Befürworter und Gegner einer Annäherung an die EU kämpfen auch um die Begriffshoheit. Nur der Bundesrat wartet ab.
Wörter machen Politik. Das ist Befürwortern und Gegnern des Neuanlaufs, den die Schweiz mit der EU plant, bewusst. Sie waren bereit, als der Bundesrat am 15. Dezember den Entwurf des Verhandlungsmandats verabschiedete. «Bilaterale III: Eine Chance für die Schweiz», betitelte der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse sein Communiqué. Die Wirtschaft unterstütze die Regierung in deren Bestreben, den bilateralen Weg zu sichern und weiterzuentwickeln.
Ähnlich tönte es in der Mitteilung des Arbeitgeberverbandes: «Bilaterale III – Arbeitgeber zeigen sich erfreut über die weiteren Fortschritte.» Seit dem Scheitern des institutionellen Rahmenabkommens seien bedeutende Fortschritte erzielt worden. Ein paar Tage später doppelten die grossen Wirtschaftsverbände mit einer Umfrage nach: Über zwei Drittel der Stimmberechtigten befürworteten ein Verhandlungsmandat, um den «bilateralen Weg» mit der Europäischen Union weiterzuführen.
Bilateraler Königsweg
Das ist keine Überraschung. Die Wörter «Bilaterale» und «bilateraler Weg» sind in der Schweiz positiv besetzt. So positiv, dass Politiker die beiden Vertragspakete mit der EU gar jahrelang als «bilateralen Königsweg» überhöhten. Dabei hat die Europäische Union schon vor Jahren klargemacht, dass sie die Marktzugangsabkommen mit der Schweiz in der heutigen Form nicht weiterführen will.
Die Gegner einer weiteren Annäherung an die EU vermeiden es dagegen, von den «Bilateralen III» zu sprechen. Die EU-skeptische Gruppierung Kompass/Europa teilte im Dezember mit: «Der Bundesrat will einen Rahmenvertrag 2.0.» Es handle sich nicht um einen Fortschritt, sondern um einen Rückschritt, weil das Konstrukt mit der dynamischen Rechtsübernahme und der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) grundsätzlich gleich bleibe.
Ähnlich tönte es von der SVP. Das neue EU-Verhandlungsmandat sei alter Wein in neuen Schläuchen, teilte sie mit. Die Partei, die jede institutionelle Anbindung an die Europäische Union bekämpft, geht noch einen Schritt weiter als Kompass/Europa. «Kein Kolonialvertrag mit der EU», schreibt sie in der Einladung zu ihrer Delegiertenversammlung von Ende Januar. Die SVP verwendet damit dieselbe Terminologie, mit der Christoph Blocher Anfang der neunziger Jahre bereits den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bekämpfte.
Bundesrat nimmt Rücksicht auf EU
Noch keinen Namen für das geplante Vertragspaket hat der Bundesrat. «Wir sind vorsichtig mit der Taufe», antwortete Ignazio Cassis, der Vorsteher des Aussendepartements, im Dezember auf eine Journalistenfrage. Niemand verbiete es den Medien, dem neuen Verhandlungspaket einen Namen zu geben. «Bilaterale» sei hierzulande ein positiv besetztes Wort. «In der Europäischen Union ist das aber nicht der Fall, weil es suggeriert, dass die Schweiz einen Sonderstatus hat.» Dies sei auch der Fall. Trotz der Rücksicht auf die EU verwendete auch Cassis den Begriff: Die EU habe akzeptiert, auf dem bilateralen Weg weiterzugehen, fügte er an.
Tatsächlich ist die EU bereit, den Ansatz des sektoriellen Zugangs der Schweiz zum Binnenmarkt fortzuführen. Gegner argumentieren aber, vom bilateralen Weg könne mit institutionellen Spielregeln für fünf bestehende und neue Marktzugangsabkommen nicht mehr die Rede sein. Die Verträge der Bilateralen I sehen in ihrer heutigen Form keine dynamische Rechtsübernahme vor.
Doch diese ist für bilaterale Verträge keine Premiere. Die Schweiz übernimmt bei Abkommen des zweiten Pakets, Schengen (Abbau der Grenzkontrollen und Reisefreiheit) sowie Dublin (Asylkooperation), bereits dynamisch EU-Recht.
Neu ist jedoch die geplante juristische Streitbeilegung. Einigen sich die beiden Seiten nicht auf politischer Ebene, kann jede Partei ein Schiedsgericht anrufen. Geht es beim Streit über ein Binnenmarktabkommen um EU-Recht, muss das Schiedsgericht den Europäischen Gerichtshof (EuGH) für eine verbindliche Auslegung beiziehen. Der EuGH spielt heute bereits beim Luftverkehrsabkommen eine Rolle, das unter den Bilateralen I eine Ausnahme ist. Aber egal wie man es dreht und wendet: Am Ende wird jede Seite jene Begriffe verwenden, die ihr am meisten nützen.