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Nach dem Sturz von Asad drängen Tausende Syrer in das berüchtigte Saidnaya-Gefängnis, um Antworten auf die Frage nach dem Schicksal ihrer vermissten Angehörigen zu finden. Doch nicht alle Hoffnungen erfüllen sich.
Als am Sonntag bekanntwird, dass Syriens langjähriger Diktator Bashar al-Asad das Land verlassen hat und seine Truppen besiegt sind, strömen Tausende auf die Strassen. Die Menschen feiern – doch für viele beginnt eine verzweifelte Suche nach Angehörigen, die seit Jahren verschwunden sind.
Zu Fuss und in langen Autokolonnen machen sie sich auf den Weg zu den Kerkern des Regimes. Angetrieben von Hoffnung und geleitet von Gerüchten, vagen Hinweisen und Hilfeaufrufen in den sozialen Netzwerken, suchen sie verzweifelt nach den Spuren ihrer verschwundenen Angehörigen.
Zum Hauptschauplatz wird das Militärgefängnis von Saidnaya, rund 25 Kilometer nördlich von Damaskus. Es zählt zu den berüchtigtsten Anlagen des Asad-Regimes. In dem als «Schlachthaus» bekannten Komplex verschwanden Zehntausende von Aktivisten und bewaffneten Kämpfern, aber auch unbeteiligte Bürger.
Laut einer umfassenden Recherche der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden zwischen 2011 und 2015 bis zu 13 000 Menschen dort erhängt, während weitere 17 000 unter den unmenschlichen Haftbedingungen oder durch Folter starben. Bereits 2013 hatten amerikanische Regierungsbeamte auf den Bau eines Krematoriums auf dem Gelände hingewiesen.
Am Sonntag haben schliesslich islamistische Rebellen das Gefängnis gestürmt. Doch vielen der Familien dauert die Befreiung zu lange – sie greifen selbst ein, was teilweise tumultartige Szenen auslöst. Nichtregierungsorganisationen warnen vor Ort davor, das Gelände abseits der Wege zu betreten, da es stark vermint sein soll.
Trotz den Gefahren reisst der Zustrom der Suchenden und Schaulustigen nicht ab. Bis tief in die Nacht durchstreifen sie die engen Gänge und maroden Zellen, filmen Kleiderberge und zurückgelassene Dokumente. In Namensregistern und Dokumenten, die aus der Haftanstalt getragen werden, suchen die Menschen nach vertrauten Namen. Bereits befürchten Menschenrechtsorganisationen, dass diese Unterlagen verlorengehen könnten. Sie fordern eine geordnete Sicherung, um das Schicksal der Inhaftierten nachvollziehbarer zu machen.
Am Montag verbreitet sich in den sozialen Netzwerken das Gerücht, im Untergrund des Gebäudekomplexes befänden sich weitere Verliese mit Gefangenen. Diese Nachricht löst eine Welle von Spekulationen und verzweifelten Aufrufen aus. Suchende berichten von Hilfeschreien aus verschlossenen Räumen. Manche teilen Videos, die auf angeblich verborgene Gefängnistrakte hinweisen sollen.
Die Bergungsteams der Weisshelme, einer syrischen Freiwilligenorganisation, rücken daraufhin mit Spürhunden und schwerem Gerät an. Sie durchsuchen systematisch sämtliche Abschnitte des Gefängnisses, einschliesslich Keller, Innenhöfe und umliegender Bereiche.
Doch die Suche bleibt erfolglos. Am Dienstagmorgen erklären die Weisshelme, dass keine Hinweise auf versteckte Verliese gefunden worden seien. Auch die Vereinigung der Gefangenen und Vermissten im Saidnaya-Gefängnis (ADMSP) teilte am selben Tag mit, dass alle Gefangenen bis Sonntagmittag freigelassen worden seien und die Gerüchte über unterirdische Gefangene unbegründet seien.
Dennoch stauen sich auf den Zufahrtswegen zum Militärkomplex nach wie vor Hunderte von Fahrzeugen. Für viele ist das befreite Saidnaya-Gefängnis die letzte Hoffnung, vermisste Angehörige zu finden. Doch der Kerker ist nur einer von über hundert Anlagen in ganz Syrien, in denen Asads Regime gefoltert und gemordet hat.
