Die Begeisterung der Lebensmittelkonzerne für Speiseeis hat nachgelassen. Darum suchen sie nach neuen Wegen, um das Glacegeschäft profitabel zu betreiben. Während Nestlé schon vor Jahren umgedacht hat, steht Unilever erst am Anfang.

Reto Lüchinger, Präsident von Glacesuisse, dem Verband der Schweizer Speiseeishersteller, kann sich nicht erinnern, wann die Branche das letzte Mal einen so schlechten Juni hatte. «Ich rechne mit einem Rückgang von 30 bis 40 Prozent für den Monat im Vergleich mit dem Vorjahr», sagt er.

Juni, Juli und August sind für die Glacehersteller die entscheidenden Monate. Mehr als die Hälfte des Jahresvolumens wird in dieser Periode verkauft. Insgesamt ist die Entwicklung seit Jahresbeginn aber dennoch weniger dramatisch, als man aufgrund des nassen Frühlings erwarten könnte. So sei der Glaceabsatz bis Mitte Mai um rund 13 Prozent gewachsen, sagt Lüchinger, der auch Geschäftsführer von Froneri Schweiz ist.

Wie die Rechnung für das Gesamtjahr ausfällt, wird stark von der Entwicklung in den Sommermonaten abhängen. In den vergangenen Jahren seien die Glaceumsätze in der Schweiz jeweils um zwischen 3 und 5 Prozent gestiegen, sagt Lüchinger.

Grosse Konzerne denken um

Grundsätzlich gilt Glace aber als relativ reifes Geschäft, in dem nicht mehr die ganz grossen Wachstumsraten zu erzielen sind. Die Abhängigkeit vom Wetter ist dabei nur eine der Besonderheiten des Glacegeschäfts. Eine andere ist die separate und teure Tiefkühllogistik, die es für die Belieferung braucht. Kommt dazu, dass in den vergangenen Jahren der Konsum von Eigenmarken auch bei Glace zugenommen hat.

Vor diesem Hintergrund haben die grossen Konsumgüterhersteller ihr Glacegeschäft neu organisiert oder planen Veränderungen. So hat der Konsumgüterriese Unilever im März angekündigt, sein Glacegeschäft abzuspalten. Der Konzern mit Marken wie Magnum, Ben & Jerry’s oder Lusso (Langnese in Deutschland) ist weltweit Marktführer.

Doch das Unternehmen gilt selbst nach der Abspaltung von Margarine und Teebeuteln als zu breit aufgestellt. Für die Unilever-Führung ist darum klar, dass die Glacesparte als eigenständiges Unternehmen mit einem Umsatz von immerhin knapp 8 Milliarden Euro besser aufgehoben ist.

Glaceboom unter Brabeck

Nestlé ist hier bereits einen Schritt weiter. Unter dem ehemaligen Konzernchef Peter Brabeck, der seine Karriere hinter dem Steuer eines Findus-Tiefkühllastwagens begann, wurde das Glacegeschäft ausgebaut. Als «Höhepunkt einer langjährigen Strategie» verkündete er 2006 nach der Vollübernahme der amerikanischen Firma Dreyer’s die Glace-Weltmarktführerschaft von Nestlé.

Doch zehn Jahre später hatten sich die Prioritäten geändert. Nestlé brachte das europäische Glacegeschäft, darunter Mövenpick, 2016 in ein Joint Venture ein. In der neuen Firma Froneri wurde es mit R & R verschmolzen, einem Glacehersteller im Besitz der Private-Equity-Firma PAI. 2019 ging Nestlés Amerikageschäft mit Speiseeis ebenfalls darin auf.

Das Konstrukt hat den Vorteil, dass Nestlé keine Fabriken mehr betreiben muss und Froneri in seinen Werken nicht nur Nestlé-Marken, sondern etwa auch Fremdmarken wie Oreo von Mondelez sowie Eigenmarken für Detailhändler herstellen kann. Letztere machten 2023 zwar nur noch 13 Prozent des Gesamtumsatzes von knapp 5,3 Milliarden Euro aus, dennoch bezeichnet sich Froneri als weltweit grössten Hersteller von Eigenmarken. Diese Strategie erlaubt eine bessere Auslastung und bietet eine gewisse Absicherung, wenn Konsumenten auf günstigere Produkte ausweichen.

Mehr Geld als mit den grossen Glacebehältern für zu Hause lässt sich mit sogenanntem Impulseis verdienen, also Cornets und Eis am Stiel. Das Ziel ist es darum, Händlern und Restaurants eine grosse Auswahl an bekannten Marken anbieten zu können. Eine Badi oder ein Kiosk hat möglicherweise nur Platz für ein Kühlgerät und muss sich für einen Lieferanten entscheiden. Froneri ist es in den letzten Jahren gelungen, Marktanteile zu gewinnen – etwa mit Nuii als Konkurrenzprodukt zu Unilevers Magnum. Ein Erfolg notabene, den selbst innerhalb von Nestlé nicht alle erwartet hatten.

Ein Blick auf die Zahlen von Froneri zeigt, dass die Firma wie bei Private Equity üblich enorm hohe Finanzierungskosten hat. Doch operativ verdient das Unternehmen Geld und konnte auch durch Restrukturierungen seine Margen seit der Ausgliederung aus Nestlé steigern – wenngleich nicht auf das Niveau von Kategorien wie Kaffee oder Tierfutter.

Was plant Finanzinvestor PAI?

Etwas Verunsicherung kam Mitte Januar dieses Jahres auf. Bloomberg meldete, dass PAI bei Froneri den Ausstieg und darum einen Käufer für seine Hälfte an der Firma suche. Es war unklar, was das für Nestlé bedeuten würde. Doch die Spekulationen klangen wieder ab. Vier Monate später flüsterten erneut ungenannte Quellen der Agentur zu, dass PAI eine neue Finanzierung prüfe, um doch noch weiter in Froneri investiert zu bleiben.

Seitens Nestlé heisst es dazu lediglich: «Wir sind sehr zufrieden mit Froneri – es ist ein erfolgreiches Joint Venture und eine starke Kraft im Glacegeschäft.» Eine Vollübernahme durch Nestlé bei einem allfälligen Ausstieg von PAI scheint jedenfalls nicht plausibel – dann hätte der Nahrungsmittelkonzern den Bereich gleich ganz behalten können. Auch eine Zusammenlegung mit der Unilever-Sparte ist aus Wettbewerbsgründen nicht denkbar.

Sollten die beiden Froneri-Gründer Nestlé und PAI das Investment dereinst doch abstossen wollen, sind ein Verkauf an Finanzinvestoren oder ein Börsengang mögliche Szenarien. Auch Unilever dürfte für seine Glacesparte eine Übernahme durch Private Equity oder ein Spin-off als separat kotierte Gesellschaft prüfen. Die Abspaltung solle bis Ende 2025 vollzogen sein, hiess es bei der Ankündigung.

Doch nicht alle Konzerne lagern ihr Glacegeschäft aus. Ein Unternehmen, das in dem Bereich investiert, ist Ferrero. Die italienische Familienfirma hat in den vergangenen Jahren verschiedene Eishersteller übernommen und kann so seine sehr starken Süsswarenmarken wie Nutella oder Ferrero Rocher auf die Tiefkühltruhe ausweiten. Zudem sorgt das für Umsätze in der warmen Jahreszeit, in der weniger Schokolade verkauft wird.

Gesundheitliche Bedenken

Abgesehen von der Eigenmarkenkonkurrenz, der aufwendigen Logistik und den begrenzten Margen machen auch gesundheitliche Bedenken das Glacebusiness weniger attraktiv. Der Boom der Abnehmspritzen hat die Befürchtung geweckt, dass insbesondere auf dem wichtigen Markt USA die betroffenen Patienten weniger Glace konsumieren.

Dazu kommt, dass verschiedene Investoren nicht in Firmen investieren möchten oder dürfen, die «ungesunde» Lebensmittel verkaufen. Hier zeigt sich allerdings ein weiterer positiver Nebeneffekt für Nestlé durch die Lösung mit Froneri. Weil der Konzern aus Vevey den Hersteller mit nur 50 Prozent der Stimmrechte nicht kontrolliert, fliessen Froneris Glaceumsätze nicht in die Berechnung des Anteils «ungesunder» Produkte bei Nestlé ein – dieser ist somit tiefer, als wenn die Eissparte ganz im Konzern verblieben wäre.

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