Der S&P 500 setzt ein Allzeithoch nach dem anderen. Nur wer unter die glänzende Indexoberfläche blickt, erkennt, dass die Ende März begonnene Korrektur noch nicht beendet ist. Gibt es Grund zur Sorge?
In meiner vorherigen Kolumne vom 21. März schrieb ich, dass es im laufenden Aufschwung viel Rendite kosten könnte, in der Hoffnung auf Korrekturen über längere Zeiträume unterinvestiert zu bleiben. Nur eine Woche später startete der S&P 500 in eine Korrektur, die allerdings sowohl zeitlich moderat (knapp drei Wochen) als auch preislich milde (weniger als 6%) ausfiel. Die Erholung folgte zügig, und seit Mitte Mai setzt der US-Leitindex recht fleissig neue Allzeithochs. Doch zwischen dem von wenigen Marktschwergewichten dominierten S&P 500 und dem breiten US-Aktienmarkt klaffen mitunter markante Lücken. Werfen wir einen Blick unter die Indexoberfläche:
Während der S&P 500 am 11. Juni bereits mehr als 2% über dem Hoch vom 28. März notiert, liegen zwei Drittel aller Indexaktien im breiten S&P 1500 Composite teils markant darunter. Die Median-Performance (inkl. Dividenden) beträgt -5% verglichen mit der nach Marktkapitalisierung gewichteten Kursentwicklung von +1,8% im breiten Index bzw. +2,3% im S&P 500.
Eine Differenz von 7 Prozentpunkten zwischen Index- und Median-Entwicklung ist eine Ansage und verdient eine nähere Betrachtung. Was treibt die Anleger um? Nach welchen Kriterien wählen sie ihre Aktien aus und welche Rückschlüsse in Bezug auf das aktuelle Chance-Risiko-Verhältnis am Markt sind angebracht?
Small, High Vola und Value werden gemieden
Im S&P 500 Index liegt die Median-Performance (28. März bis 11. Juni) über alle Indexaktien bei -3,4%. Im S&P Mid 400 (-5,3%) und im S&P Small 600 (-5,6%) fallen die Rücksetzer grösser aus. Bei der Einteilung nach historischer Volatilität fällt auf, dass das Quintil mit der geringsten Volatilität im Median nur 2,1% verloren hat, während die mittlere Volatilität mit -5,9% und die höchste mit -7,6% klar tiefer im Minus stehen. Die grössten Differenzen treten bei der Betrachtung nach typischen fundamentalen Faktoren auf (s. Abb.2). Die 300 Aktien mit den teuersten Kennziffern sind am dichtesten an der Nulllinie, während die 300 US-Aktien mit den günstigsten Bewertungskennziffern im Median noch fast 9% unter Wasser notieren.
In der Kombination bietet sich die Interpretation an, dass die Ende März begonnene Korrektur am US-Aktienmarkt wohl kaum als beendet gelten kann, wenn zwei Drittel aller Titel noch im Minus liegen, Small- und Mid-Caps eher gemieden werden und konjunkturell eher exponierte (häufig fundamental günstigere) Aktien markant schlechter abschneiden als ihre viermal so teuren Indexnachbarn.
Das Gesamtbild spricht eher für eine markante konjunkturelle Skepsis bei den Aktienanlegern. Vielleicht kennen Sie das Bonmot, der Aktienmarkt hätte sieben der letzten drei Rezessionen richtig vorhergesagt. Wenn es um das Thema Konjunktursorgen geht, schaue ich daher gern zusätzlich auf die Signale des Rentenmarktes und dort am besten auf die riskanteren Ecken.
High-Yields zeigen keine Konjunktursorgen
Wenn jemand eine schwache Konjunktur fürchten muss, dann sind es üblicherweise die Anleger in Anleihen hochverschuldeter Unternehmen. Die Freude über hohe Coupons weicht in der Rezession zügig der Furcht vor Zahlungsausfällen. Und da Anleihenanleger – anders als Aktionäre – sich nur begrenzte Chancen (Coupon & Rückzahlung) erhoffen können, sollten sie in der Risikoanalyse gründlicher als Aktionäre vorgehen.
Die gute Nachricht: Die in den Anlegerpräferenzen am Aktienmarkt ablesbaren Sorgen um die Konjunktur werden von den Anlegern am Obligationenmarkt bisher nicht geteilt (s. Abb. 3).
Juli könnte spannend werden
Davon ausgehend, dass sich der breite Aktienmarkt noch in einer Korrektur befindet, lohnt ein Blick auf die kurzfristigen Trendstrukturdaten (s. Abb. 4). Obwohl auch der S&P Global 1200 zuletzt laufend neue Allzeithochs erzielte, befinden sich unter den von uns im Empiria-Brief beobachteten globalen Aktien etwa 60% in kurzfristigen Abwärtstrends. Das Tief vom 19. April haben die Daten sehr sauber angezeigt, und wir nähern uns aktuell erneut einer überverkauften Situation. Solange die Hochzinsanleihen «keine Sorgen» signalisieren, gehe ich davon aus, dass sich der Aktienmarkt nur in einer Korrektur und nicht in einer Trendwende befindet.
Für diese Interpretation spricht zudem, dass unsere mittelfristigen Trenddaten weltweit weiterhin keine Schwäche zeigen (s. Abb. 5). Am aktuellen Rand sind jede Menge Aufwärtstrends (Blautöne in Abb. 5) erkennbar. Während sich also auf kurzfristiger Ebene die Marktstruktur abkühlt, befinden sich auf mittelfristiger Ebene fast zwei Drittel aller von uns beobachteten Aktien in absoluten Aufwärtstrends.
Sollte ich mit meiner Interpretation der Daten richtig liegen, dann steuert der Aktienmarkt bei Mid- und Small-Caps ebenso wie bei Value-Aktien auf eine Nachkaufgelegenheit zu. Sobald unsere Kurzfristtrends das nächste Strukturtief durchschreiten, wird es spannend. Beim aktuell Tempo der abfallenden Signallinie (s. Abb. 4 unten) rechne ich in den kommenden zwei bis vier Wochen mit einer Entscheidung.
Daniel Haase
Sein Wunsch, nie wieder vom Glück abhängig zu sein, trieb ihn vor 23 Jahren zur systematischen Marktanalyse. Das von ihm von 2002 bis 2006 entwickelte Trendanalyse-Modell wie auch seine Untersuchungen zur regelbasierten Aktienauswahl wurden von der Vereinigung Technischer Analysten Deutschlands 2009 und 2019 mit VTAD Awards ausgezeichnet.
Seit September 2023 ist Haase als Fondsmanager beim Düsseldorfer Vermögensverwalter WBS Hünicke für mehrere quantitative Anlagestrategien privater und institutioneller Investoren verantwortlich. Zuvor war er acht Jahre Asset Manager bei einem Hamburger Vermögensverwalter, davon fünf Jahre als Vorstand. Seine monatlichen Marktanalysen werden im Empiria-Brief veröffentlicht.