Hans-Rudolf Merz (FDP) wurde im Dezember 2003 gemeinsam mit Christoph Blocher (SVP) in den Bundesrat gewählt. Von der Art her sind sie grundverschieden. Aber sie teilten ein gemeinsames Ziel: Der Staat muss sparen. Wie sie das geschafft haben und wo sie heute ansetzen würden, erzählen Sie im grossen Gespräch mit der NZZ.

Herr Blocher, Herr Merz, Milei in Argentinien, Trump und Musk in den USA, von der Leyen in Europa: Plötzlich wollen alle Bürokratie abbauen. Woher kommt das?

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Blocher: Man hat realisiert, dass zu viel Bürokratie die Menschen verarmen lässt. Argentinien war einmal ein blühendes Land, bis sich der Staat immer mehr aufblähte. Deshalb hat der argentinische Präsident Javier Milei eine Kettensäge in die Hand genommen, um seine Botschaft verständlich zu machen. Wer den Staat verschlanken will, muss radikal sein. Hansruedi Merz und ich sahen das schon vor 20 Jahren.

Merz: Ich habe für dieses Gespräch zwei Dokumente herausgesucht: den ersten Voranschlag des Bundesrats aus dem Jahr 1849 und die Staatsrechnung von 2010, dem Jahr, als ich aus dem Bundesrat zurückgetreten bin. Das Budget für 1849 umfasst elf Seiten und ein Finanzvolumen von 6 Millionen Franken. Ein Bundesrat verdiente damals noch 5000 Franken. Die Staatsrechnung von 2010 ist 1000 Seiten dick. Das entspricht etwa der Zürcher Bibel, Altes und Neues Testament.

Was schliessen Sie daraus?

Merz: Die Bevölkerung der Schweiz hat sich seit 1848 zwar mehr als verdreifacht, aber das Volumen der Behördendokumente ist um den Faktor 1000 angeschwollen. Am stärksten ist das finanzielle Wachstum im Sozialbereich. Dazu kommen verschiedene Einnahmen und Ausgaben, die sich im Charakter verändert haben.

Wie können sich Einnahmen und Ausgaben im Charakter verändern?

Merz: Als Vorsteher des Finanzdepartements habe ich den Budgetposten eigene Gattungsnamen gegeben. Da gab es etwa die Zykliker: Ausgaben, die, wie etwa die Militärausgaben, einem Zyklus unterworfen sind. Daneben gibt es Meteoriten wie das Grounding der Swissair, die Pandemie oder den Fall der CS. Und dann gibt es noch die Schnecken.

Schnecken?

Merz: Das sind zumeist Subventionen in Form von Finanzbeiträgen, die sich immer weiterziehen. Berührt man sie mit einem Stecken, ziehen sie sich zusammen, kriechen aber bald danach weiter. Und dann gibt es noch die Elefanten, gewaltige Tiere mit exzellentem Gedächtnis, die jeden Tag ein paar 100 Kilogramm Grünfutter verzehren. Übertragen auf die Budgetposten sind das die Sozialversicherungen. Diese Differenzierung hilft, um zu verstehen, weshalb und wo der Staat eigentlich gewachsen ist und wo man am besten ansetzen kann, um das Wachstum in den Griff zu bekommen.

Der deutsche Unternehmensberater Roland Berger sagte kürzlich in einem Interview, in der öffentlichen Verwaltung liessen sich in vier Jahren problemlos 20 Prozent einsparen. Hat er recht?

Blocher: Ich war enttäuscht, dass er nur von 20 Prozent gesprochen hat. Ich habe schon vor über 20 Jahren als Nationalrat festgestellt, dass man in der Verwaltung die Kosten problemlos um 30 Prozent senken könnte. Als Bundesrat habe ich das dann auch gemacht.

In der Verwaltung oder in Ihrem Departement?

Blocher: In meinem Departement. Kollege Merz liess ein Gutachten erstellen, das ergab, dass ich das für die eigenen Kosten tun darf.

Und wie sind Sie vorgegangen?

Blocher: Wer sparen will, muss Mittel entziehen, Kosten und Stellen streichen: Am ersten Arbeitstag habe ich die Verantwortlichen versammelt und als Sofortmassnahme festgelegt, dass künftig keine Stelle ohne meine Unterschrift besetzt werden darf. Stellenanträge müsse man mir auf dem Dienstweg einreichen. Im ersten halben Jahr erhielt ich kein einziges Stellengesuch, da waren es bereits 145 Stellen weniger.

Weshalb haben Sie kein einziges Stellengesuch erhalten?

Blocher: Die einen Chefs erklärten, das Genehmigungsverfahren sei zu mühsam, andere sagten, ich hätte ein Gesuch ja doch nicht bewilligt. Als Chef einer Verwaltung muss man auch das Kostenbewusstsein schulen. Zu den Kosten für Löhne und Sozialabgaben kommen bei einer Stelle ja auch die für Arbeitsplätze und Umtriebe hinzu. Ein Bundesangestellter kostet den Steuerzahler mehr als 200 000 Franken.

Die Gewerkschaften haben damals protestiert. Die NZZ titelte: «Bundespersonal hat genug von Merz und Blocher.»

Blocher: Die Verwaltung hätte natürlich nie zugegeben, dass sie zu viele Stellen hat. Bürokratieabbau ist immer unangenehm, deshalb muss das der oberste Chef machen.

Wie würden Sie konkret vorgehen, wenn Sie heute den Bundeshaushalt entlasten müssten?

Blocher: Ähnlich wie damals. Ich würde am ersten Tag einen Personalstopp verfügen, dann das Kostensenkungsziel festlegen und eine Projektgruppe bilden. Projektverantwortliche müssen für jedes Departement unbedingt die Bundesräte selbst sein.

Für die Personalplanung fehlt einem Bundesrat doch die Zeit.

Blocher: Das haben einige unserer Bundesratskollegen damals auch gesagt. Aber mit einer richtigen Organisation geht das. Wenn die Verwaltung zehn Stellen weniger besetzt, hat man bereits zwei Millionen Franken an Steuergeldern gespart.

Merz: Seit Christoph Blocher vor 20 Jahren seinen Stellenstopp verfügt hat, sind die Personalkosten beim Bund leider wieder um 20 Prozent gestiegen. Es sind wieder mehrere tausend Stellen dazugekommen.

Wie viele genau?

Merz: Zu meiner Zeit waren es etwa 30 000, heute sind es 38 000. Dies bei einem Durchschnittslohn von 130 000 Franken gegenüber 100 000 Franken in der Wirtschaft. Das liegt natürlich auch daran, dass beim Bund sehr viele Akademiker und Fachkräfte beschäftigt sind. Der Bund hat gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und die Bevölkerung erwartet ja auch eine gewisse Qualität. Dennoch muss man sich fragen, weshalb es beim Bund so viele Leute braucht. Allein im VBS arbeiten ja fast 100 Kommunikationsangestellte.

Blocher: Deshalb habe ich nach meinem Amtsantritt als Erstes die Stellen im Informationsdienst halbiert. Auch im VBS liessen sich 30 Prozent reduzieren – zugunsten des Heeres. Wir brauchen weniger VBS, mehr Armee.

Haben Sie eine Erklärung für das starke Stellenwachstum heute?

Merz: Die Verwaltung muss immer mehr Aufgaben bewältigen. Zum einen, weil sie glaubt, diese Aufgaben erfüllen zu müssen, zum anderen, weil das Parlament immer neue Aufgaben erfindet. Politiker sind sich zu wenig bewusst, dass Aufgaben und Ausgaben im Gleichgewicht sein sollten. 2009 haben wir im Bundesrat 2400 Traktanden behandelt, darunter über 1600 parlamentarische Vorstösse, teilweise mit finanziellen Folgen. Heute dürften es noch mehr sein.

Und wieso kann man diese Entwicklung nicht stoppen? Der Bundesrat scheitert seit Jahren nur schon an einem Stellenstopp.

Merz: An guten Vorsätzen und Bemühungen fehlt es nicht. Seit Jahrzehnten redet man über Sparvorlagen, Aufgabenverzicht oder Subventionsüberprüfungen. Der ehemalige St. Galler Ständerat Eugen David hatte in den neunziger Jahren eine gute Idee. Er reichte einen Vorstoss ein, in dem er verlangte, dass der Bund sämtliche Bewilligungsverfahren einmal auflisten und auf Überflüssiges prüfen solle.

Mit welchem Resultat?

Merz: Der Bundesrat hat danach einen hochinteressanten Bericht erstellt, der dann aber versandete, weil man die Schuldenbremse eingeführt hat. Ich bedaure sehr, dass solche Diskussionen, wie sie Eugen David angestossen hat, nicht öfter geführt werden. Es ist ja nicht nur die Zahl der Staatsangestellten, die wächst und wächst, es gibt auch immer mehr Vorschriften.

Blocher: Als Bundesrat würde ich heute den Antrag stellen, dass der Bundesrat ein Jahr lang kein neues Gesetz, keine neue Verordnung verabschiedet und keine Stelle mehr bewilligt. Vor über 20 Jahren haben wir das für die ganze Bundesverwaltung versucht, leider vergeblich. Hansruedi Merz erinnert sich sicher noch, wie ich dem Bundesrat erklärte: «Wir sind für vier Jahre gewählt, in dieser Zeit kann uns niemand rausschmeissen. Jetzt beschliessen wir eine Kostensenkung von 30 Prozent.»

Merz: In der ersten Sitzung haben wir das dann tatsächlich beschlossen.

Blocher: Aber nach einer Woche, als die Kritik losging, ist die Mehrheit wieder umgefallen.

Merz: Gut, wir hatten damals das Entlastungsprogramm 03 in der Pipeline, und das Programm 04 zeichnete sich ebenfalls ab. Gemeinsam mit dem Chef der Finanzverwaltung, Peter Siegenthaler, habe ich damals dafür gesorgt, dass man die Verwaltung darauf eingeschworen hat. Im Juni 2004 war der Bundesrat in Rheinfelden in Klausur, um über die Finanzlage zu beschliessen. Das Resultat war das Entlastungsprogramm 03. Ein Bundesgesetz mit 16 Einzelpositionen im Gesamtumfang von 4 Milliarden. Jedes Departement musste in den Jahren 2006 bis 2008 einen Beitrag leisten.

Blocher: Das Entlastungspaket war damals das, was wir erreichen konnten. Seither haben Kostensteigerungen, Stellenwachstum und damit die Bürokratie wieder gefährlich zugenommen. Der Bundesrat müsste sich jetzt die Zeit nehmen, richtig Gegensteuer zu geben.

Und wie soll er vorgehen?

Blocher: Nach den Sofortmassnahmen hatten mir alle direkt Unterstellten innerhalb von zwei Wochen drei Varianten vorzulegen, wie man die Kosten um mindestens 30 Prozent in ihrem Bereich senkt. Dazu mussten sie darlegen, welche Variante sie umsetzen würden, wenn sie Bundesrat wären.

Das hat gewirkt?

Blocher: Die meisten Abteilungen haben sehr vernünftige und realisierbare Vorschläge gemacht. Ein Kosteningenieur, den ich schon im eigenen Unternehmen beigezogen hatte, begleitete das Projekt zwei Jahre lang. Am Schluss wurden die Kosten statt um 30 Prozent sogar um 32 Prozent gesenkt, ohne dass eine einzige Leistung abgebaut worden wäre. Das wurmt mich heute noch.

Das wurmt Sie?

Blocher: Ja, ich hätte 50 Prozent vorgeben müssen. Ich wollte eigentlich nicht nur das Gleiche billiger machen – das zwar auch –, ich wollte aber auch Überflüssiges abbauen. Weil das Kostensenkungsziel mit 30 Prozent zu niedrig war, bin ich gescheitert. Heute ist die Situation noch schlimmer. Der Bundesrat müsste eingreifen und radikal Kosten streichen.

Merz: Rädibutz.

Blocher: Genau. Schauen wir uns doch Deutschland an. Das Land ist so überreguliert, dass es zu einem massiven Industrieabbau und zu einer Rezession gekommen ist. Der staatstreue und vom Staat regulierte VW-Konzern produziert ab 2030 keine Verbrenner mehr, weil der Staat das so anordnete.

Wieso diese Regulierungswut?

Blocher: Menschen, die gut sein und Gutes tun wollen, ordnen zentral etwas an, ohne wirklich etwas von der Sache zu verstehen. Alles ist gut begründet, aber wirklichkeitsfremd.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Nehmen wir die Geschichte von den Landfrauen in Norddeutschland, die zur Freude aller jedes Jahr für den Weihnachtsmarkt backten. Jetzt dürfen sie keine Kuchen mehr verkaufen, weil sie die Einhaltung der vielen Hygienevorschriften nicht erfüllen oder nicht dokumentieren können. Die genaue Zuckermenge muss angegeben werden, falls jemand Diabetiker ist. In der Küche darf es nie wärmer als 21 Grad sein, was allerdings technisch teure Investitionen erfordern würde. Und, und, und.

Die Vorschriften tönen nachvollziehbar.

Blocher: Eben! Aber kann man dies nicht Kunden und Anbieter überlassen? Warum wird heute in Dorfmetzgereien nicht mehr gemetzget? Weil sich die Vorschriften nur Grossmetzgereien leisten können. Deshalb werden die armen Viecher nun durch halb Europa transportiert, wo sie zentral geschlachtet werden. Dasselbe sieht man bei den Dorfwirtschaften. Immer mehr müssen schliessen, weil sie die vielen teuren Auflagen nicht mehr erfüllen können.

Merz: Wer heute auf der anderen Strassenseite einen Milchladen eröffnen will, kann es gleich wieder vergessen.

Legendär war Ihre Antwort auf die Frage nach «Zunahme der Importmenge von gewürztem Fleisch». Sie mussten beim Verlesen der in lupenreinem Amtsdeutsch abgefassten Antwort so lachen, dass Ihr Name heute noch mit «Bü-Bü-Bündnerfleisch» in Verbindung gebracht wird.

Merz: Die halbe Schweiz hat darüber gelacht, ich ja auch. Leider ist das ein Musterbeispiel dafür, was eben abgeht. Die Umtriebe, die ein kleines, über die Grenze gebrachtes Stück Fleisch verursacht, die Vorschriften, die zusammenkommen – das wächst am Schluss zu einem Dschungel zusammen, bei dem keiner mehr den Durchblick hat.

Am Schluss Ihrer Antwort haben Sie um Verzeihung gebeten, weil Sie bisweilen selber nicht verstanden hatten, was Sie gerade vorgelesen hatten.

Merz: Das ist ja das Verrückte: Der Text war ja von einem Juristen verfasst. Jeder Buchstabe war korrekt. Es ist schon so, wie Herr Blocher sagt: Wer nicht mit dem groben Rechen gegen dieses Wachstum vorgeht, wird nie zum Ziel kommen.

Finanzministerin Karin Keller-Sutter hat schon Mühe, ein Entlastungspaket durchzubringen, das die Mehrausgaben von 3 auf 2 Prozent senken will. Sind da Kettensägenkürzungen realistisch?

Blocher: Was ist die Alternative? Müssen wir zuerst eine Armut wie in Argentinien erfahren, bis nur noch der Weg Mileis bleibt? Ohne radikale Massnahmen kann man die Bürokratie nicht abbauen.

Weshalb nicht?

Blocher: Weil zu viele von diesen Regulierungen profitieren; angefangen beim Parlament, das zunehmend zum Berufsparlament wird. Was machen die für ihre Entschädigungen und Sitzungsgelder? Regelungen. Das kommt den Bürokraten entgegen, aber die Last tragen die Bürger. Dazu kommt: Je weiter weg vom Bürger Regulierungen beschlossen werden, desto einfacher sind sie durchzusetzen und desto schwieriger zu bekämpfen. Darum zentralisieren Bürokraten.

Das müssen Sie bitte erklären.

Blocher: Wenn ein Gemeinderat das Geld der Steuerzahler für Überreglementierung ausgibt, wird er sich spätestens bei der Gemeindeversammlung rechtfertigen müssen. Im Kantonsrat wird die Kontrolle schon schwieriger, jedenfalls in grossen Kantonen mit riesigen Verwaltungen. Beim Bund ist man dann schon so weit weg vom Bürger, dass sich kaum mehr jemand wehren kann. Und bei der EU ist es noch schlimmer. Je höher und zentralistischer die Regulierung, desto schwieriger wird es, einzugreifen.

80 Prozent der Schweizer finden, die EU sei ein «Bürokratiemonster». Doch nun kündigt ausgerechnet die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen ein Programm gegen Überregulierung an. Das ist doch ein gutes Zeichen, nicht?

Merz: Es ist positiv, dass auch die EU erkannt hat, dass viele Regeln mehr schaden als nützen. Aber es gibt noch viel zu tun. Laut einer Statistik der OECD befindet sich die Schweiz im Bereich der Überadministration im Vergleich von 38 Ländern auf Platz 27.

Blocher: Die EU will die Bürokratie offenbar mit einem Erlass reduzieren. Um überflüssige Regeln abzubauen, schafft die EU zuerst einmal ein neues Regelwerk.

Auch das Vertragspaket mit der EU dürfte für mehr Bürokratie in der Schweiz sorgen: Wenn es angenommen wird, muss die Schweiz neue EU-Regulierungen übernehmen. Wenn es abgelehnt wird, muss sie ebenfalls Anpassungen vornehmen. Was ist der bessere Weg?

Blocher: Der EU-Vertrag wird zwangsweise zu noch mehr Bürokratie führen. Zum Glück sehen immer mehr Schweizer Unternehmer, welche Folgen das Abkommen hätte und wie viele schädliche Regulierungen die Schweiz übernehmen müsste. Wenn die Schweiz das Abkommen nicht unterschreibt, hat sie wenigstens Handlungsfreiheit.

Merz: Die Schweiz ist sehr auf den Handel angewiesen, gerade auch mit Europa. Gibt es Streitigkeiten, muss man sich irgendwie einig werden. In der Wirtschaft sind Schiedsgerichtsverfahren üblich, die Partner regeln das selber, mit wenig Aufwand. Für ein solches Streitbeilegungsverfahren wäre ich sofort zu haben. Ob die mit der EU ausgehandelte Lösung unter Einbezug des Europäischen Gerichtshofs zufriedenstellend ist, da bin ich mir aber nicht sicher.

Wie sehen Sie, Herr Merz, die dynamische Rechtsübernahme? Haben Sie Bedenken, dass dadurch die Bürokratie steigen wird?

Merz: Auf jeden Fall habe ich solche Bedenken. Wir wollen ja nicht Mitglied der EU werden, wir wollen geregelte Beziehungen in Bezug auf Handel und Dienstleistungen.

Handel und Dienstleistungen – mehr braucht es nicht? Keine institutionellen Regeln?

Merz: Nein. Wir haben über 30 Handelsabkommen weltweit, das ist grossartig. Die Schweiz hat über die Jahre hinweg eine kluge Handelspolitik gemacht. Und in all diesen Abkommen hat es keine institutionellen Regeln. Es ist nicht so, dass der indonesische, der indische oder ein anderer Staat uns vorschreibt, was wir machen müssen.

Blocher: Freihandelsverträge – ja, institutionelle Bindung – nein.

Merz: Es ist zu hoffen, dass es uns gelingt, das Problem der technischen Handelshemmnisse gescheit zu lösen. Wenn man dann jedes Mal in einem EU-Land wieder die neuen Verfahren zertifizieren muss, erhöht das auch die Bürokratie.

Muss man nicht davon ausgehen, dass die EU die technischen Handelshemmnisse als Pfand behält, um von der Schweiz das zu bekommen, was sie will?

Merz: Das kann sein. Für mich stellt sich die Frage, wie sich die EU überhaupt entwickeln wird. Ich habe hier viele Fragezeichen. Wenn ich an die riesige Verschuldung denke, die die Franzosen, die Italiener usw. aufgebaut haben: Das kann ja nur einen Schaden geben beim Euro.

Was das EU-Vertragspaket angeht, sind Sie sich offenbar einig.

Merz: Bedingt: Ich bin ein Anhänger des bilateralen Wegs, und ich bedaure, wenn man diesen nicht weitergeht. Denn er hat bisher ja gut funktioniert. Warum muss man die Beziehungen nun unbedingt auf neue Dimensionen ausdehnen? Das sehe ich nicht ein.

Blocher: Eine institutionelle Bindung wäre das Ende des bilateralen Wegs. Wieso soll sich die Schweiz der bankrotten und nicht funktionierenden EU anschliessen? Da kann man nur den Kopf schütteln.

Was denken Sie, wie es mit Europa weitergeht?

Merz: Die Zukunft von Europa ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Seit dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation hat es fast nie mehr eine Organisation gegeben, die Europa derart überzogen hat. Und woran ist es zerbrochen? An den kulturellen Eigenheiten der einzelnen Länder. Die Frage wird sein: Was braucht es für Strategien, um gegenüber den grossen Mächten wie China oder den USA zu bestehen? Die EU muss effizienter werden, sie muss Kosten und Bürokratie abbauen, daran führt wohl kein Weg vorbei.

Blocher: Wir können nicht darauf zählen, dass es dazu kommt. Es sind noch zu viele Politiker, die davon profitieren. Sie sagen nicht: Es braucht weniger Regulierung. Sie sagen: Es braucht mehr Europa und meinen die EU.

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