Freitag, Oktober 18

Benjamin Netanyahus Besuch in den USA entflammt die propalästinensische Protestbewegung erneut. In Washington kam es auch zu Gewalt. Doch obwohl Präsident Biden auf eine schnelle Waffenruhe drängt, scheint ein Durchbruch unwahrscheinlich.

Nachdem die amerikanischen Studenten im Frühsommer in die Semesterferien gegangen waren, kehrte an den Universitäten wieder Ruhe ein. Doch wie sich nun zeigt, hat sich die propalästinensische Protestbewegung in den USA keineswegs aufgelöst. Als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Mittwoch zum Capitol fuhr, um dort vor den versammelten Kongresskammern eine Rede zu halten, hatten sich bereits mehrere tausend Demonstranten im Zentrum der amerikanischen Hauptstadt versammelt. Einige von ihnen versuchten die Strasse zu blockieren, um Netanyahus Konvoi aufzuhalten. «Kein Geld mehr für Israels Verbrechen», skandierten sie.

Die Demonstranten hatten einen «Tag der Wut» angekündigt. Als der israelische Ministerpräsident seine Rede hielt, marschierten sie auf der Constitution Avenue in Richtung Capitol. Die Polizei musste Pfefferspray einsetzen, um sie aufzuhalten. Ein Teil der Demonstranten zog danach zur Union Station – Washingtons Hauptbahnhof – weiter. Auf dem grossen Platz davor holten sie die dort wehenden amerikanischen Flaggen von den Masten und zogen palästinensische Fahnen hoch.

Verhaftungen im und ausserhalb des Capitols

Mindestens eine amerikanische und eine israelische Flagge wurden in Brand gesetzt. Auch eine Netanyahu-Büste aus Pappe ging unter Gejohle in Flammen auf. Vandalen besprayten das Kolumbus-Denkmal in der Mitte des Platzes unter anderem mit den Worten «Hamas kommt» oder «alle Zionisten sind Bastarde». Gemäss der «Washington Post» verhaftete die Polizei insgesamt 23 Personen.

Auch innerhalb des Capitols kam es indes zu sechs Verhaftungen. Bei den Personen handelte es sich um die Angehörigen von Geiseln der Hamas im Gazastreifen. Sie sollen von der Zuschauertribüne die Rede des israelischen Ministerpräsidenten gestört haben. Mehrere von ihnen trugen T-Shirts mit der Aufschrift «Seal the Deal now» – «Schliess das Abkommen jetzt ab». Sie wollten Netanyahu damit dazu drängen, sich mit der Hamas endlich auf einen Waffenstillstand und einen Geiselaustausch zu einigen.

Dies zeigt, wie schwierig die Ausgangslage für Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris vor ihren Treffen mit Netanyahu am Donnerstag war. Harris verurteilte die Ausschreitungen vor der Union Station in einer Erklärung aufs Schärfste. Die Pro-Hamas-Graffiti seien «abscheulich». Sie unterstütze friedliche Proteste. Aber: «Antisemitismus, Hass und Gewalt jeglicher Art haben keinen Platz in unserem Land.»

Gleichzeitig vertraut das Weisse Haus jedoch kaum noch auf Netanyahu. Der israelische Ministerpräsident schade seinem Land mehr, als dass er diesem helfe, meinte Biden im März. Er und Harris brauchen einen schnellen Waffenstillstand, um ihre Demokratische Partei vor den Wahlen im November vollends zu einen und die Wunden zu heilen. Die propalästinensische Protestbewegung plant bereits Kundgebungen rund um den demokratischen Parteitag in Chicago im August.

Neue Forderungen in letzter Minute

Vor seiner Reise nach Washington scheint der israelische Ministerpräsident seine Verhandlungsposition gegenüber der Hamas jedoch verhärtet zu haben. Netanyahu fordere nun eine dauerhafte israelische Präsenz an der Grenze zu Ägypten und einen Sicherheitskorridor in der Mitte des Gazastreifens, schreibt das Washingtoner Institut für Nahost-Politik in einer Analyse. Kaum jemand erwartet deshalb einen Durchbruch bei den persönlichen Treffen am Donnerstagnachmittag in der amerikanischen Hauptstadt. Vor dem Weissen Haus versammelten sich dabei erneut Demonstranten.

Eine Waffenruhe und ein Austausch der Geiseln wären ein aussenpolitischer Erfolg für Biden und Harris vor den Wahlen. Doch es stellt sich auch die Frage, ob Netanyahu den Demokraten diesen Gefallen wirklich machen will. Der Gaza-Krieg hat gezeigt, dass er sich für seinen politischen Kurs im Nahost-Konflikt nicht mehr vollumfänglich auf die Unterstützung der Demokraten verlassen kann. Die Republikaner hingegen scheinen ganz auf seiner Linie zu sein.

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