Der Nationaltrainer geht überraschende Wege, um die SFV-Auswahl auf die komplizierte WM-Qualifikation im Herbst vorzubereiten. Mit den zurzeit besten Schweizer Fussballern müsste er aber nochmals reden.
Das Länderspieljahr 2025 beginnt für die Schweizer Nationalmannschaft am Freitagabend mit dem Testspiel in Belfast gegen Nordirland – und der Trainer Murat Yakin sendet widersprüchliche Signale. Yakin malt sich seine Welt gerne, wie sie ihm gefällt. Etwa wenn es um seine Anteile am FC Schaffhausen geht, die laut ihm einmal den Klub betreffen und dann wieder nur das Stadion. Es ist eine Posse, die auch den Schweizerischen Fussballverband (SFV) mehr beschäftigen dürfte, als ihm lieb ist. Offenbar gelten für den Nationaltrainer eigene Gesetze.
Auch bei der Personalauswahl geht Yakin unerwartete Wege. In der Vergangenheit hatte er immer wieder betont, dass die Türen offen stünden für alle, die sich mit starken Leistungen in ihren Klubs aufdrängten – ohne Spielpraxis gehe es aber nicht. Doch im Aufgebot für die Testspiele am Freitag in Nordirland und am Dienstag in St. Gallen gegen Luxemburg (beide 20 Uhr 45) steht mit Isaac Schmidt ein vielseitig einsetzbarer Aussenverteidiger, der seit seinem Wechsel zu Leeds United im vergangenen August in der zweithöchsten englischen Liga insgesamt 25 Minuten gespielt hat.
Weilen zum ersten Mal im Kreis des Schweizer Nationalteams: die Verteidiger Lucas Blondel (links) und Stefan Gartenmann. (Bilder: Anthony Anex / Keystone)
Ebenfalls erstmals dabei sind mit Stefan Gartenmann und Lucas Blondel zwei Defensivspieler, die man zuerst einmal googeln musste, um mehr über sie zu erfahren. Die beiden haben einen Schweizer Pass und sind 28 Jahre alt. Gartenmann ist in Dänemark geboren und spielt bei Ferencvaros Budapest; Blondel ist gebürtiger Argentinier und bei den Boca Juniors engagiert.
Yakin besuchte die zwei Fussballer in Budapest und in Buenos Aires und hält sie für geeignet als Alternativen in der Abwehr. Gartenmann gilt als Leader im Zentrum, Blondel als bissiger Verteidiger rechts aussen – eine Problemzone im Nationalteam. Eingeführt haben sich die beiden im Trainingslager in dieser Woche in Portugal, wobei Gartenmann an einem Medientermin zumindest schon einmal bewies, kommunikativ stark und durchaus humorvoll zu sein. Er parlierte auf Deutsch, obwohl Yakin gesagt hatte, Gartenmann spreche sehr gut Englisch und nur ein paar Worte Deutsch.
Eine schwache Bilanz – trotz grossartiger EM
Murat Yakin will der Auswahl mehr Grinta verleihen, also mehr Entschlossenheit und eine grössere Widerstandsfähigkeit. Und so nutzt er die Testspiele gegen Nordirland und Luxemburg sowie jene im Sommer in den USA gegen den Gastgeber und Mexiko zum ausgedehnten Casting.
Yakin ist in diesem Frühling wieder stärker unter Druck. Er ist seit 2021 Nationalcoach, vor anderthalb Jahren stand er kurz vor der Freistellung, ehe er im vergangenen Sommer an der Europameisterschaft in Deutschland wie ein Nationalheld gefeiert wurde. Die starke EM übertünchte eine insgesamt enttäuschende Entwicklung des Nationalteams mit zuletzt mehreren ungenügenden Leistungen inklusive Abstieg aus der Nations League. Aus den letzten fünfzehn Pflichtspielen resultierten nur zwei Siege: an der EM zum Auftakt gegen Ungarn sowie im Achtelfinal gegen Italien.
Ob das Länderspieljahr 2025 erfolgreich wird, definiert deshalb die WM-Qualifikation im Herbst. Die Schweiz trifft in der am besten besetzten Ausscheidungsgruppe auf Schweden, Slowenien und Kosovo. Bis dahin muss Yakin einige personelle Fragen beantwortet haben.
Mehrere arrivierte Defensivspieler wie Silvan Widmer, Nico Elvedi und Kevin Mbabu sind derzeit nicht beim Nationalteam. Yakin dürfte den Generationenwechsel weiter vorantreiben, talentierte Verteidiger wie die ebenfalls fehlenden Leonidas Stergiou und Luca Jaquez vom VfB Stuttgart sowie der zuletzt lange verletzte Aurèle Amenda von der Frankfurter Eintracht gelten als Hoffnungsträger. Sie haben sich in ihren Klubs allerdings noch nicht durchgesetzt. Das gilt insbesondere für den spielintelligenten Mittelfeldspieler Fabian Rieder, dessen Karriere ins Stocken geraten ist. In Rennes blieb er Reservist, nun tut sich Rieder auch als Leihspieler in Stuttgart schwer.
Die wohl grössten Schweizer Talente sind Ardon Jashari und Alvyn Sanches, der erstmals dabei ist und auch noch für Portugal spielen könnte. Der Lausanner Sanches ist neben dem Basler Xherdan Shaqiri der auffälligste und brillanteste Fussballer in der Super League – mit seinen technischen Fähigkeiten und seiner Torgefahr bringt er selten vorhandene Qualitäten mit. Jashari wiederum ist im FC Brügge regelrecht durchgestartet; doch seine Verbindung zur Auswahl bleibt kompliziert. Der 22-Jährige hat erst zweimal eine Minute für die Schweiz gespielt, das war im Jahr 2022. Zurzeit fehlt er, weil er sich nach anstrengenden Wochen mit Brügge erholen möchte.
Die drei besten Schweizer in dieser Saison sind zurückgetreten
Yakin müsste daran interessiert sein, im Mittelfeld Plätze für Jashari und Sanches zu finden. Das gilt immer noch auch für Denis Zakaria, Captain in Monaco, aber grösstenteils glücklos im Nationalteam. In Abwesenheit des verletzten Abwehrchefs Manuel Akanji und des Captains Granit Xhaka, der kürzlich zum dritten Mal Vater wurde, dürfte er nun mehr Verantwortung übernehmen.
Ein Gewinner der vergangenen Wochen ist Cédric Zesiger, der sich in der Winterpause mangels Spielpraxis von Wolfsburg nach Augsburg verliehen liess. Die Bilanz des Innenverteidigers ist phänomenal: In Zesigers acht Einsätzen in der Bundesliga hat Augsburg kein einziges Gegentor erhalten; der Linksfuss ist neben dem bei Bologna überzeugenden Dan Ndoye sowie Sanches der formstärkste Nationalspieler.
Und damit zu einer unangenehmen Erkenntnis: Der beste Schweizer Goalie in dieser Saison ist Yann Sommer von Inter Mailand, der stärkste Verteidiger Fabian Schär von Newcastle United, der produktivste Offensivspieler Xherdan Shaqiri. Das prominente Trio trat nach der EM aus dem Nationalteam zurück, nicht alle von ihnen waren mit Yakin immer einverstanden.
Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, Yakin würde mit dem einen oder anderen von ihnen das Gespräch suchen im Hinblick auf die WM-Kampagne 2026.