Joe Biden liess für über 300 Millionen Dollar eine Anlegestelle für Hilfslieferungen in den Gazastreifen bauen. Doch bevor sie richtig funktionierte, wurde sie von einem Sturm zerstört. Das Desaster wirkt symbolisch für die verfahrene Aussenpolitik des US-Präsidenten.
In seiner Rede zur Lage der Nation kündigte Joe Biden das Projekt mit grossem Elan an: Er beauftrage seine Armee, eine temporäre Anlegestelle für grosse Schiffe an Gazas Küste zu bauen, damit Nahrungsmittel, Medizin und Notunterkünfte in die Enklave gebracht werden könnten, sagte der amerikanische Präsident im März. An die Adresse der israelischen Regierung meinte er: «Humanitäre Hilfe kann keine zweitrangige Frage oder ein Verhandlungspfand sein.»
Fast drei Monate sind seither vergangen. Aber erst vor zwei Wochen gelangten erste Hilfslieferungen über die schwimmende Plattform in den Gazastreifen. Etwa tausend amerikanische Soldaten waren zuvor im Einsatz, um sie fertig zu bauen. Insgesamt kostete das Vorhaben die amerikanischen Steuerzahler bis zu jenem Zeitpunkt rund 320 Millionen Dollar. Doch am vergangenen Wochenende brach die Anlegestelle in einem Sturm auseinander. Auch vier Schiffe lösten sich von der Pier. Zwei strandeten an der israelischen Küste, zwei im Gazastreifen.
Ungenügende Beratungen mit dem Militär?
Nun sollen die abgebrochenen Teile der beschädigten Plattform in die israelische Küstenstadt Ashdod gezogen werden, um sie dort zu reparieren. Dann würden sie wieder in den Gazastreifen zurückgebracht und zusammengebaut, erklärte Sabrina Singh, eine Pressesprecherin des Pentagons am Dienstag. Insgesamt sollen die Arbeiten, um die Anlegestelle wieder einsatzbereit zu machen, ungefähr eine gute Woche dauern.
Die Frage ist allerdings, ob die schwimmende Anlegestelle beim nächsten hohen Wellengang nicht erneut auseinanderbrechen wird. Sie könne das Wetter nicht vorhersehen, meinte Singh. Aber sie seien überzeugt, dass sie die Pier wieder verankern und einsatzfähig machen könnten. «Hoffentlich wird das Wetter sie nicht mehr behindern.»
Warum die Konstruktion den Wetterbedingungen nicht standhielt, ist bisher unklar. Das amerikanische Militär hatte dieses logistische Werkzeug bereits früher in Somalia, Kuwait und Haiti für die Lieferung von Hilfsgütern eingesetzt. Doch die Biden-Regierung soll sich mit dem Militär kaum beraten haben, bevor der Präsident das Projekt im Gazastreifen ankündigte. Dies erzählten Beamte des Pentagons hinter vorgehaltener Hand der «New York Times».
Bereits damals im März stiess das Vorhaben auf Kritik. Es war klar, dass humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen über die Landgrenzen viel kostengünstiger und effizienter sind. Aber Biden konnte oder wollte offenbar den notwendigen politischen Druck auf Israel nicht ausüben, damit Jerusalem grössere Mengen an humanitären Gütern für die palästinensische Enklave zulässt. Da der Präsident aber angesichts der menschlichen Not im Gazastreifen von seinem linken Parteiflügel immer stärker unter Druck kam, musste er etwas tun.
Selbst wenn die Pier funktionsfähig ist, kann sie das Leid jedoch nur teilweise lindern. In der ersten Woche, als die Anlegestelle in Betrieb war, gelangten rund 71 Lastwagenladungen an Land. Das Pentagon rechnete indes mit 90 Ladungen pro Tag, die dann kontinuierlich auf 150 Lastwagen pro Tag gesteigert werden sollten. Für eine genügende Versorgung wären indes rund 500 Ladungen pro Tag notwendig.
Im Gegensatz etwa zur Operation in Somalia setzen die USA zudem keine eigenen Soldaten ein, um die Verteilung der Hilfsgüter zu beschützen. Vergangene Woche – vor dem Sturm – suspendierte das Welternährungsprogramm die Distribution der Lieferungen über die Pier, nachdem seine Lastwagen auf dem Weg in Zwischenlager geplündert worden waren.
«Eine furchtbare Idee, schrecklich ausgeführt»
Obwohl Biden mit dem teuren Projekt die humanitäre Lage im Gazastreifen verbessern wollte, hat sie sich verschlechtert. Bisher gelangte der Grossteil der Hilfsgüter von Ägypten aus über die Grenze bei Rafah. Doch seit Israel diesen Übergang zu Beginn dieses Monats unter seine Kontrolle genommen hat, ist auch diese Lebensader versiegt. Biden warnte Jerusalem vor einer Bodenoffensive auf Rafah, wohin über eine Million Palästinenser vor dem Krieg geflüchtet waren. Dies sei für ihn eine rote Linie, sagte der amerikanische Präsident. Doch obwohl die israelischen Streitkräfte in Rafah auf dem Vormarsch sind, sieht Biden seine rote Linie noch nicht überschritten.
Bidens Kritiker in den USA sehen in der zerstörten Anlegestelle derweil nicht nur ein punktuelles Desaster. «Die Pier im Gazastreifen ist ein Symbol für die Biden-Regierung: eine furchtbare Idee, schrecklich ausgeführt», schrieb der republikanische Senator J. D. Vance auf der Plattform X. Der amerikanisch-palästinensische Politologe Shibley Telhami teilte eine Karikatur, die den amerikanischen Präsidenten unter Wasser auf einer zerbrochenen Pier zeigt. Darüber steht geschrieben: «Bidens Aussenpolitik».
Tatsächlich reiht sich die Episode mit der Anlegestelle für Biden in eine Reihe von aussenpolitischen Entwicklungen ein, die den Präsidenten nicht gut aussehen lassen. Angefangen hatte alles mit dem schlecht koordinierten Abzug aus Afghanistan. Bidens Umfragewerte stürzten damals ab und erholten sich seither nie mehr. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat der Präsident zwar vieles richtig gemacht. Aber er konnte den Krieg nicht verhindern und stand bei Waffenlieferungen an Kiew auch selbst immer wieder auf die Bremse.
Das eigentliche Desaster für Biden ist indes der Gaza-Krieg. Seine beharrliche Unterstützung für Benjamin Netanyahus Regierung nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober spaltet seine eigene Partei und gefährdet seine Wiederwahl. Der amerikanische Präsident könnte an diesem Dilemma fast so zerbrechen wie die Pier vor der Küste des Gazastreifens.