Donnerstag, Februar 6

Porträt eines Zurückhaltenden.

Martin Pfister liess sich Zeit. Nachdem er am Montag, im letzten Moment, seine Kandidatur für den Bundesrat bekanntgegeben hatte, war er tagelang nicht erreichbar. Erst an diesem Donnerstagmorgen stellt er sich in einer historischen Scheune in Baar dem Land vor, das er künftig regieren will.

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Was er in dieser Zeit gemacht habe, wird er von den Medienleuten gefragt, die vor ihm eine Wand aus Live-Kameras aufgebaut haben. Pfister überlegt kurz, dann sagt er: «Es gehört dazu, sich die Zeit zu nehmen, um gut vorbereitet zu sein.»

Pfister ist ein grosser Mann, an dem nichts schnell aussieht. Die Nervosität führt eher dazu, dass er seine Statements verlangsamt. Auf Französisch quält er sich teilweise durch die Sätze, findet das richtige Wort nicht – aber er wird nicht hektisch, er wartet einfach, bis ihm etwas einfällt. Sein Amt als Regierungsrat des Kantons Zug, das er seit dem Jahr 2016 ausübt, verstehe er als «unaufgeregtes und rationales Handwerk».

Manchmal spricht er wie ein Unbeteiligter über sich selbst: «Häufig war vom grossen Unbekannten die Rede. Ich bin zwar gross gewachsen und kaum zu übersehen, aber über die Kantonsgrenze hinaus nicht so bekannt.» Er spricht über die «schnelle und volatile» Welt, aber er würde sich, sagt er, dafür einsetzen, dass der Bundesrat «besonnen» für die Schweiz einstünde.

Es ist ein Gegenauftritt zu der zackigen Büezer-und-Macher-Machtdemonstration, die der andere Mitte-Bundesratskandidat Markus Ritter vor wenigen Tagen in St. Gallen aufgeführt hat. Den daueroffensiven Ritter, der sich in unzähligen Interviews bereits ins Amt hineingeredet hat, kontrastiert er mit einem sehr defensiven Auftritt.

Danach gefragt, was sein bestes Argument für den Bundesrat sei, sagt er: «Meine Erfahrung ist eine völlig andere, meine Herkunft und meine Persönlichkeit auch. Das ermöglicht dem Parlament eine Auswahl.» Er betont nicht eigene Stärken, sondern seinen Dienst an der Sache.

Wenn Markus Ritter der Kandidat des Frühaufstehens und des «Vollturbos» ist, dann ist Pfister der Kandidat der Nachdenklichen, des Erstmalabwartens. Ritter vertritt die ländliche Bauernschweiz. Er sagte jüngst, im Bundesrat müsse man 60, 70, 80 Stunden pro Woche arbeiten. Pfister vertritt die urbane Akademikerschweiz. Er sagt, natürlich müsse man viel arbeiten, aber «ich sage immer, ein Regierungsrat muss immer auch noch ein Buch lesen können».

Und so wie er sich an diesem Morgen in Baar präsentiert, erscheint er schon in den Erzählungen derjenigen, die ihn von früher kennen.

Pfadiname Hecht

Weil Martin Pfister, 61, schon als kleiner Bub gross gewachsen war, tauften sie ihn bei der Pfadi Baar auf den Namen Hecht. Es heisst, Pfister habe schon damals immer zum ganzen Fähnli geschaut. Als Jugendlicher leitete er ein Lager auf der Schwägalp mit achtzig Kindern. Als andere Leiter noch pubertierten und mit sich selbst beschäftigt waren, sorgte er sich um die Kinder, die das Heimweh plagte.

In den 1990er Jahren hat Pfister als Historiker am Lehrstuhl von Professor Urs Altermatt, dem Erfinder des Bundesratslexikons, gearbeitet. Altermatt erinnert sich an ihn als «sehr zurückhaltend, sehr ausgleichend, sehr zuverlässig». Wenn an der Universität Freiburg eine grosse Veranstaltung anstand und Altermatt einen «big shot» aus der internationalen Diplomatie erwartete, dann setzte er Pfister als Adjutanten ein: «Er blieb immer ruhig, war schon damals ein konzilianter Typ und konnte mit wildfremden Leuten gut umgehen.»

An der Universität faszinierte Pfister besonders das Leben des Zuger Langzeit-Bundesrats Philipp Etter. Altermatt legte seinem Assistenten deshalb eine Etter-Dissertation nahe. Er sagt: «Martin Pfister hätte zum Etter-Experten schlechthin werden können.» Doch Pfister lehnte ab und sagte, er müsse raus aus dem Universitätsmilieu und arbeiten.

Am Donnerstag bei seiner Pressekonferenz leuchtet Pfister, als er davon erzählt, wie er als Historiker in den Akten des früheren Bundesrats Etter «recht nah an den Alltag eines Bundesrats» herangekommen sei. Inzwischen bereitet er sich selbst auf den möglichen Alltag als Bundesrat vor.

Inkarnation des Kollegialitätsprinzips

Die politische Karriere von Martin Pfister begann im Jahr 2006 mit seiner Wahl in den Kantonsrat. Später wurde er Fraktionspräsident und 2015 schliesslich Gesundheitsdirektor. Wer mit Pfister in Zug politisch zu tun hatte, lobt seine menschlichen Qualitäten. Regierungsräte beschreiben ihn als «sehr kollegial», politische Gegner als «sachlichen Diskussionspartner». Es klingt, als sei Pfister die Inkarnation des Kollegialitätsprinzips.

Pfister sei eben ein «stiller Schaffer», «von vornherein kompromissbereit». Andere sehen ihn «vielleicht als Schnelldenker», aber nicht als «Schnellhandler». Manche in Zug sagen, niemand verkörpere die Mitte besser als der Zögerer und Konsenspolitiker Pfister. Es frage sich aber, ob Pfister das richtige Profil für das VBS habe. In Zug, so heisst es, gehe man «humaner» miteinander um als im «Haifischbecken Bundeshaus».

Selbst einige Vertreter der Mitte glauben, die Partei habe Pfister gebeten zu kandidieren, und dieser habe grossen Respekt vor der Kampagne. Andere sagen, man habe ihm zugesichert, dass er nicht verheizt werde und in der Bundesversammlung auch Unterstützung erhalte. So als hoffte man in der Partei, Pfister nehme den anderen die Verantwortung ab, wie damals in der Pfadi.

Sicher ist: Im Fall seiner Wahl muss Pfister mit dem VBS ein Problemdepartement übernehmen und in Zug vieles opfern. Hier ist er unumstritten und hat bisher keine politischen Attacken abwehren müssen. Bei den vergangenen Wahlen erzielte er das beste Resultat aller Regierungsräte. Hier ist er, anders als in Bern, sehr etabliert.

Pfister wohnt mit seiner Familie in Allenwinden, einem Ortsteil von Baar. Es ist das Dorf, in dem er aufgewachsen ist. Jedes Jahr an der Fasnacht zieht Pfister mit seiner kleinen Guggenmusik durch die Beizen des Kantons und spielt Posaune. Und jedes Jahr an Auffahrt pilgert er von dort gemeinsam mit Pfarreimitgliedern und seiner Familie nach Einsiedeln und nimmt an der Landeswallfahrt des Standes Zug teil.

Diese Wallfahrt ist im Kanton ein Grossereignis, eine Mischung aus katholischer Volksfrömmigkeit, Frühlingsspaziergang und politischem Schaulaufen. Noch immer nimmt praktisch die gesamte Classe politique des Kantons an der Wallfahrt teil. Die meisten Politiker fahren allerdings mit dem Auto nach Einsiedeln und sparen sich den Fussmarsch. Dem «Salve Regina» der Mönche lauschen sie in Schlips und Schale.

Martin Pfister kommt jeweils zu Fuss, in Wanderschuhen.

Er hat keine Zeit

In Zug gilt Pfister nicht nur gesellschaftlich als Mann der Mitte, sondern auch politisch als «klassischer Mitte-Mann». Wer ihn kritisch sieht, meint: einer, der so flexibel ist, dass er sich nach der Mehrheit richtet. Wer ihn positiv sieht, meint: einer, der so flexibel ist, dass er Mehrheiten ermöglicht.

Sein früherer Professor Urs Altermatt schätzt ihn als klassischen Christlichdemokraten ein: wertkonservativ, aber sowohl sozialen Problemen wie auch internationalen Institutionen gegenüber offen eingestellt. «Er ist eine absolute Alternative zu Ritter.»

An seiner Pressekonferenz in Baar hält Pfister sein politisches Profil in der Schwebe: Zwar betont er, aus einem finanzpolitischen Geberkanton zu kommen. Um gleichzeitig zu sagen, das Zuger Modell lasse sich nicht auf die Schweiz übertragen. Ein starker Kanton, erwähnt er mehrfach, müsse auch ein sozialer Kanton sein. Zwar sagt er, das bilaterale Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union müsse ein bilaterales bleiben – aber was das genau bedeutet und wie er die neu verhandelten Verträge sieht, macht er noch von einem genauen Aktenstudium abhängig. Zwar sagt er, die Probleme der Armee seien ihm aus den Medien bekannt, aber er müsse sich erst noch ein genaueres Bild machen. Und als er gefragt wird, wie er zu Waffenlieferungen in die Ukraine steht, zieht er den Joker und sagt nichts. Er müsse zuerst die Akten studieren.

Von Markus Ritter will er sich nicht abgrenzen und versucht es dann doch: mit seinem Habitus. Pfister wird allein deshalb viele Stimmen machen, weil er nicht Ritter ist.

Ritter ist im Parlament bekannt, aber auch als polarisierender Bauernlobbyist. Mit seinen offensiv-selbstbewussten Auftritten riskiert er immer auch, sich selber zu schlagen. Pfister ist im Parlament unbekannt, und sein Auftritt ist bis jetzt defensiv-demütig. Ob er in den Bundesratswahlen vom 12. März eine Chance hat, hängt davon ab, ob er offensiv genug erklärt, wieso er gewählt werden soll – und doch zurückhaltend genug bleibt, um noch eine Alternative zu Ritter zu sein.

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