Samstag, September 28

Ein britischer Zeitungsartikel über ein angebliches Waffenlager des Hizbullah am Flughafen von Beirut sorgt in Libanon für Empörung. Derweil droht der Konflikt zwischen der von Iran unterstützten Schiitenmiliz und Israel zu eskalieren.

Was der israelischen Armee trotz monatelangem Dauerbeschuss von Südlibanon kaum gelang, hat die britische Zeitung «Telegraph» jetzt erreicht: Sie liess die bisher kaum sichtbare, ihre Machtlosigkeit beinahe schon demonstrativ vor sich hertragende Regierung Libanons mit einem Mal aktiv werden.

Nachdem die Zeitung am Sonntag in einem äusserst spekulativen Artikel behauptet hatte, die mächtige Hizbullah-Miliz horte unter dem von ihr beherrschten Flughafen von Beirut Waffen im grossen Stil, brach innerhalb des libanesischen Kabinetts, das seit Jahren im Notstandsmodus vor sich hin vegetiert, plötzlich Panik aus.

Gleich drei Minister nahmen sich der Sache an, beriefen eine Pressekonferenz ein und luden alle anwesenden Journalisten und Diplomaten ein, sich den Frachtbereich des Flughafens doch bitte persönlich anzuschauen.

Am Montagmorgen drängten sich deshalb Dutzende Pressevertreter und ausländische Würdenträger in den Hallen des heruntergekommenen Flughafens und fotografierten Kisten ab, die offiziell Damenunterwäsche aus China oder Autoersatzteile aus Deutschland enthielten.

«Willkommen in Libanon!», riefen ihnen die fröhlichen Lagerarbeiter entgegen – und ein pakistanischer Diplomat, der in dem ganzen Chaos und der Hitze in Anzug und Krawatte freundlich die Contenance bewahrte, kommentierte: «Das ist doch eigentlich ganz interessant.» Raketen oder Waffen des Hizbullah fand – Überraschung – natürlich niemand.

Der Konflikt droht ausser Kontrolle zu geraten

Die bizarre Besichtigung zeigt: In Beirut liegen derzeit die Nerven blank. Denn Libanon droht in einen Abgrund gerissen zu werden. Seit dem Oktober führt die mächtige, von Iran unterstützte Hizbullah-Miliz hier einen Grenzkrieg gegen Israel, den sie zur Unterstützung der Hamas in Gaza eigenmächtig vom Zaun gerissen hat.

Doch jetzt könnte dieser Konflikt, der sich bisher trotz der latenten Eskalationsgefahr an gewisse Spielregeln gehalten hatte, ausser Kontrolle geraten. Zuletzt beschossen sich die Schiitenmiliz und Israels Armee nicht nur immer heftiger über die Grenze hinweg – sie erhöhten auch ihre jeweiligen Einsätze.

Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah etwa kündigte jüngst in einer Rede an, den Krieg im Ernstfall auch auf Zypern und den östlichen Mittelmeerraum auszuweiten. Als Drohung liess die Miliz zudem Aufklärungsdrohnen über die israelische Stadt Haifa fliegen und veröffentlichte danach das Bildmaterial. Israel wiederum eliminiert weiter eifrig Hizbullah-Kader. Zudem druckte die israelische Presse die «Telegraph»-Geschichte über das angebliche Waffenlager genüsslich ab, was durchaus als unverblümte Warnung zu verstehen ist, dass auch der Beiruter Flughafen im Kriegsfall mit dem Schlimmsten rechnen müsste.

Krieg oder Verhandlungslösung?

Es gibt noch weitere Indikatoren, die zumindest auf den ersten Blick auf eine erhöhte Kriegsgefahr schliessen lassen. So kündigte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Wochenende an, dass die «intensive Phase» der Kämpfe gegen die Hamas in Gaza fast zu Ende sei. Dies werde es der Armee ermöglichen, dringend benötigte Truppen nach Norden zu verlegen, an die libanesische Grenze.

Israels Politiker und Generäle sind bezüglich der Situation im Norden, wo immer noch Zehntausende evakuierte Bewohner auf die Rückkehr in ihre Häuser warten, mit ihrer Geduld am Ende. Allerdings birgt eine Militäroperation gegen den Hizbullah enorme Risiken. Die Schiitentruppe verfügt wohl über mehr als hunderttausend Raketen. Zudem wird sie von Iran und verbündeten Milizen in Syrien, im Irak und in Jemen unterstützt.

Auch deshalb liess Netanyahu am Wochenende durchblicken, dass seine Regierung aller Kriegsrhetorik zum Trotz auch einer Verhandlungslösung nicht abgeneigt wäre. Zuletzt hatten die Amerikaner einmal mehr ihren Chefunterhändler Amos Hochstein nach Jerusalem und Beirut geschickt.

Libanon ist all dem hilflos ausgeliefert

Der biss in Beirut aber offenbar auf Granit. Denn der Hizbullah weigert sich zu verhandeln, solange in Gaza kein Waffenstillstand herrscht. Doch in der Küstenenklave scheint eine Feuerpause angesichts der unvereinbaren Positionen von Israel und der Hamas zurzeit nicht in greifbarer Nähe.

In Libanon herrscht deshalb ein Mix aus Fatalismus, Angst und Verdrängung. In der Hauptstadt Beirut geht das Leben trotz Kriegsgefahr zumindest vordergründig weiter wie bisher. Die Libanesen wissen aber, dass sie dem drohenden Krieg hilflos ausgeliefert sind. Das zeigt sich nicht zuletzt am tief im Machtbereich des Hizbullah liegenden Flughafen.

Denn auch völlig unabhängig von den Behauptungen über versteckte Waffenlager würde er im Kriegsfall zu einem Angriffsziel. Der Transportminister versuchte daher am Montag, zumindest bis dahin den Schaden klein zu halten. Der Flughafen sei sicher, sagte er nach der Begehung, das könne man ja wohl selbst sehen. Und den «Telegraph» werde man jetzt verklagen. «Wegen Rufschädigung.»

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