Donnerstag, Dezember 26

Mit immer längeren Streiks hat die Lokführergewerkschaft GDL jedes Mass verloren. Gewerkschaftsboss Claus Weselsky betreibt genau die Gesprächsverweigerung, die er der Deutschen Bahn vorwirft.

Sie lesen einen Auszug aus dem werktäglichen Newsletter «Der andere Blick», heute von René Höltschi, Wirtschaftskorrespondent der NZZ in Berlin. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.

In der laufenden Tarifrunde habe die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) nur 14 Stunden mit ihr verhandelt, aber bereits 120 Stunden gestreikt, hat die Deutsche Bahn (DB) letzte Woche vorgerechnet. Nun steht sie vor dem vierten Streik in dieser Runde. Er wurde kurzfristig angekündigt und soll von Mittwochmorgen (Güterverkehr: Dienstagabend) bis Montagabend dauern. Mit einer geplanten Dauer von sechs Tagen wäre er der bisher längste Bahnstreik in der Bundesrepublik.

Streitpunkt Arbeitszeit

Schon im November hatte der GDL-Chef Claus Weselsky die Verhandlungen nach nur zwei Treffen für gescheitert erklärt. Dabei hat die Bahn bereits bei der ersten Sitzung ein Verhandlungsangebot gemacht und dieses seither nachgebessert.

Ihr jüngstes Angebot sieht eine Lohnerhöhung von bis zu 13 Prozent in drei Schritten vor. Beim letzten, für den 1. Januar 2026 vorgesehenen Schritt sollen Lokführer und Zugspersonal die Wahl haben: Entweder erhalten sie auch die letzte der drei Lohnerhöhungen, ein Plus von 2,7 Prozent, oder sie reduzieren ihre Wochenarbeitszeit von 38 auf 37 Stunden bei gleichbleibendem Gehalt. Die Option der Arbeitszeitverkürzung stünde allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Bahn genügend Personal hat. Hinzu käme eine einmalige Inflationsprämie.

Das trifft zwar die Kernforderung der GDL nach einer Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich noch immer nicht. Aber als Ausgangsbasis und gemessen an Abschlüssen anderer Branchen kann sich das Angebot durchaus sehen lassen. Gleichwohl will Weselsky erklärtermassen erst an den Verhandlungstisch zurückkehren, wenn die DB über alle seine Forderungen zu verhandeln bereit sei.

Streiken vor Reden

Das grenzt an Erpressung. Tarifrunden sind Verhandlungen, keine Diktate der einen oder der anderen Seite. Das Streikrecht gehört dazu, aber Streiks sollten das letzte, nicht das erste Mittel sein. Wie soll je ein Kompromiss zustande kommen, wenn man nicht miteinander redet? Und wenn die DB tatsächlich nur «Scheinangebote» vorlegen sollte, wie die GDL behauptet: Wieso greift Weselsky nicht zum bewährten Instrument der Schlichtung unter Beizug externer Vermittler? Stattdessen hat er schon vor Beginn dieser Runde in derart unversöhnlichen Worten mit Streiks gedroht, dass der Verdacht naheliegt, er habe es von Anfang an auf Eskalation angelegt.

Es ist zudem ein Erpressungsversuch durch eine Minderheit. Denn zum Hintergrund gehört der Konkurrenzkampf zwischen der GDL und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) um Mitglieder. Die EVG hat sich bereits letzten Sommer mit der Bahn geeinigt. Weil sie viel mehr Mitglieder hat als die GDL, kommt ihr Tarifvertrag laut DB-Angaben für rund 180 000 DB-Beschäftigte zur Anwendung, während die Verträge der GDL nur für 10 000 Mitarbeiter in 18 der 300 Betriebe der DB gelten.

Ruf nach Gesetz

Weselsky scheint vor seinem anstehenden altersbedingten Abgang ohne Rücksicht auf Verluste beweisen zu wollen, dass er der härteste Hund am Platz ist und mehr herausholen kann als die EVG. Leidtragende sind Millionen unbeteiligte Pendler und Reisende sowie die deutsche Wirtschaft, deren Lieferketten abermals gestört werden.

Weselsky provoziert mit seinem kompromisslosen Kurs, dass wieder einmal über eine gesetzliche Regelung des bisher nur aus dem Grundgesetz abgeleiteten Streikrechts nachgedacht wird. So sagte Gitta Connemann, eine Bundestagsabgeordnete der oppositionellen CDU, am Dienstag im Deutschlandfunk, ein künftiges Streikrecht müsse bei kritischer Infrastruktur wie der Bahn zwingend ein Schlichtungsverfahren vor einem Arbeitskampf beinhalten. Nötig seien zudem ein Notdienst, ein Streikvorlauf und ein Streikverbot an Feiertagen.

Sollte das Beispiel von Weselsky Schule machen, wären solche Vorschriften bedenkenswert. Besser wäre es, die Gewerkschaften würden aus eigenem Interesse an einer funktionierenden Sozialpartnerschaft Mässigung walten lassen.

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