Mittwoch, Januar 15

Beim Schweizer Filmpreis konnten höchstens Hardcore-Fans des nationalen Kinos mitreden.

Die frappierendste Erkenntnis lieferte der Schweizer Filmpreis schon vor der Verleihung am Freitagabend: Der Schweizer Film verabschiedet sich aus der Öffentlichkeit. Er macht jetzt ohne Publikum weiter. Oder wie anders soll man folgenden Umstand interpretieren? Die fünf Filme, die in der Kategorie Bester Spielfilm nominiert waren, brachten es in den Kinos auf genau 19 087 Eintritte. Ja, zusammengerechnet. Genau, gesamtschweizerisch. Bei der Verleihung des Quartz in der Halle 622 Zürich Oerlikon wussten nur Hardcore-Fans des Schweizer Kinos, worum es eigentlich ging.

Dass SRF auf eine Live-Übertragung des Filmpreises verzichtete, vermittelt auch, wie wenig anschlussfähig das Schweizer Filmschaffen für die Allgemeinheit ist. «Blackbird Blackbird Blackberry», zum besten Schweizer Spielfilm 2024 gewählt, wurde von 1630 Kinozuschauern gesehen.

Der Liebesfilm über eine Georgierin, die mit 48 Jahren erste sexuelle Erfahrungen macht, lief allerdings erst in der Deutschschweiz. Vielleicht stösst die schweizerisch-georgische Koproduktion, die vergangenes Jahr immerhin in Cannes, in der Sektion «Quinzaine des cinéastes», ihre Uraufführung gefeiert hat, wenigstens in der Romandie und im Tessin auf Interesse.

«Die Anhörung» ist der beste Dokumentarfilm

Die nonbinäre Regieperson Naveriani setzte sich etwas überraschend gegen den Favoriten «Bisons» von Pierre Monnard («Platzspitzbaby») durch, vergleichsweise ein Publikumsfilm mit rund 5300 Zuschauern. Auch in den Kategorien bestes Drehbuch und beste Montage machte «Blackbird Blackbird Blackberry» das Rennen.

Dass man sich in der Schweiz eher auf Dokumentarisches verständigt, veranschaulicht der Gewinnerfilm in dieser Kategorie. «Die Anhörung» von Lisa Gerig stand beim Kinogänger etwas höher im Kurs: Der Film, der ein Reenactment von Asylverfahren versucht, erreichte knapp 12 000 Eintritte.

Nun werden bei Filmpreisen selten Kommerzproduktionen ausgezeichnet. Das ist beim Quartz nicht anders als bei den Oscars, wo eine «Barbie» abfällt. Der Schweizer Film hat auch eine andere Seite, wie zuvorderst «Bon Schuur Ticino» bewies. Peter Luisis Komödie kam in den Kinos auf 330 000 Besucher, ging allerdings beim Filmpreis leer aus. Er war nur für das Drehbuch nominiert. «Die Nachbarn von oben» (Regie: Sabine Boss) erreichte ordentliche 70 000 Eintritte; der «Bestatter»-Kinofilm spielte in derselben Liga.

Kulturpessimismus ist keine Lösung

Der Schweizer Film findet also doch statt. Ganz so öffentlichkeitsscheu ist er nicht. Nur ist das einheimische Publikum ausschliesslich für leichte bis seichte Unterhaltungsware zu gewinnen. Darüber muss man nicht zum Kulturpessimisten werden (aber man kann). Dass es kleine Filme schwer haben, ist klar. Und natürlich sollen die Naverianis in diesem Land sich nicht mit Blick auf die Breitenwirksamkeit verbiegen: Erfolge wie ihre Premiere in Cannes zeigen, dass durchaus Talent da ist.

Doch an den Kinokassen ist die Kluft zu gross. Es ist nicht wegzureden: Ohne «Bon Schuur Ticino» hätte die Schweizer Filmbranche faktisch Bankrott erklären müssen, «tut uns leid, uns will offensichtlich niemand, wir gehen jetzt erst einmal in Klausur».

Aber auch so stellt sich, so bitter es ist, die Frage, was noch im Kino funktioniert und was direkt ins Streaming muss. Denn die Kosten für eine Kinoauswertung eines kleinen bis mittelgrossen Films bewegen sich gerne im Bereich von 100 000 Franken. Bei Zuschauerzahlen in den erwähnten Grössenordnungen geht die Rechnung nicht auf. Machen die Verleiher einen schlechten Job? Weiss der Zuschauer nicht, was ihm entgeht? Der ernstzunehmende Schweizer Film muss sich etwas einfallen lassen: Auf Dauer kann er nicht aufs Publikum verzichten.

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