Sonntag, April 27

Die kriminelle Landschaft in Finnland habe sich radikal verändert, sagen finnische Ermittler. Drogen sind dabei das kleinere Problem.

Der Albtraum der finnischen Polizei hat einen Namen: Ismail Abdo, auch bekannt als «die Erdbeere».

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Dieser Tage finden am Bezirksgericht von Helsinki mehrere Prozesse statt, die belegen, dass das eingetreten ist, wovor sich die Behörden im Land seit einigen Jahren fürchten. Es geht um geplante Sprengstoffanschläge, Schiessereien und grosse Mengen an Drogen. Die Spuren der Täter führen nach Schweden und zu dem Mann, der im Hintergrund die Fäden zieht: Ismail Abdo.

Abdo war einst Mitglied der schwedischen Foxtrot-Gang, einer kriminellen Bande, die im schwedischen Drogenmarkt eine führende Rolle spielte. Er arbeitete als rechte Hand des Bandenchefs Rawa Majid, bekannt als «Kurdiska rävän» («kurdischer Fuchs»). Als sich die beiden Männer 2023 zerstritten, stürzte Schweden in einen blutigen Bandenkrieg, bei dem über ein Dutzend Menschen umkamen – unter ihnen Abdos Mutter, deren Mord Majid in Auftrag gegeben haben soll.

Laut Medienberichten versteckt sich Abdo seither in der Türkei. Von dort aus leitet er eine neue Gang. Diese agiert hauptsächlich in Schweden, doch das dortige Drogengeschäft ist inzwischen gesättigt, die Preise im Keller. Deshalb will Abdo neue Märkte erschliessen. Sein erstes Ziel: Finnland.

Der Verrat

Im zweiten Verhör packte Tobias Larsson aus. Die erste Bombe hätte vor dem Lokal des Motorradklubs Bandidos in Tampere detonieren sollen, die zweite unter einem in der Nähe parkierten Auto. Geplant war es, danach mit Maschinengewehren auf das Klubhaus zu schiessen. «Wir wollten ihnen zeigen, wer hier das Sagen hat», sagte Larsson gegenüber der finnischen Polizei.

Larsson war von Abdo beauftragt worden, die Geschäfte in Finnland zu organisieren. Er und Larsson waren Kindheitsfreunde und hatten bei Foxtrot bereits zusammengearbeitet. Die Drogen wurden mit Personenwagen über die Grenze gebracht und von dort weiter im Land verteilt. Abdo erteilte telefonische Anweisungen aus der Türkei, Larssons Aufgabe als Mittelsmann war es, den Fahrern die Adressen der Dealer in Finnland zu vermitteln. Andere Kuriere brachten das Geld aus dem Land.

Anfangs ging alles nach Plan, doch dann fingen die Probleme an. Larsson gab später zu Protokoll: «Die in diesen Fall verwickelten Finnen waren völlige Junkies.» Sie seien nicht in der Lage, Dinge zu organisieren. «Deshalb sind Schweden zum grössten Teil für die kriminellen Geschäfte verantwortlich.»

Hinzu kamen Streitigkeiten mit der finnischen Bikergang Bandidos. Abdo beschuldigte die Rocker, ihn um 30 000 Euro betrogen zu haben. Laut Recherchen der finnischen Boulevardzeitung «Iltalehti» soll er in einem Gruppenchat nach einem Auftragsmörder gesucht haben. Die versprochene Entschädigung: 500 000 bis 20 Millionen schwedische Kronen – umgerechnet 45 000 bis 1,7 Millionen Euro. Laut Larsson waren die Bomben bereits in Thermosflaschen verpackt, doch der Plan wurde nie ausgeführt.

Larsson hatte schliesslich genug von Abdos ständigen Anweisungen und stieg aus. Seither steht er selbst auf der Tötungsliste. Das Bezirksgericht von Helsinki hat ihn im Februar wegen Drogendelikten zu neun Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Doch er ist längst nicht der einzige in Finnland tätige Kriminelle mit Verbindungen zur schwedischen Gang.

Die Ermittlungen

Der leitende Ermittler Markku Heinikari hat dieser Tage viel zu tun. Innert kurzer Zeit hat die Polizei in Helsinki 400 Kilogramm Drogen beschlagnahmt – eine enorme Menge für finnische Verhältnisse. In den letzten Jahren habe die organisierte Kriminalität aus Schweden den finnischen Drogenmarkt übernommen. «Das ist eine völlig neue Situation für uns», sagt Heinikari gegenüber der Zeitung «Helsingin Sanomat».

Das grösste Problem sind jedoch nicht die Drogen, sondern die Gewalt. Laut Heinikari sind die in Finnland gefassten schwedischen Tatverdächtigen mehrheitlich jung und gewaltbereit. Sie glorifizierten das Gangsterleben und träumten vom grossen Geld.

Dafür gehen sie grosse Risiken ein. Der von Larsson geplante Anschlag auf das Bandidos-Lokal war kein Einzelfall.

Anfang April begann am Bezirksgericht von Helsinki ein Prozess gegen einen mutmasslichen Auftragsmörder. In einem Aussenbezirk Helsinkis fielen mehrere Schüsse auf eine Wohnung, in der sich ein Teenager befand. Er hatte keine Verbindungen zu kriminellen Organisationen – später stellte sich heraus, dass die Täter auf die falsche Wohnung gezielt hatten. Der 21-jährige Schütze soll eigens für die Tat aus Schweden angereist sein.

Das Bezirksgericht von Oulu befasst sich derweil mit einem schwedischen Paar, das in einem Hotelzimmer in Helsinki eine Bombe gebastelt und – wie im Bandidos-Fall – in einer Thermosflasche versteckt hatte. Gemäss der Anklage war das Ziel ein Mehrfamilienhaus in Vantaa. Die Anweisungen zum Bau des Sprengsatzes hatte eine schwedische Gang erteilt. Das Paar soll zudem die grösste je gefundene Menge Amphetamin ins Land geschmuggelt haben.

Die Polizei spricht bei solchen Fällen von «crime as a service». Ältere Drahtzieher lassen dabei junge, oft sogar minderjährige Gangmitglieder die Drecksarbeit ausführen. Beauftragt werden die jungen Täter in Gruppenchats. In Schweden ist die Rekrutierung Minderjähriger schon länger ein Problem. Genutzt wird die Methode nachweislich auch von Ismail Abdo. Er soll in der Vergangenheit gezielt Jugendliche aus Schweden rekrutiert haben, um eine verfeindete Gang in Dänemark anzugreifen.

Die Lösung

In Dänemark haben die Polizei und die Regierung hart durchgegriffen. Als sich der schwedische Bandenkrieg letzten Sommer auf Dänemark auszuweiten drohte, startete der dänische Justizminister Peter Hummelgaard eine Medienoffensive in Schweden. In Interviews warnte er schwedische Jugendliche vor den höheren Strafen für Gewaltverbrechen in Dänemark. Der Warnruf, strengere Grenzkontrollen und eine enge Kooperation mit der schwedischen Polizei zeigten Wirkung. Die Welle der Gewalt ebbte ab.

Am Freitag kündigte das finnische Justizministerium an, die Strafen für Gangdelikte zu verschärfen. Wie stark die schwedischen Gangs bereits in Finnland Fuss fassen konnten, ist schwer zu beurteilen. Fest steht, dass sie auch auf Mittäter im Land zählen können. Neben Tobias Larsson soll ein 22-jähriger Finne zu den Führungsfiguren gehört haben. Auch er stand im April vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, sowohl bei der Schiesserei in Helsinki als auch beim geplanten Bombenanschlag in Vantaa im Hintergrund die Fäden gezogen zu haben. Die Urteile in allen Fällen stehen noch aus.

Nur eines steht bereits fest: Ismail Abdo, «die Erdbeere», wird ein weiteres Mal davonkommen. Er hat inzwischen den türkischen Pass erworben, und die Türkei liefert keine eigenen Staatsbürger aus.

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