York Times» vergangene Woche. Der ehemalige Nahostkorrespondent verfolgt die Region aus amerikanischer Perspektive seit vielen Jahrzehnten. Das erste Gleis dieser «Biden-Doktrin» müsse ein resolutes Auftreten gegenüber Iran sein. Das zweite Gleis sollte eine «beispiellose Initiative» zur Schaffung eines demilitarisierten palästinensischen Staates verfolgen. Das dritte Gleis sieht Friedman in einem Ausbau des Sicherheitsbündnisses mit Saudiarabien, das mit einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Riad und Jerusalem einhergehen würde.

Sollten die USA im Nahen Osten keine solch umfangreiche Strategie verfolgen, sieht Friedman schwarz: «Die Krise in der Region würde Metastasen bilden, die Iran stärkten, Israel isolierten und den Einfluss der USA auf die Ereignisse unterbänden.»

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