Die Beobachter sind sich einig: Bidens intransparente Kommunikation nach der miserablen Debatte hat die Vertrauenskrise verschärft. Der Präsident wurde jedoch bereits zuvor von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Nur funktioniert diese Strategie jetzt nicht mehr.
Für seine Medienleute war Joe Biden stets ein Albtraum. Der amerikanische Präsident war auch früher dafür bekannt, dass er in spontanen Situationen mehr sagt, als er eigentlich wollte oder sollte. Ein gutes Beispiel dafür ist eine Pressekonferenz im Januar 2022. Russland werde zur Verantwortung gezogen, sollte es in die Ukraine einmarschieren, erklärte Biden. Aber die Reaktion des Westens hänge vom Ausmass der Invasion ab: «Wenn es nur ein geringfügiger Einfall ist, werden wir uns darüber streiten, was zu tun ist.» Für Wladimir Putin musste das wie eine Einladung zur Eskalation klingen.
In den vergangenen Monaten nahm indes auch die Sorge zu, dass Biden in improvisierten Gesprächen nicht nur zu viel Interna ausplaudern, sondern mit Aussetzern auch die Zweifel an seiner Gesundheit befeuern könnte. Ein Schlüsselmoment dafür war die Pressekonferenz im Februar zum Untersuchungsbericht des Sonderermittlers Robert Hur. Dieser bezeichnete Biden als «älteren Mann mit einem schlechten Gedächtnis». Nicht einmal an den Todestag seines eigenen Sohnes habe er sich erinnern können.
Ein wütender Biden versuchte danach die Erkenntnisse des Sonderermittlers gegenüber Journalisten zu entkräften. Dies gelang ihm jedoch nicht. Denn bei einer Frage zum Krieg im Nahen Osten bezeichnete er Ägyptens Staatschef Abdelfatah al-Sisi als «Mexikos Präsident».
Ein Drittel so viele Interviews wie Trump
Es überrascht daher kaum, dass Biden in seiner Amtszeit bisher wesentlich weniger Interviews gab als die sieben amerikanischen Präsidenten vor ihm. Insgesamt waren es bisher 164. Trump hatte zum selben Zeitpunkt in seiner Amtszeit fast dreimal so viele Interviews gegeben (468). Bei Obama waren es 570. Zwei Jahre in Folge verzichtete der Präsident gar auf das traditionelle Interview vor dem Super Bowl, dem Finalspiel der National Football League, wenn jeweils ein Millionenpublikum vor den Fernsehern sitzt. Bidens Wahlkampfteam erklärte dies mit einer bewussten Medienstrategie.
Lange Zeit funktionierte die Strategie nicht schlecht. Biden kann seine Wähler auch mit einer kontrollierten Einwegkommunikation über die sozialen Netzwerke erreichen. Zudem verstand er es bei grossen Auftritten wie der Rede zur Lage der Nation im März, über sich hinauszuwachsen. Mit der Zusage zu Fernsehdebatten wich der Präsident jedoch von seiner Strategie ab. Und es ging gründlich daneben. Warum sein Wahlkampfteam in die Debatten mit Trump einwilligte, ist eine andere Frage. Biden hätte ganz einfach sagen können, dass er mit einem verurteilten Straftäter und Putschisten nicht diskutiere. Aber weil er in den Umfragen hinter Trump zurücklag, sah er sich vielleicht dazu gezwungen, das Risiko einer Debatte einzugehen.
Wie dem auch sein mag. Sosehr Biden nun zu seiner alten Medienstrategie zurückkehren möchte, er kann es nicht. Der Präsident versuchte es zunächst. Der 81-Jährige hoffte, dass seine energische, aber vom Teleprompter abgelesene Wahlkampfrede in North Carolina am Tag nach der Fernsehdebatte die Zweifler zum Schweigen bringen würde. Nach dem historischen Urteil des Supreme Court über die Immunität amerikanischer Präsidenten trat Biden vor einer Woche kurz vor die Kameras, beantwortete aber keine Journalistenfragen.
Über eine Woche dauerte es, bis der Präsident dem Sender ABC ein einziges Fernsehinterview gewährte. Der Auftritt war solid, aber kein Befreiungsschlag. Kurz davor hatte Biden auch mit zwei Radiostationen gesprochen und damit für neue Irritationen gesorgt. Einerseits wurde bekannt, dass das Wahlkampfteam den Moderatoren die Fragen an den Präsidenten vorgab. Andrerseits verhaspelte sich Biden, als er sich selbst, seine Amtszeit mit Obama und seine Vizepräsidentin durcheinanderbrachte: «Übrigens bin ich stolz darauf, wie ich sagte, der erste Vizepräsident, die erste schwarze Frau zu sein, die mit einem schwarzen Präsidenten diente.»
Zudem gestand Biden vergangene Woche auch ein, dass er nach der Debatte seinen Arzt für einen Check-up konsultierte. Seine Pressesprecherin Karine Jean-Pierre hatte dies zuvor in Abrede gestellt. Am Wochenende wurde weiter bekannt, dass ein Experte für die Parkinson-Krankheit das Weisse Haus zwischen dem vergangenen Juli und März acht Mal besuchte. Jean-Pierre wollte jedoch die Frage am Montag nicht beantworten, ob dieser Neurologe in Zusammenhang mit der Gesundheit des Präsidenten konsultiert wurde.
Frustriert über Parteieliten
Alle diese Ungereimtheiten liessen die Kritik in den eigenen Reihen wachsen. Zumal sich Biden auch lange Zeit liess, um sich mit den führenden Kongressabgeordneten seiner Partei auszutauschen. Folglich nahmen der Unmut und die Kritik unter den Demokraten auch über das Wochenende zu. Um den wachsenden Widerstand zu dämpfen, blies der Präsident am Montag jedoch zum Gegenangriff. Er sei fest entschlossen, im Rennen um das Weisse Haus zu bleiben, schrieb er in einem Brief an die demokratischen Abgeordneten: «Es ist Zeit, zusammenzustehen, als geschlossene Partei vorwärtszugehen und Donald Trump zu besiegen.»
Wenig später schaltete sich der Präsident per Telefon live in die Morgensendung des Fernsehsenders MSNBC ein. Auch dort sagte Biden unmissverständlich: «Ich verschwinde nicht. Ich würde nicht kandidieren, wenn ich nicht absolut davon überzeugt wäre, der beste Kandidat zu sein, um Donald Trump 2024 zu schlagen.» Er sei frustriert über die Parteielite. Aber wenn ihn jemand herausfordern wolle, könne er dies am Parteitag im August tun.
Biden macht klar, dass er nicht freiwillig geht. Nun liegt es an den Demokraten, ob sie den Konflikt mit dem eigenen Präsidenten riskieren wollen.

