Mittwoch, Oktober 9

Die Asphaltierung einer Strasse ist eine stinkende Angelegenheit. Die Baubranche soll ihre Abhängigkeit von Bitumen verringern.
Das geht mit mehr Recycling oder mit pflanzlichen Asphaltzusätzen – Cashewschalen zum Beispiel.

Der Verkehr stockt. Es ist laut und riecht verbrannt. Schnell schliessen wir die Autofenster und schalten die Klimaanlage ein, während Arbeiter mit Schaufeln und Maschinen die gesperrte Spur neben uns sanieren.

Langsam rollen wir vorbei an einem LKW, der eine dampfende Asphaltmischung unter ohrenbetäubendem Lärm in ein Baufahrzeug kippt, und an Walzen, die den frischen Belag glätten. Endlich ist das Ende der Baustelle in Sicht. Weiter geht die Fahrt auf einer neuen, tiefschwarzen Strasse.

Ihre Farbe verdankt die Strasse dem Klebstoff, der die Gesteinskörner im Asphalt zusammenhält: Bitumen. Die schwarze Masse, ursprünglich ein Abfallprodukt aus der Erdölindustrie, bleibt übrig nach der Gewinnung von Benzin, Diesel und anderen fossilen Energieträgern. Längst hat sich aus dem einstigen Rückstand ein Produkt entwickelt, das im Strassenbau unabdingbar ist.

Doch im Zuge des Abschieds von der Ressource Erdöl drängt sich die Frage auf: Womit sollen zukünftig Schlaglöcher geflickt und neue Verkehrswege gebaut werden? Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: Die eine Option wäre ein von der Erdölindustrie unabhängiges Ersatzmaterial. Die Suche danach gestaltet sich schwierig. Die andere Antwort lautet Recycling.

Bitumen lässt sich mehrfach verwenden

Vor allem in Ländern wie der Schweiz, wo Strassen eher saniert als komplett neu gebaut würden, biete sich Recycling an, meint der Asphaltforscher Martins Zaumanis von der Empa in Dübendorf: «Wir haben viel Asphalt auf unseren Strassen, da steckt Bitumen drin.» Und zwar rund 50 Kilogramm in einer Tonne Asphalt. Es erleichtert die Wiederverwendung, dass sich das schwarze Bindemittel bei Temperaturen über 150 Grad Celsius wieder verflüssigt – anders als Zement in Betonstrassen.

Es gibt aber ein Problem: Bitumen, ein Cocktail aus Tausenden verschiedenen Substanzen, altert im Lauf der Zeit. Einige Bestandteile verflüchtigen sich, vor allem bei hochsommerlichen Temperaturen. Andere verändern sich chemisch unter dem Einfluss von Luft und Licht. Infolgedessen wird Bitumen spröde und hält die Steinchen nicht mehr so gut zusammen.

Dem Abbruchmaterial aus alten Strassen muss daher entweder frisches Bitumen zugegeben werden oder ein Verjüngungsmittel, das die ursprüngliche Klebkraft wiederherstellt. Für diesen Zweck sind bereits etliche Produkte auf dem Markt, darunter auch einige aus erneuerbaren Rohstoffen.

Die Empa-Forscher wollen mit solchen Zusätzen die Recylingquote im Strassenbau steigern. In den unteren Asphaltschichten einer Strasse ist die Zugabe von Recyclingmaterial zwar schon üblich. In der Fahrbahndecke werde aber meist noch darauf verzichtet, erklärt Zaumanis.

Tests erreichten einen Recyclinganteil von bis zu 85 Prozent

In Uster bei Zürich haben Zaumanis und seine Kollegen vor zwei Jahren eine Teststrecke gebaut, deren Decke aus fast einem Drittel Alt-Asphalt besteht. In einem Abschnitt auf dem Lukmanierpass, der Graubünden mit dem Tessin verbindet, haben sie den Recyclinganteil in den unteren Schichten sogar auf bis zu 85 Prozent erhöht. Dabei wurde in einigen Bereichen als Verjüngungsmittel Tallöl eingesetzt, ein Nebenprodukt der Papier- und Zellstoffindustrie.

Die Strasse in Uster ist stark befahren, der Lukmanierpass ist wegen der Höhenlage einer rauen Witterung ausgesetzt. Bis jetzt halte der Asphalt mit hohem Recyclinganteil aber ebenso gut, teilweise sogar besser als der konventionelle, sagt Zaumanis.

Die Lebensdauer von Strassen beeinflusse die CO2-Bilanz unserer Gesellschaft entscheidend, sagt der Chemiker Hinrich Grothe von der Technischen Universität Wien. Die Herstellung einer Tonne Asphalt setzt rund 50 Kilogramm CO2 frei, denn die Gewinnung von Bitumen und Gestein sowie das heisse Mischen der beiden Komponenten sind energieaufwendige Prozesse. Hinzu kommen Emissionen beim Bau, aber auch bei der Instandhaltung von Verkehrswegen.

Mit der Zeit verändert sich das Bitumen chemisch

Grothe will genau verstehen, wie die Alterung von Bitumen zu dem Emissionen beiträgt. Mit einer Kombination aus spektroskopischen Methoden und mechanischen Tests erkennt er, wie sich die chemische Zusammensetzung des Bitumens im Lauf der Zeit verändert und wie das die Eigenschaften des Materials beeinflusst.

Sein Know-how bringt Grothe in das im Februar gestartete Projekt Nobit (kurz für «No Bitumen») ein, das die Volkswagenstiftung mit über
700 000 Euro fördert. Der Asphaltforscher Michael Wistuba von der Technischen Universität Braunschweig leitet das Projekt. Wistubas Team will voraussichtlich ab 2026 auf einer mindestens einen Kilometer langen Teststrecke verschiedene Asphalte einbauen, die nahezu vollständig aus der Substanz alter Strassen und pflanzenbasierten Zusätzen bestehen, bevorzugt auf einer Autobahn.

Das Ziel sei nicht die Herstellung eines bestimmten Ökoasphalts, betont Wistuba. Man entwerfe vielmehr Prüfmethoden und ein systematisches Vorgehen für die Entwicklung von Asphalten aus Recyclingmaterial. Wissenschafter der Ostschweizer Fachhochschule unterstützen das Vorhaben mit Berechnungen zur Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit.

Derzeit schauen sich die Nobit-Forscher den Markt für pflanzenbasierte Asphaltzusätze genauer an. Mehr als ein Dutzend Verjüngungsmittel untersucht Hinrich Grothe in seinem Labor: «Die meisten Hersteller sagen uns nicht, was genau in ihren Produkten steckt.» Die detaillierte Zutatenliste sei ihm aber auch nicht so wichtig. Er will vielmehr herausfinden, ob die Mittel altes Bitumen tatsächlich so aufpeppen, dass sich der angestrebte hohe Recyclinganteil realisieren lässt.

Pflanzliche Öle, pflanzliche Harze und ein Cashewprodukt

«Bei drei Produkten sind wir zuversichtlich», sagt Wistuba. Welche das sind, verrät er in dieser frühen Projektphase allerdings nicht. Auf der Prüfliste stehen unter anderem modifizierte Pflanzenöle des amerikanischen Agrarkonzerns Cargill, Zusätze aus pflanzlichen Harzen des amerikanischen Kunststoffherstellers Kraton und Mittel des niederländischen Unternehmens Ventraco, die aus einer ätzenden Flüssigkeit aus der Schale von Cashewkernen hergestellt werden.

Ventracos Cashewprodukt hat bereits in einem anderen Zusammenhang für Aufsehen gesorgt. Es steckt in einem Bitumen-Ersatz, den das deutsche Startup B2Square als «Biobitumen» anbietet. Die Technologie sei ausgereift, das «globale Ausrollen» könne starten, schrieb das «Manager Magazin» im Februar 2023. Der Firmengründer Frank Albrecht wurde in dem Artikel als Greentechie bezeichnet, der eine Revolution auf die Strasse bringen wolle.

Seit einem Jahr kooperiert Albrecht mit dem Baukonzern Strabag. Gemeinsam haben sie bis anhin erst zwei Pilotprojekte realisiert, einen Radweg und eine Zufahrt zu einer Asphaltmischanlage, beide in Deutschland. Da der Cashewextrakt allein nicht als Bindemittel für Strassen taugt, lohnt sich ein Blick auf die weiteren Zutaten. Sie stammen aus Naturasphalt, einem Gemisch aus Gestein und fossilem Bitumen, das sich in Millionen von Jahren aus Erdöl gebildet hat.

Woher die fossile Ressource kommt, bleibt ein Rätsel

Stutzig macht, dass Albrecht die Herkunft seiner fossilen Ressource nicht nennen will. Er rechnet lieber vor, dass sein Erzeugnis dem Klima helfe, weil es dank der Cashew-Zutat CO2 dauerhaft binde. Zweifel an dem Geschäftsmodell bleiben, zumal die Vorsilbe «Bio» nicht so recht zu dem Produkt passt.

Dass es für die Speicherung von CO2 in Strassen keine exotischen Cashewextrakte braucht, zeigen Ingenieure des Bau- und Verkehrsdepartements des Kantons Basel-Stadt und des Baustoffspezialisten Viatec. Sie mischen dem Asphalt Pflanzenkohle unter, ein Grillkohle-ähnliches Material, das der Basler Energie- und Wasserversorger IWB aus Grünschnitt bei 600 Grad Celsius unter Luftausschluss produziert.

Eine Tonne Pflanzenkohle-Asphaltmischung bindet umgerechnet 50 Kilogramm CO2. Es gehe aber nicht nur um den Klimaeffekt, sagt Michael Schweizer vom kantonalen Tiefbauamt, sondern auch darum, die Eigenschaften des Asphalts zu verbessern. So habe sich im Prüflabor gezeigt, dass die Pflanzenkohle-Asphaltmischung der Bildung von Spurrinnen besser widerstehe als herkömmlicher Asphalt.

Der klimafreundliche Asphalt wird seit zwei Jahren zu Testzwecken in Basel verbaut, sowohl in ruhigen Wohnvierteln als auch in Strassen mit viel LKW-Verkehr. Der Nachbarkanton Basel-Landschaft hat ebenfalls schon einen Pilotversuch gestartet.

Auch die Empa untersucht die Beimischung von Pflanzenkohle

Die Pflanzenkohle stecke bis anhin allerdings nur in den unteren Asphaltschichten, nicht in der Fahrbahndecke, erklärt Schweizer. Die tieferen Schichten sind dicker als die nur wenige Zentimeter dünne Fahrbahndecke – darum lässt sich dort mehr Pflanzenkohle hinzufügen. Ausserdem werden diese Schichten weniger stark belastet, sie sind daher toleranter gegenüber Rezepturänderungen.

Abzuwarten bleibt, wie die Pilotstrecken in einigen Jahren aussehen. Die Praxistests werden zeigen, ob und wie der Strassenbau das Klima zukünftig entlasten kann, statt die Erderwärmung weiter zu befeuern.

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