Aktienrückkäufe fallen bei den meisten US-Unternehmen als Kursstütze aus. Der Grund ist die «Blackout Period». Die lange unangreifbaren US-Chipkonzerne zeigen Schwäche. Und die Präsidentschaftswahlen rücken näher.
Die warnenden Stimmen werden zahlreicher. «Ich stelle das Portfolio auf Defensive um, weil ich die Kursgewinne seit Jahresbeginn schützen möchte», schrieb Jörg Märtin, Berater des Family Office Avalon Hill Management in Lugano, am 24. Juni in seiner wöchentlichen Analyse der Finanzmärkte.
Zur Vorsicht mahnt den ehemaligen Investmentbanker auch der jüngste Kursrutsch einiger grosser Tech-Aktien. Der Kurs des KI-Hauptprofiteurs Nvidia ist seit seinem Höchststand von über 140 $ am 20. Juni zwischenzeitlich mehr als 15% gefallen. Die Kurse der Halbleiterhersteller Broadcom und Micron haben seit ihren Höchstständen am 17. und 18. Juni ähnlich viel verloren.
Ein weiterer Grund für Märtins defensive Haltung ist etwas technisch, aber wichtig: In diesen Tagen beginnt die «Blackout-Periode» für Aktienrückkäufe. Keine Sorge, es droht kein Totalausfall mit völliger Finsternis wie bei einem Blackout nächtlichen Stromausfall, woher der Begriff stammt. Aber einer der grössten Käufer von US-Aktien fällt bis Ende Juli weitgehend aus: die Unternehmen selbst.
Warum die Aktienrückkäufe zwischenzeitlich ausfallen
Schwergewichte in den US-Indizes Nasdaq 100 und S&P 500 kaufen üblicherweise in grossem Stil eigene Aktien. Diese Titel werden von der Finanzabteilung stillgelegt oder vernichtet. Dadurch steigt der Gewinn pro Aktie bei gleichbleibendem Ergebnis. Diese Gewinnverdichtung ist im Gegensatz zur Dividende in den USA steuerfrei – und deshalb bei den Aktionären sehr beliebt.
Vor der Veröffentlichung der Quartalsergebnisse pausieren viele US-Unternehmen ihre Aktienrückkäufe. Zum Teil ist dies gesetzlich vorgeschrieben. Und die Manager wollen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, mit Insiderwissen über die bevorstehende kursbewegende Publikation Aktien des eigenen Unternehmens gekauft zu haben, und sei es auch nur für ein Rückkaufprogramm und nicht auf eigene Rechnung.
«Innerhalb weniger Wochen werden 80% der Marktkapitalisierung des S&P 500 in einer Blackout Period für Aktienrückkäufe sein», warnt Jim Reid, Investmentstratege bei der Deutschen Bank. Derzeit sind erst Unternehmen mit einem Gewicht von 20% des Index davon betroffen.
Terminmärkte verraten gefährliche Euphorie der Investoren
Reid verweist auf eine Grafik seiner Kollegen, die einen steilen Anstieg zeigt: Sie zeigt die Zahl der Transaktionen am Terminmarkt, mit denen Grossinvestoren auf steigende Kurse der grössten US-Aktien und Tech-Werte wetten, abzüglich der Wetten auf fallende Kurse (in der Grafik unten als blaue Linie dargestellt). Das Übergewicht der Kaufwetten auf Megacap- und Tech-Aktien sei in den vergangenen Wochen geradezu «explodiert», so Reid.
Die Marktstrategen der Deutschen Bank, Parag Thatte und Binky Chadha, sehen weitere Anzeichen für einen unvernünftigen Überschwang der Anleger. Fonds, die nach festen Regeln wie Trendfolgestrategien investieren, hätten derzeit eine so hohe Aktienquote wie selten zuvor. Genauer gesagt: In weniger als 10% der Zeiträume seit 2014 war die Aktienquote von Fonds, die automatisch und nach Kennzahlen investieren, so hoch wie heute.
«Es ist Zeit für eine weitere Atempause», warnen die Zahlennerds der Deutschen Bank. Bereits am 5. April hatten sie eine Atempause für die Aktienmärkte angekündigt. In den folgenden zwei Wochen fiel der US-Leitindex fast 5%.
Auch der Vermögensverwalter und The-Market-Kolumnist Jens Ehrhardt mahnte jüngst: «Nach der fundamentalen, monetären und markttechnischen Analyse bieten die Weltbörsen kein überzeugendes Chance-Risiko-Verhältnis.» Eines von vielen Warnsignalen sind die sehr geringen Kursschwankungen, die auch darauf hindeuten, dass die Anleger die Risiken ignorieren.
Dass es mit der Ruhe bald vorbei sein könnte, legt auch das anstehende Grossereignis des Jahres nahe: die US-Präsidentschaftswahlen. Sie sind ein Risikofaktor für Investoren. In solchen Wahljahren sind die Kursschwankungen an den US-Börsen seit 1928 recht zuverlässig ab dem Sommer von Monat zu Monat gestiegen, zeigt eine Analyse der Bank of America. Es ist unwahrscheinlich, dass die wichtigste Wahl der Welt ausgerechnet 2024 weniger Unsicherheit auslösen wird. Schliesslich gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Kandidaten, und Herausforderer Donald Trump, der derzeit in den Umfragen favorisiert wird, ist noch aus seiner ersten Amtszeit für seine erratische Regierungsführung in Erinnerung. Und der schwache Auftritt von Amtsinhaber Joe Biden hat in seiner Partei Panik ausgelöst bis hin zu einer Debatte, ihn zum Rücktritt von der Kandidatur zu bewegen, um einen neuen Kandidaten zu nominieren, was zum Beispiel «Financial Times»-Kolumnist Gideon Rachman seit dem TV-Duell vom Donnerstagabend für wahrscheinlich hält und auch Isabelle Jacobi von der NZZ nun als realistische Entwicklung bezeichnet.
Zu viel Optimismus bei den Anlegern, eine Pause bei den Aktienrückkäufen und ein unberechenbares politisches Grossereignis machen Turbulenzen in den kommenden Monaten wahrscheinlich. Dies sollte die Anleger aber nicht dazu verleiten, jetzt panikartig Aktien zu verkaufen. Die Stimmung und die Bewertungen sind nicht so extrem, als dass es gerechtfertigt wäre, stark von der Anlagestrategie abzuweichen, die jeder Investor entsprechend seiner Situation und seinen Zielen festlegen sollte (hier unsere zehn Prinzipien für die Aktienanlage).
Wer aber sein Aktienengagement deutlich ausbauen will, sollte nicht überstürzt handeln. Bis zum Spätherbst könnten sich noch günstigere Kaufgelegenheiten ergeben.