Samstag, Oktober 12

Der Parteispitze wäre ein Nein lieber gewesen. Als sie merkte, dass der Wind kehrte, empfahl sie Stimmfreigabe.

Die Zuwanderung ist schuld. An den teuren Mieten, den schlechten Schulen und dem Stau. Die SVP hat es immer schon gesagt, und deshalb vor zehn Jahren die Initiative gegen Masseneinwanderung lanciert, die die Stimmbevölkerung am 14. Februar knapp annahm.

Weil das Volksbegehren maximal halbherzig umgesetzt wurde, lancierte die SVP im Jahr 2020 dann die Begrenzungsinitiative, die die Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU verlangte. Doch dieses Mal versagte ihr die Stimmbevölkerung die Unterstützung. Das Volksbegehren wurde an der Urne überaus deutlich abgelehnt.

Nun nimmt die SVP einen neuen Anlauf. Die Delegierten haben sich am Samstag in Aarau ohne Wenn und Aber für die Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» ausgesprochen. Die Redner, die die Zuwanderung primär mit der mässigen Qualität der Volksschule, dem sinkenden Bruttosozialprodukt pro Kopf, importierter Kriminalität und steigenden Krankenkassenprämien in Verbindung brachten, hatten leichtes Spiel. Die Meinungen im Publikum waren schon gemacht, bevor sie ans Pult traten. Den meisten SVP-Sympathisanten ist schon eine Einwohnerzahl von mittlerweile 9 Millionen zu viel. Geht es nach ihnen, soll der Bundesrat vor dem Erreichen der 10-Millionen-Grenze Gegenmassnahmen treffen – koste es die Personenfreizügigkeit mit der EU.

Konkret fordert der Initiativtext, dass Bundesrat und Parlament Massnahmen ergreifen müssen, wenn die Bevölkerungszahl der Schweiz vor dem Jahr 2050 die Marke von 9,5 Millionen Menschen im Land, erreicht. Vorläufig Aufgenommene dürften keine Niederlassungsbewilligung mehr erhalten und auch nicht mehr eingebürgert werden. Auch der Familiennachzug würde eingeschränkt.

Zudem müsste die Schweiz internationale Abkommen, die zu einem Wachstum der Bevölkerung führen, neu aushandeln und sich dabei Ausnahme- und Schutzklauseln ausbedingen. Reicht diese Massnahmen immer noch nicht, um den Grenzwert einzuhalten, müsste die Schweiz, so will es die SVP, als Notbremse das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU kündigen.

Weniger geeint wirkte die SVP bei der Behandlung der Parole über die Vorlage für die Einheitliche Finanzierung von ambulant und stationär erbrachten Leistungen (Efas). Im nationalen Parlament hatte die SVP der Efas noch klar zugestimmt; im Ständerat sogar einstimmig. Auch die grossen Kantonalparteien sagten Ja. Doch dann ging es los, Bundeshaus-Fraktionschef Thomas Aeschi und der Rest des Präsidiums setzten sich für ein Nein ein. Die Vorlage habe ihre Tücken und werde einen Prämienschub auslösen, argumentierten sie.

Doch der Widerstand war gross. Erst kritisierte SVP-Ständerat Hannes Germann die Parteispitze, die sich gegen die Fraktion und die Kantone durchsetzen wollte. Dann setzten sich ein paar kantonale Gesundheitsdirektoren zusammen und schrieben in einem Brief an die «Mitglieder der SVP», das die Reform nötig sei, weil sie die einseitige Belastung der Prämienzahler beende. Und schliesslich der Knall: Erst mahnte der ehemalige Gesundheitsdossierführer Toni Bortoluzzi seine Kollegen und plädierte für ein Ja zu Efas, und dann äusserte sich auch noch Christoph Blocher. Die Vorlage setze bei den Prämien an, und das sei schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung, sagte er am Freitag in seinem Privatsender Tele Blocher.

Und noch einer meldete sich: FDP-Präsident Thierry Burkart. Die SVP kippe immer mehr ins linke Lager, sagte er vor ein paar Tagen in einem Interview. Gemeint hat er offenbar auch die Haltung zu Efas. Sie wird, wie erste Umfragen zeigen, vor allem von Sozialdemokraten und SVPlern abgelehnt.

Das hatte gesessen. Blocher und Burkart vereint – das war zu viel für den Parteivorstand. Er flüchtete sich in die Parole Stimmfreigabe. Denn die hatte die Partei (bei der eigentlich nur Nein und dann und wann Ja etwas gilt) schon einmal geholfen. 2019, bei der Abstimmung über die Verknüpfung der Steuervorlage mit einer Alimentierung der AHV. Die wirtschaftsnahe Parteispitze war dagegen (fauler Kompromiss), die Basis und der damalige Finanzminister Ueli Maurer waren dafür.

Die Besinnung der Parteispitze kam – aus parteipolitischem Blickwinkel betrachtet – gerade noch rechtzeitig. Die Delegierten folgten den zwei schweren B, Blocher und Bortoluzzi, und stimmten mit 248 zu 90 Stimmen klar für die Reform. Die Urnenabstimmung findet am 24. November statt.

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