Dienstag, November 5

In seinen Beiträgen informiert der Kanton über die beste Velokleidung für den Winter und lässt Kaderleute Loblieder singen.

Anna und Lukas sind Journalisten bei einer Zürcher Regionalzeitung. Ihre Storys sind brisant: verschwundene Fledermäuse, beschädigte Mobilfunkantennen, radioaktive Gase.

«Journalismus ist so stressig», sagt Lukas. «Aber wenigstens gibt es spannende Geschichten. Das hätte ich nicht gedacht, bevor ich in den Regionaljournalismus gekommen bin.»

Tatsächlich im Journalismus tätig sind Lukas und Anna nicht. Sie sind fiktive Figuren, Protagonisten in einem Podcast des Amts für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich. Die Reihe heisst «Uf de Spur – de Umweltkrimi vo Züri» und umfasst 4 Folgen.

Gekostet hat die aufwendig produzierte Show 40 000 Franken, pro Folge also 10 000 Franken. Weil der Podcast noch ganz neu ist, liegen noch keine aussagekräftigen Hörerzahlen vor.

36 000 Franken Kosten, 8500 Hörer

«Wir wollen ein neues Format ausprobieren, um auch jüngere Personen anzusprechen», sagt Katharina Weber von der Zürcher Baudirektion. Es gehe darum, auf Umweltprobleme aufmerksam zu machen, die weniger bekannt seien. 3 der 4 Folgen sind deshalb dem Thema Strahlung gewidmet.

Die Baudirektion ist nicht die einzige Abteilung des Kantons, die PR für die Ohren verbreitet. Insgesamt gibt es acht kantonale Podcast-Reihen.

Die grösste Anbieterin ist die Direktion der Justiz und des Inneren. Von ihr stammt zum Beispiel «Auf Bewährung – Leben mit Gefängnis». Dabei handelt es sich um Interviews mit Fachpersonen, in der Regel kantonale Angestellte. Sie dürfen 20 Minuten lang erklären, wie wichtig und spannend ihre Arbeit ist.

«Auf Bewährung» ist von der gleichen Winterthurer Firma produziert worden wie die Umweltkrimis der Baudirektion. Für 8 Folgen wurden externe Kosten von 36 000 Franken fällig. Auch Zahlen zu den Hörern liegen vor: Auf die PR-Tour ins Gefängnis mitgegangen sind rund 8500 Personen.

300 Downloads pro Folge

Nicht alle kantonalen Podcasts sind so teuer. Das Staatsarchiv, auch es gehört funktional zur Justizdirektion, begann im Frühling 2023 mit der «Festplatte», erschienen sind 2 Staffeln mit jeweils 6 Folgen. Produziert werden die Podcasts mit eigenen Mitarbeitern und externen Spezialisten, die honorarfrei arbeiten.

Mit seinem Podcast greift das Staatsarchiv Geschichten auf, die einen latent aktuellen Bezug aufweisen. Als am Sechseläuten 2023 erstmals Frauen als Gäste einer Zunft mitmarschieren durften, behandelte eine Folge die Frage, welche Rolle Frauen früher in den Zünften gespielt haben.

Ein Jahr später, als eine Messerattacke auf einen orthodoxen Juden in Zürich für internationale Schlagzeilen sorgte, nahm das Staatsarchiv den Angriff zum Anlass, um über das jüdische Leben im Kanton und die Verfolgung von Juden in früheren Zeiten eine Ausgabe zu gestalten.

Als Kosten weist das Staatsarchiv nur die Miete der Hosting-Plattform für den Podcast aus, das sind 17 US-Dollar pro Monat. Diese Ausgaben werden zudem mit dem Statistischen Amt geteilt, das ebenfalls einen internen Podcast produziert. Aufgezeichnet werden die Folgen in einem Aufnahmeraum des Kantons.

Der «Festplatte»-Podcast wurde bislang rund 2500 Mal heruntergeladen, wobei eine Folge über fürsorgerische Zwangsmassnahmen am besten gelaufen sei, sagt Benjamin Tommer, der Sprecher der Justizdirektion. Vom Statistik-Podcast wurden bis jetzt 23 Folgen veröffentlicht, mit durchschnittlich 300 Downloads pro Folge.

Ebenfalls mit internen Mitteln produziert wird ein Velo-Podcast der Fachstelle Veloverkehr. Diese ist bei der Volkswirtschaftsdirektion angesiedelt. Für die Aufnahme werde auf vorhandenes Equipment gesetzt, sagt der Mediensprecher Nico Menzato. Zudem würden Themen aufgegriffen, die bereits in einem Online-Magazin des Kantons angesprochen worden seien. Bis jetzt gibt es 14 Folgen mit 2300 Downloads.

Eine Pflicht zur Kommunikation

Die zentrale Frage bei diesem reichhaltigen Angebot ist, warum der Kanton überhaupt Podcasts produziert. Ist das wirklich eine Staatsaufgabe?

Das Statistische Amt begründet seinen Podcast mit einem Auftrag: Das Statistikgesetz schreibe vor, dass die Bevölkerung informiert werden müsse. Dafür nutze man verschiedene Kanäle, wobei man sich an den Gewohnheiten der Bevölkerung orientiere. Rund ein Drittel der Schweizer höre Podcasts, bei Menschen unter 25 seien es sogar 60 Prozent.

Die Justizdirektion betont, dass die Bundesverfassung und kantonale Regelungen die amtliche Kommunikation zur Pflicht erklärt hätten. «Wir sind dabei immer wieder auf der Suche nach neuen Ideen, Technologien und Strategien», sagt der Mediensprecher Tommer. Podcasts seien eine gute Ergänzung zu anderen Kanälen.

Die Volkswirtschaftsdirektion sagt, ihr Velo-Podcast sei eine Massnahme im Rahmen des vom Parlament beschlossenen Veloförderprogramms. Die Wissensvermittlung und die Kommunikation seien wichtige Teile dieses Programms.

Doch gerade mit diesem Velo-Podcast und dem zugehörigen Online-Magazin betritt der Kanton ein schwieriges Terrain. Denn es geht hier nicht wie beim Gefängnis-Podcast, bei den Serien aus dem Staatsarchiv oder aus dem Amt für Statistik darum, ein Licht auf wenig bekannte Facetten des staatlichen Wirkens zu werfen.

Stattdessen handelt es sich bei den kantonalen Velo-Publikationen und Podcast-Beiträgen um ein Lifestyle-Produkt, mit Tipps zur «Kleiderstrategie für kalte Wintertage» oder einem Überblick über die verschiedenen Typen von Elektrovelos. Eine Podcast-Folge geht auf technische Finessen ein, etwa ob Scheiben- oder Felgenbremsen besser seien.

Es sind Servicegeschichten, wie man sie in zahlreichen privaten Velomagazinen und auf Websites und in Dutzenden von Podcasts auch schon findet. Die Volkswirtschaftsdirektion macht Velo-Journalismus in einem Markt, der mit Velo-Journalismus schon gesättigt ist.

Auch die SP kritisiert die Kosten

In der Zürcher Politik kommen die kantonalen Podcasts – mit gewissen Vorbehalten – gut an. «Als Erklärstücke mit hohem Nutzwert können Verwaltungs-Podcasts durchaus Sinn ergeben – sofern sie eine grosse Reichweite erzielen und damit gedruckte Informationen ersetzen», sagt Filippo Leutenegger, der Präsident der kantonalen FDP.

Auf Podcasts mit geringer Reichweite sollte aber verzichtet werden, sagt Leutenegger. «Solche Ausgaben stehen in einem schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnis und sind somit auch nicht zu rechtfertigen.»

Der SP-Kantonsrat Rafael Mörgeli (Stäfa) sagt, er als Historiker finde den Podcast des Staatsarchivs super. «Er ist wirklich vorbildlich», sagt Mörgeli. Podcasts seien eine gute Art, die Arbeit der Verwaltung in die Bevölkerung zu tragen.

Ein Fragezeichen setzt Mörgeli aber bei den Kosten für die aufwendigen externen Produktionen. «10 000 Franken pro Folge finde ich klar zu viel», sagt er. Er hat auch gleich einen Vorschlag, wie die Kosten reduziert werden könnten: Der Kanton könne junge Leute engagieren. «Die muss man fair, aber nicht überrissen entlöhnen.»

Florian Heer ist ebenfalls Kantonsrat (Grüne, Winterthur). «Ich finde es gut, dass der Kanton andere Wege in der Kommunikation sucht und neue Medien ausprobiert», sagt er.

Ausserdem seien die Podcasts des Kantons zeitlos. So gesehen seien auch die Produktionskosten vertretbar, zumal ja längstens nicht alle Podcasts teuer seien. Und 8500 Hörerinnen und Hörer wie beim Gefängnis-Podcast seien respektabel, wenn man bedenke, dass es sich um Öffentlichkeitsarbeit des Kantons handle.

Ähnlich argumentiert die GLP-Kantonsrätin Christa Stünzi aus Horgen. «Wird mit einem Podcast in einem Bereich, in welchem der Kanton eine Verpflichtung zur Aufklärung hat, ein grosses Publikum erreicht, kann eine Folge auch etwas mehr kosten», sagt sie. Dennoch erwarte sie einen nachhaltigen Umgang mit den Steuergeldern. Teure Produktionen seien zu vermeiden.

Kritischer sieht es die SVP-Kantonsrätin und Kommunikationsfachfrau Anita Borer aus Uster. «Entscheidend ist, dass der Aufwand im Verhältnis zum Nutzen und zum Auftrag steht», sagt sie. Das ist aus ihrer Sicht gerade bei den teuren Podcasts nicht der Fall. Hier sei die Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit nicht gegeben. «Und für diese Ausgaben müssen letztlich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aufkommen», sagt Borer.

Und das werden sie weiterhin tun: Von der Gefängnis-Serie ist eine zweite Staffel in der Planung, und der Podcast über das Velo ist vor wenigen Tagen in die dritte Runde gestartet. Auch vom Statistik-Podcast werden monatlich neue Folgen veröffentlicht.

Für den 10 000-Franken-Podcast «Uf de Spur» sind hingegen keine weiteren Folgen geplant.

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