Mittwoch, Oktober 2

Tiktok, Netflix – Populärkultur aus China erreicht zunehmend die globalen Massen. Das weckt Sympathien.

Zehn Millionen Mal ging «Black Myth: Wukong» über den Verkaufstisch in den ersten drei Tagen nach seiner Veröffentlichung Ende August. Das Spiel der Firma Game Science mit Sitz in Shenzhen zieht Spieler auf der ganzen Welt in den Bann. An seinem besten Tag spielten es über 2,4 Millionen Menschen gleichzeitig auf der Gaming-Plattform Steam, ein Rekord in seiner Kategorie. Dort hat das Spiel überschwänglich positive Bewertungen.

Zum Spiel der Stunde zu werden, das hat noch kein Game made in China geschafft. Weshalb ist «Wukong» so beliebt?

Es hat für chinesische Verhältnisse ein riesiges Produktionsbudget von 70 Millionen Dollar, und das merkt man dem Design des Spiels auch an. Live-Spieler auf Youtube sagen, sie würden es mögen, dass es ein Action-Game sei, also ein zugängliches, schnelles und direktes Spiel mit gutem Storytelling. Das Ganze spielt im antiken China. Die Spieler tauchen ein in eine dreidimensionale Phantasiewelt, inspiriert vom chinesischen Literaturklassiker «Die Reise nach Westen» aus dem 16. Jahrhundert. Sie schlüpfen in die Rolle von Sun Wukong, dem listigen Affenkönig. In China kennt ihn jedes Kind.

Populärkultur aus China erobert die Welt

China ist im Westen nicht gerade für seine Pop-Kultur bekannt. Während Blockbuster aus den USA, K-Pop-Bands aus Südkorea und Animes aus Japan die Welt erobert haben, blieb es um Chinas Kulturindustrie bisher ziemlich still. China gilt als Wirtschaftswunder, als «Fabrik der Welt», und wird zunehmend als aggressive Grossmacht gesehen – aber lange fehlte es dem Riesenreich an Soft Power.

Soft Power ist die Attraktivität, die ein Land durch seine Kultur, seine politischen Werte und die Aussenpolitik ausstrahlt. Ein Land mit viel Soft Power findet leichter Partner für seine Ziele und kann seine Interessen durch Überzeugung statt Zwang durchsetzen.

Doch Chinas kulturelle Stärke wächst in jüngster Zeit nicht nur dank beliebten Videospielen. Tiktok, die Video-App mit eineinhalb Milliarden Nutzern weltweit, stammt ebenfalls aus China. Im Frühjahr gab die Netflix-Verfilmung der chinesischen Science-Fiction-Trilogie «Die drei Sonnen» zu reden. Die Romanreihe des Autors Liu Cixin, die bereits 2008 herausgekommen ist und zu deren Lesern berühmte Personen wie der frühere amerikanische Präsident Barack Obama zählen, thematisiert den Umgang der Menschheit mit Ausserirdischen. Laut Netflix schaffte es die Serie in 93 Ländern in die Liste der zehn am meisten angeschauten Serien überhaupt.

In China zensiert

In China selber wurde die Romantrilogie bereits mehrfach verfilmt. Aber die Version von Netflix ist zensiert – die ausführliche Darstellung der Kulturrevolution gleich zu Beginn der ersten Folge dürfte die Aufsichtsbehörden nervös gemach haben. Die Kulturrevolution hatte der Staatengründer Mao Zedong von 1966 bis 1976 durchgezogen, eine brutale Kampagne, in der politische Gegner, Akademiker oder kulturelle und historische Stätten zerstört wurden.

Auch das Spiel «Black Myth: Wukong» fällt in China unter Zensurregeln, Begriffe wie «Gespenst» oder «Alkohol» waren zeitweise gesperrt, wohl weil Übernatürliches und Hochprozentiges nicht ins Wertsystem der Kommunisten passen. Die Entwickler des Spiels riefen die internationalen Gamer dazu auf, in China heikle Themen wie Nacktheit, Covid oder Feminismus zu umgehen, wie das amerikanische Nachrichtenportal «Radio Free Asia» berichtet. Das weckt dieselbe Frage, die durch Tiktok schon länger im Raum steht: Versucht Chinas Regierung damit ihre Zensur und ihre Propaganda schleichend auf der ganzen Welt zu verbreiten?

Ungeachtet dessen kommt Populärkultur aus China immer besser an. Das hat auch das chinesische Aussenministerium begriffen. Sie kenne sich mit Videospielen nicht aus, sagte eine Sprecherin am 21. August, einen Tag nachdem «Wukong» mit durchschlagendem Erfolg auf den Markt gekommen war. «Aber der Name dieses Spiels deutet darauf hin, dass es von dem chinesischen Klassiker ‹Die Reise nach Westen› inspiriert ist. Ich denke, das spricht für die Anziehungskraft der chinesischen Kultur.»

Kein Land gewinnt so rasch an Soft Power

Chinas Soft Power wächst nachweislich. Brand Finance, ein Beratungsunternehmen mit Sitz in London, analysiert seit fünfzehn Jahren, wie Länder als Marken bei der Weltbevölkerung, bei Experten und Entscheidungsträgern ankommen. Im jährlichen Global-Soft-Power-Index der Firma ist China nach oben geklettert. Vor vier Jahren, mitten in der Pandemie, belegte es noch den achten Rang von 193. Im Index von 2024 liegt China auf dem dritten Rang hinter Grossbritannien und den USA. Brand Finance gründet das Ranking auf einer Umfrage bei 170 000 Teilnehmern aus über hundert Ländern.

«Im Nahen Osten, in Afrika und Lateinamerika wird Chinas Einfluss als weitaus positiver wahrgenommen als im Westen», schreibt Konrad Jagodzinski von Brand Finance per E-Mail.

Chinas rascher Aufstieg im Soft-Power-Ranking liege vor allem daran, dass China die zweitgrösste Wirtschaft der Welt sei. In Zeiten von Krieg und allgemein starker Unsicherheit seien zwei Faktoren in der Bewertung der Soft Power eines Landes entscheidend: die wirtschaftliche Stärke sowie weltweit beliebte Produkte und Marken. Das erkläre, so der Experte, weshalb die USA konstant vorne mit dabei seien, aber auch kleinere Länder – wie etwa die Schweiz, die 2024 auf Rang acht fungiert.

Des Weiteren wird China als innovative Technologiemacht und als reiche Kultur wahrgenommen. Als «freundlich» oder «spassig» bezeichneten hingegen die wenigsten Befragten China, da liegt das Land auf dem 122. Rang von 193. «China muss sich darauf konzentrieren, seine Beliebtheit zu steigern», sagt Jagodzinski. Das sei entscheidend für den Aufbau von Reputation – einem wesentlichen Bestandteil von Soft Power.

Der Staat macht’s langweilig

Black Myth: Wukong - Final Trailer | PS5 Games

Auch Präsenz in der globalen Pop-Kultur kann Sympathie wecken beim Publikum, meint Jagodzinski. Das ist mit dem Videospiel «Black Myth: Wukong» gelungen. Doch ob es China schaffen wird, zu einer «Kulturfabrik», wie es die USA oder Südkorea sind, zu werden, bleibt fraglich. Denn sobald der Staat seine Finger zu stark im Spiel hat, wird es langweilig. Die Kommunistische Partei Chinas fordert «positive Energie», Harmonie, und «korrekte» – kommunistische – Werte von den Kulturschaffenden. Das kommt weder bei den Chinesen gut an noch anderswo.

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