Montag, September 30

Die Verwerfungen an den Aktienbörsen lassen auch die Kryptomärkte abstürzen. Mittlerweile sollte auch der Letzte verstanden haben, dass Bitcoin kein Hedge gegen Marktturbulenzen ist – wie dies Gold zugeschrieben wird.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Die Börsen haben in den Panikmodus geschaltet. Ursprung der Nervosität ist Japan: Der Nikkei 225 hat in den letzten drei Handelstagen 20% an Wert eingebüsst, der Kursverfall am heutigen Montag von 12,4% dürfte als «Black Monday» in die Börsengeschichte des Landes eingehen. Auch die europäischen und die US-amerikanischen Börsen eröffnen rot.

Herbe Verluste erleidet auch der Kryptomarkt. Bitcoin büsste in den letzten 24 Stunden rund 16% ein, die Krypto-Leitwährung unterschritt vorübergehend die Marke von 50’000 $, nachdem sie vor einer Woche noch bei knapp 70’000 $ notierte.

Noch heftiger erwischt es Ether. Die zweitgrösste Cyberdevise büsst gar 23% ein, womit auf Jahressicht die gesamten Kursgewinne wieder verpufft sind. Wie üblich bei solchen Sell-offs fallen die Verluste bei den Altcoins – so werden gemeinhin alle Kryptowerte neben dem Platzhirsch Bitcoin genannt – deutlicher aus. Solana fällt um knapp 20%, ebenso andere Ether-Konkurrenten wie Avalanche oder Cardano.

Bitcoin fällt, weil die Börse fällt

Erneut wundere ich mich über die Hinweise einiger Marktteilnehmer – teils überrascht, teils weniger überrascht –, dass sich Krypto und allen voran Bitcoin nicht dem allgemeinen Ausverkauf an den Börsen entziehen kann.

Dabei sind die Gründe für den momentanen Bitcoin-Absturz mehrheitlich dieselben, die die Aktienmärkte korrigieren lassen: Schlechte Konjunkturdaten in den USA, teilweise enttäuschende Ergebnisse von Technologiekonzernen und die Leitzinserhöhung der Bank of Japan haben das Sentiment von «sorglos» in Richtung «Angst» drehen lassen.

Für Kryptowerte kommt belastend hinzu, dass gemäss Daten von Coinglass allein in den vergangenen 24 Stunden mehr als 1 Mrd. $ an US-Long-Positionen liquidiert wurden. Die sich dadurch verstärkenden Liquidierungskaskaden dürften zusätzlichen Druck im Kryptomarkt ausgelöst haben. Auch dass ein Sieg des plötzlich zum Kryptofreund mutierten US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump nach der Nominierung von Kamala Harris als Kandidatin der Demokraten nun nicht mehr als sicher gilt, belastete Bitcoin bereits vor dem heutigen Abverkauf.

Es herrscht ein falsches Verständnis über Bitcoin

Trotzdem: Der Kurssturz von heute ist eine Folge der allgemeinen Unsicherheit an den Märkten. Warum herrscht aber noch immer das Idealbild von Bitcoin als stabiler Anker in stürmischen Phasen, der losgelöst von den Börsen nach seinen eigenen Regeln spielt?

Schuld an dem in meinen Augen falschen Verständnis darüber, was Bitcoin in einem Portfoliokontext leisten soll, ist in erster Linie die Kryptoszene selbst, aber auch die traditionelle Finanzwelt.

Propagierten zu Beginn nur sogenannte Bitcoin-Maximalisten – also Krypto-Verfechter, die nur Bitcoin als einziges Krypto-Asset akzeptieren – die grösste Kryptowährung als digitales Gold, wird dieser Begriff mittlerweile auch ausserhalb der Branche inflationär verwendet. Selbst Larry Fink, CEO des weltgrössten Vermögensverwalters BlackRock und damit Inbegriff der traditionellen Finanzwelt, stimmt in diesem Kanon ein – zuletzt im Interview mit CNBC.

BlackRock CEO Larry Fink: I believe bitcoin is a legit financial instrument

Bitcoin ist kein digitales Gold

Das Problem: Begriffe wie digitales Gold transportieren ein falsches Bild von Bitcoin. Es suggeriert, dass die Kryptowährung vor Verlusten schützt, wenn es an den Börsen stürmisch wird. Dass dies seit Jahren nicht der Fall ist, müsste mittlerweile auch dem Letzten klar geworden sein.

Zwar kann Bitcoin in dem Sinne als digitales Gold bezeichnet werden, als dass es ein Vermögenswert ist, der nicht von Regierungen kontrolliert wird – wie eben Gold. Das ändert jedoch nichts daran, dass Bitcoin ein Risk-on-Asset ist. Bitcoin fällt, wenn am Markt Unsicherheit herrscht, und steigt, wenn Marktteilnehmer bereit sind, höhere Risiken einzugehen. Dass Bitcoin und Ether mittlerweile dank der US-Spot-ETF an Wallstreet angekommen sind, dürfte die Korrelation zum Aktienmarkt noch einmal verstärken.

Dass dabei die Ausschläge sowohl nach oben als auch nach unten deutlich stärker ausfallen als am Aktienmarkt, ist ebenfalls kein neues Phänomen. Bitcoin notiert mit knapp 51’000 $ rund 30% unter dem Allzeithoch von 73’000 $ aus dem vergangenen März. Wenn man die Historie von Bitcoin betrachtet, ist ein solcher Drawdown nichts Ungewöhnliches – auch nicht in einem Bullenmarkt.

Selbst im Krypto-Hype-Sommer 2021 brach der Kurs von 65’000 auf unter 29’000 $ ein – anschliessend setzte Bitcoin die Rally fort und stieg noch im selben Jahr auf ein neues Allzeithoch. Maximale Kursverluste seit dem letzten Allzeithoch von mindestens 60% hat Bitcoin seit 2019 drei Mal erlebt, einen Einbruch von über 50% noch häufiger.

Dabei möchte ich den Absturz am Kryptomarkt nicht kleinreden. Der Tagesverlust von Bitcoin an diesem Montag ist der grösste seit dem 9. November 2022, als die Pleite der Krypto-Börse FTX ein Beben in der Kryptobranche auslöste. Und auch wenn der Crash vor zwei Jahren im Nachhinein den Tiefpunkt der damaligen Korrektur markieren sollte, sagt dies nichts darüber aus, wie sich Bitcoin in den nächsten Tagen, Wochen oder Monaten entwickeln wird.

Trotz der Verwerfungen am Kryptomarkt bleibt das langfristige Chancen-Risiko-Verhältnis eines kleinen Portfolioanteils in Bitcoin überaus attraktiv. Anleger dürfen dabei aber nicht vergessen, dass Bitcoin ein Risk-on-Asset bleibt, das nicht die Rolle eines Absicherungsinstruments gegen Wirtschaftskrisen spielen kann, wie es etwa Gold tut.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Henning Hölder

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