Freitag, Februar 28

Bauernpräsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter strebt das höchste Amt in der Schweiz an: Bundesrat. Im Interview spricht er über die Finanzierung der zusätzlichen Milliarden für die Armee und über die Neutralität der Schweiz.

Herr Ritter, haben Sie diese Woche ein bisschen mehr gebetet als sonst?

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Nein, ich bin ehrlich gesagt nicht häufig dazu gekommen. Laufend kommen neue Informationen zum Verteidigungsdepartement rein – die Betrugsvorwürfe gegen die Ruag, die Rücktritte von Armeechef Thomas Süssli und Nachrichtendienst-Chef Christian Dussey. Ich musste zuerst einmal schauen: Wie ist das einzuschätzen? Wie reagiere ich auf Journalistenfragen?

Sie hätten als Bundesrat im VBS einen Berg von Problemen zu lösen. Und das mit einem Chef der Armee und des Nachrichtendienstes, die gar nicht mehr hier sein wollen. Können Sie so den nötigen Zug entwickeln?

Es wird nicht viel anderes übrig bleiben. Ich bin froh, dass Thomas Süssli und Christian Dussey noch bis Ende Jahr respektive bis Ende März 2026 bleiben. Die neuen Chefs werden eine Einarbeitungszeit brauchen. Doch die Strategiearbeit muss sofort gemacht, die Nachfolge und die Aufsicht geregelt werden. Und zwar viel schneller als bisher gedacht.

Wie?

Im Fall meiner Wahl würde ich mich mit den Aufsichtsorganen zusammensetzen und sofort analysieren: Was braucht es jetzt, um die Kontrolle zu garantieren? Dann würde ich mich jede Woche mit jedem Chefbeamten austauschen, bis alle Probleme ans Licht gekommen sind und wir Lösungen haben. Dazu kommt das Politische: Bis zum Sommer muss die rüstungspolitische Strategie im Bundesrat auf den Tisch kommen. Bis im Herbst die sicherheitspolitische Strategie. Gleichzeitig muss man die Gesamtstrategie vorantreiben, also das Zielbild einer verteidigungsfähigen Armee.

Das sollte ein Klacks sein. Die Grundlagenberichte seien alle vorhanden, sagt Viola Amherd gerne. Man müsse sie nur lesen.

Aber die Synopsis fehlt, der Bundesrat hat nie über eine Gesamtstrategie entschieden. Es braucht verschiedene Bedrohungsszenarien, die nach Wahrscheinlichkeit gewichtet sind.

Auch die gibt es bereits: In der Armeebotschaft, welche Bundesrat und Parlament gutgeheissen haben.

Die verschiedenen Bereiche wurden nie aufeinander abgestimmt: Die Armeestrukturen, die Logistik und das Personal sowie die Beschaffungen müssen aufgrund der Bedrohungsszenarien definiert werden. Ich würde in Etappen vorgehen und den Bundesrat bei allen relevanten Fragen in Zwischenberichten einbinden und am Schluss alle Punkte zusammenführen.

Die Fragen rund um die Armee haben in den letzten Monaten im Gesamtbundesrat zu Konflikten geführt. Adolf Ogi hat die Landesregierung bei schwierigen Diskussionen aufs Schilthorn gebracht und gesagt: Wir gehen erst wieder runter, wenn alle offenen Fragen gelöst sind.

Das ist sinnvoll, aber zuerst müssen wir die Entscheidungsgrundlagen zusammenhaben. Wenn ich am 12. März gewählt werden sollte, fange ich am 13. März mit dem Aktenstudium an.

Sie haben hoffentlich schon mit dem Aktenstudium begonnen!

Viele Akten sind geheim. Da habe ich gar keinen Zugriff.

Aber die Armeebotschaft, den Sicherheitspolitischen Bericht 2021 oder das Schwarze Buch des Chefs der Armee haben Sie schon studiert, oder? Sonst können Sie die bisherige Strategiearbeit gar nicht beurteilen.

Ich habe die Berichte nicht im Detail mit dem Leuchtstift zur Hand angeschaut. Ich muss mich jetzt auf die Hearings der Fraktionen konzentrieren, diese finden auf einer anderen Flughöhe statt.

Ein grosser Konfliktpunkt ist seit Monaten die Armeefinanzierung. Das Parlament hat beschlossen, die Armeeausgaben bis 2032 auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen, also von heute 5,5 auf 10,7 Milliarden Franken. Woher soll das Geld aus Ihrer Sicht kommen?

Das Parlament verteilt jedes Jahr zwei Milliarden Franken mehr. Als ich 2011 als Nationalrat anfing, betrug das Bundesbudget 60 Milliarden, jetzt sind wir bei 83 Milliarden. Die Erhöhung der Armeeausgaben bis 2032 müssen wir aus diesem Budget stemmen. So hat es das Parlament entschieden.

Ihr Parteikollege Benedikt Würth schlägt eine Mehrwertsteuererhöhung für Armee und AHV vor. Ist das eine gute Idee?

Die 13. AHV kostet vier bis fünf Milliarden Franken. Das können wir nicht auch noch aus dem Bundesbudget finanzieren. Ich teile die Meinung der Mitte-Fraktion: Es wird zusätzliche Mittel dafür brauchen. Ob diese nur aus einer Mehrwertsteuererhöhung kommen, wird das Parlament diskutieren.

Würden Sie als Bürger dem VBS nach all diesen Skandalen zehn Milliarden Franken anvertrauen? Mehrere Umfragen haben ergeben, dass die Bevölkerung dazu nicht gewillt ist.

Das Vertrauen der Bevölkerung ist das höchste Gut. Als Bürger frage ich mich: Haben wir ein Bedürfnis nach Sicherheit? Ich sage: Ja. Der Krieg in der Ukraine und die transatlantische Situation bringen sehr viel Unsicherheit. Die Schweiz tut gut daran, mit einer starken, bewaffneten Neutralität nach innen Vertrauen zu schaffen, aber auch nach aussen zu zeigen, dass wir wehrfähig sind.

Was ist aus Ihrer Sicht die grösste Bedrohung für die Schweiz?

Die Cyberbedrohung. Diese hat sich laut Nachrichtendienst im Jahr 2024 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Daher muss man weiter in die Abwehr investieren. Dazu kommt das Risiko von Raketenangriffen, weswegen die Boden-Luft-Abwehr wichtig ist. Dank unserer Lage inmitten von Nato-Ländern ist es zum Glück weniger wahrscheinlich, dass eines Tages Panzer am Rhein stehen.

Das Heer ist völlig ausgedünnt, das Material stammt aus dem Kalten Krieg. Wollen Sie dort nicht ansetzen?

Wir müssen die Verteidigungsfähigkeit wiederherstellen. Aber man kann nicht alles gleichzeitig machen, sondern muss priorisieren. Diese Priorisierung muss man zuerst in der Strategie festlegen.

Sie haben in einer Zeit Militärdienst geleistet, in welcher der Sollbestand der Armee 600 000 Mann betrug.

Damals haben alle Dienst gemacht, bis sie 50 Jahre alt waren, und Sie können mir glauben: Nicht alle waren gleich wehrfähig. Mein Vater stand im Zweiten Weltkrieg an der Grenze. Damals dauerte die Dienstpflicht bis ins Alter von 60 Jahren.

Heute haben wir nur noch 140 000 Soldaten. Haben Sie das Gefühl, das reicht?

Entscheidend ist nicht mein Gefühl, sondern erstens das Zielbild, zweitens die Strategie, drittens die Finanzierung.

Werden Sie in den Hearings gegenüber den Parlamentariern auch so ausweichende Antworten auf konkrete Fragen geben?

Fragen in dieser Tiefe werden eher nicht kommen, ausser vielleicht von den Mitgliedern der Sicherheitspolitischen Kommissionen. In den Hearings geht es meistens um eine breite Themenpalette. Die Gesundheitspolitiker möchten vielleicht etwas zur Entwicklung der Gesundheitskosten wissen, die Staatspolitiker zur Asylpolitik, andere wiederum sprechen die Beziehungen zur EU an.

Darüber möchten wir auch noch reden. Die Verhandlungen mit der Europäischen Union kamen auch an der Delegiertenversammlung der Mitte zur Sprache. Sie warnten vor einem «EU-Bashing». Dachten Sie dabei an die SVP, die von einem «Unterwerfungsvertrag» spricht?

Ich sprach allgemein von jenen, die das Vertragspaket bei einer Abstimmung bekämpfen würden. Die EU hat Probleme, beispielsweise mit der Bürokratie. Einige Staaten haben zurzeit auch keine stabilen politischen Mehrheiten. Es ist wichtig, dass wir diskutieren können, aber ich bin grundsätzlich für ein gutes Verhältnis zur EU. Sie ist unser wichtigster Handelspartner. Wir brauchen deshalb eine Vertrauenskultur.

Die Schweiz kann nicht aus Rücksicht auf die Befindlichkeiten der EU wichtige Kritikpunkte ignorieren. Einverstanden?

Zuerst müssen wir schauen, was überhaupt auf dem Tisch liegt. Gelesen hat diesen Vertrag im Detail noch niemand. Bis jetzt gibt es lediglich ein «Common Understandig». Die wichtigsten Punkte – also den Lohnschutz, die Zuwanderung und den Mechanismus bei Streitfällen – möchte ich vorab lesen. Unterschreiben Sie nie einen Vertrag, den Sie nicht genau gelesen haben!

Danke für den Tipp. Glauben Sie, dass die Verträge schlechtgeredet werden?

Der bilaterale Weg ist meiner Meinung nach alternativlos, die EU unsere wichtigste Handelspartnerin. Ich sehe aber eine gewisse Gefahr, dass einige Aspekte zu unseren Ungunsten geregelt werden könnten. In diesem Fall würden die Verträge an der Urne scheitern. Damit das nicht passiert, müssen wir kluge Lösungen finden.

Erfordert das EU-Vertragspaket aus Ihrer Sicht neben dem Volksmehr auch das Ständemehr?

Ja, ich bin für das Ständemehr. Sonst öffnen Bundesrat und Parlament bei der Abstimmung bereits im formellen Bereich eine Flanke und geben den Gegnern gute Argumente. Wir haben einen föderalen Staatsaufbau, meine Erfahrung ist: Gegen die Mehrheit der Kantone kann man nicht agieren, wenn es sich um so wichtige Geschäfte handelt.

Die Lage zwischen Europa und den USA ist angespannt. Der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance hat an der Münchner Sicherheitskonferenz Europa scharf kritisiert. Er sprach von angeblich eingeschränkter Meinungsfreiheit und appellierte an die Regierungen, mehr auf das Volk zu hören. Was dachten Sie, als Sie seine Rede hörten?

Die Regierung in Amerika wurde vom Volk gewählt. Mir steht es nicht an, sie zu kritisieren oder Position zu beziehen. Die Münchner Sicherheitskonferenz ist Sache von Europa. J. D. Vance hat seine Meinung gesagt, das ist sein Recht.

Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter nannte Teile der Rede «sehr liberal». Sind Sie einverstanden?

Die Schweiz tut gut daran, in diesen Fragen unter dem Radar zu bleiben. Wir sind ein kleines, neutrales Land, und wir bieten überall unsere guten Dienste an. Aber in solchen Diskussionen können wir nicht viel gewinnen. Wir sind zwar wirtschaftlich relativ stark und ein Land, das respektiert wird. Aber in einen kommunikativen Konflikt sollten wir uns nicht begeben.

Ist das eine Kritik an Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter?

Ich kritisiere Frau Keller-Sutter nicht. Sie ist Bundespräsidentin und muss ihre Aussagen selbst verantworten. Aber ich bin der Meinung, dass die Schweiz mit möglichst vielen Ländern einen guten Dialog pflegen sollte. Wir können heute sowohl mit den Amerikanern als auch mit den Europäern, Chinesen oder Indern sprechen.

Unterscheiden Sie zwischen Aggressor und Opfern?

Ja, aber das ist jetzt nicht meine Aufgabe.

Der Bundesrat muss sich im internationalen Kontext positionieren, auch im Krieg mit der Ukraine. Soll ein neutrales Land wie die Schweiz zwischen Aggressor und Opfer unterscheiden?

Die Uno hat festgestellt, dass der Angriff Russlands völkerrechtswidrig war. Die Schweiz muss sich an die völkerrechtlichen Grundlagen halten. Ihre Kommunikation sollte sich an diesen Prinzipien orientieren.

Die USA will Frieden, die Ukraine sitzt aber vorläufig nicht am Verhandlungstisch. Soll die Schweiz dieses Vorgehen kritisieren?

Die Schweiz sollte auch in diesem Fall erklären, dass das Völkerrecht einzuhalten ist. Aber ich sähe ungern, wenn die Schweiz zwischen die grossen Machtblöcke geraten würde. Deshalb sollten wir vorsichtig und schlau argumentieren.

Seit dem Angriff Putins auf die Ukraine steht die Schweiz international in der Kritik, weil sie den indirekten Export von Kriegsmaterial verbietet. Im Parlament sind Lockerungen bisher gescheitert. Wie stehen Sie dazu?

Das VBS arbeitet derzeit an einer rüstungspolitischen Strategie. Ich bin gegen direkte und indirekte Waffenlieferungen. Doch wer Schweizer Kriegsmaterial kauft, soll es nach vier oder fünf Jahren weitergeben dürfen. Sonst wird es schwierig, die Rüstungsindustrie im Land zu halten. Irgendwann haben diese Firmen wegen der strengen Exportregeln sonst keine Kunden mehr.

Wir würden noch gerne über Ihre Beweggründe für die Bundesratskandidatur reden. Ihre Bewerbung hat viele in Bern überrascht.

Wenn Sie mich zwischen dem 15. und dem 20. Januar gefragt hätten, ob ich kandidiere, hätte ich wohl Nein gesagt. Nicht weil es mich nicht interessiert hätte, sondern weil ich meine Partei kenne und weiss, dass viele unserer Politikerinnen und Politiker die Fähigkeit zum Bundesrat hätten. Ich war mir zum Beispiel zu 100 Prozent sicher, dass Nationalrat Martin Candinas kandidiert. Die Mitte hat ihn als möglichen Nachfolger gut aufgebaut. Er war Nationalratspräsident und ist auch ein gmögiger Mensch!

Aber dann hat nicht nur Martin Candinas abgesagt.

Da war mir klar: Jetzt haben wir ein Problem. Nicht nur die Mitte, sondern das ganze Land. Ich habe dann meine Frau angerufen und mit dem Bauernverband gesprochen.

Bundesrätin Viola Amherd hat sich für die Gleichstellung eingesetzt. Was können junge Schweizerinnen von Ihnen erwarten?

Wir brauchen einen Armeebestand mit Frauen und Männern. Dafür müssen wir den Militärdienst noch attraktiver machen, auch für Frauen. Alle sollten damit einen Mehrwert für die berufliche Karriere bekommen können. Es sollte Zertifikate geben, die auch in der Wirtschaft anerkannt werden und Aufstiegsmöglichkeiten für Kaderfunktionen eröffnen. Die Jungen sind klug. Wenn sie einen Mehrwert sehen, dann sind sie auch motiviert.

Exit mobile version